Rainer Bruno Zimmer
Eigentliche
Religion
als
Wissen vom Dasein
Der Weg zu
existenzieller Kompetenz
und
religiöser Autonomie
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Version 26, unlektoriert, Mai 2017
© Rainer Bruno Zimmer
Kapitel 1: Unsere Existenz – nicht von dieser Welt?
Kapitel 3: Und das soll man glauben?
Kapitel 4: Erste Manöverkritik
Kapitel 5: Der Ursprung des Daseins und der Anfang der Welt
Kapitel 6: Unsere Aufgabe: die Welt bauen
TEIL 3: DIMENSIONEN DES DASEINS
Kapitel 11: Warum "Dimensionen"?
Kapitel 14: Vom Baum der Erkenntnis
Kapitel 20: Keine Konsequenz ist auch eine Konsequenz
Kapitel 21: Die Haltung ist alles
Kapitel 22: Die Moral, die Macht der Menschen und die Allmacht Gottes
TEIL 6: DEM KAISER GEBEN, WAS DES KAISERS IST
Kapitel 26: Was ansonsten des Kaisers ist
TEIL 7: GOTT GEBEN, WAS GOTTES IST
Kapitel 27: In den Grenzbereichen des Lebens
Kapitel 28: Was ansonsten Gottes ist
Kapitel 30: Die Seligpreisungen der Bergpredigt
Kapitel 32: Vom Fischer und seiner Frau. 71
Kapitel 33: Der verlorene Sohn
Kapitel 34: Zugänge zur Seligkeit
ANHANG: DIE ZUMUTUNGEN DER RELIGION AN DIE VERNUNFT
A: Religion bedeutet mir nichts!
B: Aber eine Existenz hast Du doch, oder?
A: Davon will ich nichts wissen.
B: Daran ist nichts zu fürchten, nur zu gewinnen.
Die Wertschöpfung der Religion ist eigentlich die Begegnung mit Gott, selbst und direkt. Eine gute Religionslehre zeigt, wie man dazu kommt, Gott zu begegnen. Eine gute Religionsgemeinschaft ist darauf hin organisiert, die Menschen zu einer Begegnung mit Gott zu führen.
Und wenn es Gott gar nicht gibt? Diese Frage ist sinnlos. Wenn sich Gläubige und Ungläubige über etwas einig sind, dann darüber, dass Gott "nicht von dieser Welt" ist. Unser Wissen endet aber an den Grenzen der von uns erschlossenen Welten. Über Außerweltliches können wir nichts wissen, auch nicht ob es irgendeine Art von Sein hat oder nicht.
Es bleibt trotzdem die andere Frage: Was, wenn es Gott trotzdem irgendwie gibt? Wenn das Außerweltliche ein uns prinzipiell unzugängliches Sein hat? Könnten wir es dann vielleicht trotzdem irgendwie wahrnehmen, wenn auch anders, als wir die Realitäten in unserer Welt wahrnehmen? Könnte ein außerweltlicher Gott uns begegnen? Und könnten wir so eventuell erkennen, dass es Gott gibt?
Vor allem will diese Begegnung fast niemand. Seit "Adam und Eva" vom Baum der Erkenntnis gegessen und sich vor Gott versteckt haben, scheuen die Menschen die Begegnung mit Gott. Sie fürchten, vor Gott mit ihrer "nackten" Existenz konfrontiert zu werden und nicht zu bestehen.
Und so haben wir eine Kultur der Gottvermeidung: Für die Ungläubigen gibt es Gott sowieso nicht, und die Gläubigen halten es für praktisch unmöglich, dass sie als normal-sündige, unwürdige Sterbliche Gott begegnen könnten. Daher kommen beide Gruppen gar nicht auf die Idee, eine Begegnung mit Gott zu suchen, und so begegnen sie ihm auch nicht – und sie sehen sich bestätigt und insgeheim verschont.
Die Religionsgemeinschaften sind die Träger dieser Kultur: Sie schieben Ihren Gründer und seine Priester zwischen Mensch und Gott, befassen ihre Mitglieder hauptsächlich mit Glaubenssätzen und Lebensvorschriften des Gründers und seiner Nachfolger, und sie zeigen auf die Sündhaftigkeit der Außenstehenden und auf die ihnen drohenden Höllenstrafen, damit auch außerhalb möglichst niemand auf die Idee kommt, die Begegnung mit diesem furchtbaren Gott zu suchen oder gar zu verwirklichen.
Die Führer der Religionsgemeinschaften kümmern sich intern darum, diese Position zu kultivieren, ihre Mitglieder durch Gemeinschaftserfahrungen zusammenzuhalten ("wer glaubt, ist nie allein"), sich gegenüber konkurrierenden Religionsgemeinschaften abzugrenzen und "Privatreligion" auszugrenzen. Nach außen hin kümmern sie sich um Medienpräsenz, karitative Projekte und um besonderes Ansehen auf dem Feld der Ethik. Manche betreiben vor allem Machtpolitik. Immer wird dabei von Gott gesprochen, aber nie auf Begegnungen mit Gott hingearbeitet, und die Lehre wird so gestaltet, dass sich die Frage nach solchen Begegnungen nicht stellt. Organisierte Religion kann nicht hinnehmen, dass ein Mensch selbst Gott sucht und findet.
Damit wird es nun aber gerade erst interessant. Autonome religiöse Kompetenz ist gefragt und über alles wertvoll.
Wer sie erwerben will, hat gute Chancen, aus drei Gründen:
1. Den Kern und Ursprung mancher Religionsgemeinschaften bilden nach wie vor zugängliche und weltweit ähnliche bis übereinstimmende Reden, die zu Gott hinführen, geäußert von Menschen, die Gott selbst begegnet sind und die ihre daraus gewonnenen Einsichten und Haltungen authentisch weitergegeben haben. Zu diesem Kern und Ursprung gibt es einen vernünftigen, jedem Menschen offenen Zugang.
2. Da Gott nicht von dieser Welt ist, kann man über Gott nicht so reden, wie über einen Gegenstand dieser Welt. Über ihn richtig reden zu können, ist eine andere, besondere Kompetenz. Diese Kompetenz kann man selbst und unabhängig erwerben. Mit dieser Kompetenz kann man – auch uralte – religiöse Rede verstehen, falsche religiöse Rede als solche erkennen, und neue, zeitgemäße religiöse Rede entwickeln. Die gute religiöse Rede zeigt, wie man Gott in den Blick bekommen und ihm begegnen kann.
3. An einer Begegnung mit Gott ist nichts zu fürchten, und gegenüber Gott gibt es nichts zu bestehen, denn Fürchten und Bestehen sind Begriffe aus dieser Welt. Man kann sie auf einen außerweltlichen Gott schlicht nicht anwenden. Im Gegenteil: wenn es überhaupt eine Begegnung mit Gott gibt, dann kann so eine Begegnung nur frei und erlöst von Weltlichem sein. Dies ist die eisgekühlte Fassung dessen, was ansonsten "Frohe Botschaft" heißt. Treffender gesagt: Der Blick aus der Welt auf das Außerweltliche ist in jeder Hinsicht überwältigend positiv und das absolut Beste, was einem überhaupt passieren kann.
Kein Buch kann die Begegnung mit dem Außerweltlichen herbeischreiben. Dieses Buch bietet Grundlagen und Hinweise zum Erwerb und zur Steigerung eigener existenzieller Kompetenz. Es versucht, den Blick annähernd auf das Außerweltliche zu lenken.
Die Basis dieses Buchs ist folgende:
Religion heißt wörtlich "Rückbindung" oder auch einfach nur "Bindung". Gemeint ist Bindung an die Wurzeln unserer Existenz. Diese Wurzeln liegen nicht – sozusagen als Gegenstände – in der Welt oder in den Welten, die uns in unserem Dasein begegnen und in denen wir uns bewegen.
Die Begriffe "Welt" und "Welten" benutzen wir hier in folgendem Sinn: Es gibt eine Welt der Physik, eine Welt der Mode, eine Welt der Politik, eine Welt des Autos, eine Welt der Tiere, eine Welt des Verbrechens, eine Welt der Computer, eine Welt der Phönizier, eine Geschäftswelt, eine Welt der Kunst, eine Welt des Sports, eine Welt der Zahlen, eine Gedankenwelt, und unzählige andere mehr. Menschen können sich geradezu unbegrenzt Welten solcher Art erschließen, und alle zusammen, genauer gesagt: alle prinzipiell überhaupt von Menschen erschließbaren Welten zusammen, nennen wir hier "die Welt".
Wir erschließen Welten, indem wir sie zunehmend "begreifen", d.h. begrifflich erfassen. Wenn wir "Neuland" gewinnen, dann lassen wir uns seine Gegenstände, ihre Eigenschaften, Zusammenhänge, Bewegungen, Veränderungen, Handlungsmöglichkeiten begegnen und "machen uns einen Begriff davon". So erschließen wir die Welt dieses Neulands und erweitern unsere Welt. –
Fassen wir zusammen:
Die Welt ist alles, was wir prinzipiell in Begriffe fassen können.
Logischerweise sind daher die oben angesprochenen, außerhalb der Welt liegenden Wurzeln unserer Existenz mit Begriffen nicht erfassbar. Sachliche, gar formale Aussagen und begriffliche Genauigkeit versagen, wenn es um unser Dasein geht.
Man muss aber deshalb über Außerweltliches nicht schweigen, sondern kann eine Rede versuchen – so auch in diesem Buch –, die annäherungsweise dorthin zeigt, und die den Blick des Angesprochenen in eine Richtung lenkt, wo er das Gemeinte sehen könnte. Solche Rede ist die einzige vernünftige Art und Weise, in der Religion kommuniziert werden kann. Und der so ausgerichtete Blick ist die einzige Art und Weise, wie man sich die "(Rück-)Bindung" an das Außerweltliche vorstellen kann
Wohlgemerkt: Wir haben zum Reden nichts Anderes als unsere üblichen Worte und Begriffe, aber in der religiösen Rede gelten sie nicht, sondern es geht um etwas, das einem parallel zu oder zwischen den Begriffen in den Blick kommen kann. Einer religiösen Rede müsste man sozusagen gedanklich den Vorspann "Es ist, wie wenn" vorschalten und dann versuchen, dieses "Es" zu sehen.
Manche Religionsgemeinschaften bieten immer noch den Rahmen dafür, dass religiöse Rede kommuniziert wird, dass ihr Verständnis ständig Thema und Aufgabe bleibt, und dass die Botschaft so zumindest von einigen wenigen Mitgliedern gefunden und – von vielleicht noch wenigeren – effektiv dargestellt werden kann. Wie wir unten sehen werden, ist gute, annähernd zeigende Rede über Existenzielles immer wieder erfolgreich praktiziert worden, sowohl innerhalb von Religionsgemeinschaften als auch außerhalb.
Die Kontroversen um Religion und die Probleme der Religionsgemeinschaften liegen nicht in ihrem existenziellen Kern, sondern auf der Ebene der öffentlichen Aussagen und Positionen. Hier werden – wegen der äußerlichen Ähnlichkeit – immer wieder religiöse Sätze als innerweltliche Aussagen über begriffliche Zusammenhänge ausgegeben und aufgenommen. Dies ist ein primitiver logischer Fehler. Er hat unermessliche Folgen.
Nehmen wir zur Illustration dieser Behauptung die Kontroversen um die Schöpfungsgeschichte. Die Wissenschaft sagt, sie sei falsch, weil die Welt nicht vor ein paar hundert zurückrechenbaren Generationen begonnen hat, sondern vor gut 13 Milliarden Jahren mit dem Urknall. Ein Teil der Religionslehrer sagt dagegen, die Schöpfungsgeschichte sei anders gemeint. Damit ist sie für die Wissenschaft und die praktische Vernunft nicht mehr angreifbar, aber dafür auch irrelevant. Viele Religionslehrer stellen deshalb der wissenschaftlichen Autorität eine nicht weiter definitionsbedürftige, göttliche Autorität gegenüber und begründen so die Schöpfungsgeschichte auch recht gut und erfolgreich. Ein anderer Teil der Religionslehrer versucht, der Wissenschaft zu begegnen, indem er Aussage gegen Aussage stellt: die Schöpfungsgeschichte sei eben doch wörtlich wahr. Damit zielen sie besonders auf die Evolutionstheorie. Aber sie kommen nicht so recht dagegen an – die Wissenschaft hält erfolgreich die Position, dass man zur Erklärung der Weltentstehung Gott nicht braucht. Wie als wenn sie Gott retten müssten und könnten, kommen daraufhin die Vertreter des "Intelligent Design" auf den Plan, und argumentieren, die gewaltigen Komplexitätssprünge in der Entwicklung der Lebewesen könnten nur von einer höheren Intelligenz gestiftet worden sein, und die könne nur Gott sein.
Dies sind Verhältnisse, auf Grund derer man normalerweise vermuten würde, dass alle Beteiligten keine Ahnung haben. Wovon? Die Schöpfungsgeschichte ist eine religiöse Rede, sie handelt also vom Grunde unserer Existenz. Um sie zu verstehen und kompetent zu beurteilen, braucht man existenzielle Kompetenz. In einer Kultur der Gottvermeidung kann man diese normalerweise von niemand erwarten, insbesondere nicht von Eliten, die existenziell nicht gefordert sind.
Aber den
primitiven Logikfehler müsste man doch wenigstens vermeiden können:
Die Schöpfungsgeschichte besteht nicht aus Sachaussagen. Wissenschaft kann nur
Sachaussagen für richtig oder falsch erklären, und sie hat auch keine
wissenschaftlichen Mittel, um Reden jenseits von Sachaussagen als Unfug zu
erkennen. Die Wissenschaft ist hier einfach aus dem Spiel. Die Religionslehrer
werden andererseits auf Dauer vergeblich versuchen, religiöse Rede als
Sachaussagen hinzustellen. Auch Versuche, sie mit besonderer Autorität zu
versehen, machen aus ihnen keine Sachaussagen, und sie machen sie natürlich
auch nicht verständlicher.
Konzentrieren wir uns nun also auf den Erwerb existenzieller Kompetenz.
Wir werden dabei folgendermaßen vorgehen:
In den ersten 4 Teilen dieses Buchs sprechen wir die wichtigsten Aspekte unserer Existenz an und testen die Tauglichkeit der benutzten Redeweisen an einigen anspruchsvollen religiösen Texten.
In den Teilen 5 bis 7 erproben wir die so gewonnene Sicht an einer prominenten Auswahl aus den vielen Streitpunkten zwischen Religion, praktischer Vernunft und Wissenschaft.
Im Teil 8 wenden wir unsere Redeweisen auf einige religiöse und allgemein existenzielle Texte an, bekommen damit ein Gefühl von der Reichweite unserer Redeweisen und gewinnen vor allem die große Bedeutung dieser Texte wieder zurück.
Nochmals: Alles Wichtige in diesem Buch ist annähernd zeigende Rede. Sie im Sinne von Aussagen zu nehmen, die wahr oder falsch sein können, sie daraufhin zu lesen, ob sie eine Wahrheit bestätigen oder ihr widersprechen, erschwert unweigerlich den Zugang zu ihrem Inhalt. Es geht darum, ob man sieht, worauf die Rede zeigen will. Und es kann sein, dass man es nicht gleich sieht, sondern erst, nachdem man es eine Zeit – oder auch: lange Zeit – mit sich herumgetragen hat.
Das klingt alles etwas trocken, und wir werden auch die nüchterne Sprache beibehalten, denn es geht immerhin um unsere Existenz. Im Verlauf wird uns aber vielleicht aufgehen, dass wir froh sein können, dass unser Dasein so ist, wie es ist – von der Anlage und vom Potenzial her.
Wie können wir uns die außerweltliche Wurzel unserer Existenz vorstellen?
Heutzutage beginnen wir am besten bei der Vorstellung vom "Film in unserem Kopf". Dieser Film spielt uns über unsere Sinne alle möglichen, äußeren Gegebenheiten und Abläufe vor. Aber wir nehmen diesen Film nicht nur passiv wahr, sondern wir können auch willentlich eingreifen, ähnlich wie in einem Computerspiel, einem Simulator oder allgemein: in einer virtuellen Realität. Wir verfügen in der echten Realität über einen Körper und ein Repertoire eigenen Wissens und eigener Fähigkeiten, die wir vermehren können, und uns begegnen und wir interagieren mit Figuren, die wir als von unserer Art, und solche, die wir als andersartig wahrnehmen. Allerdings funktioniert die echte Realität ohne Leinwand, ohne Bildschirm, ohne Joystick, ohne Sensorhandschuh oder -anzug, sondern alles begegnet uns direkt, und wir können direkt aus unserem Willen heraus agieren. Mehr ist da nicht als der Film.
Sehen wir uns den vorigen Absatz noch einmal an. Er ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie annähernd zeigende Rede über Existenzielles funktionieren kann. In keinem wörtlichen Sinne haben wir einen Film im Kopf, unser Dasein ist keine Computerspiel-Situation, und unsere Realität ist nicht virtuell. Aber der Absatz versucht auf etwas zu zeigen, das auf uns zutrifft, das so ähnliche Strukturen aufweist wie die angesprochenen Objekte, Beziehungen und ihre Bewegungen, etwas zu dem wir eine Resonanz haben.
Die obige Analogie hat also ihre Grenzen, aber wenn wir das Gemeinte annähernd erfasst haben, dann lässt sich weiter darüber reden: Unser Daseinsfilm spielt uns – anders als die innerweltlichen Medien Film oder virtuelle Realität – nicht nur Externes vor, sondern z.B. auch das Innere des uns verfügbaren Körpers, so dass wir uns darin befinden und ihn von innen empfinden können. Der Daseinsfilm spielt uns eigene Gedanken vor, und zwar so, dass wir sie aktiv denken oder sie uns unwillentlich kommen, und dass wir sie in Worte fassen. Er spielt uns eine Stimmung vor, in der wir uns gegenüber dem Film halten, und Gefühle, die unsere Stimmung und unseren Willen beeinflussen.
Auf den Punkt gebracht: Der Daseinsfilm präsentiert uns unsere Welt, und zwar so direkt und unmittelbar, dass er geradezu unsere Welt ist.
Ganz klar ist die Grenze, wo die künstliche Welt des Computerspiels oder des Simulators endet, und ganz klar ist, wo wir uns dabei als realer Spieler befinden, nämlich außerhalb der besagten künstlichen Welt. Das Spiel kann uns vielleicht eine relativ "große" und komplizierte künstliche Welt vorspielen, so dass auch viele Sitzungen nicht reichen, um uns alle ihre Bereiche und Wesen zu erschließen. Als Spieler können wir so lange und konzentriert spielen, dass wir fast ganz in unserer spielinternen Identität aufgehen und ausschließlich unser "Leben" im Spiel ausleben. Wir können uns an das Spiel verlieren, ja nachhaltig dem Spiel verfallen, aber wir gehen doch nicht ganz darin auf.
Als Person bleiben wir außerhalb des Spiels und nehmen die Spielsituation wahr, folgen ihr, planen sie, lenken unsere Spielfigur.
Genau so "spielen" wir – als eigene Instanz von außerhalb – in der realen Welt unseres interaktiven Daseinsfilms.
Diese Situation ist uns eigentlich von vornherein unzweifelhaft erschlossen. Der Blick auf sie kann uns verstellt sein, wenn wir in der Welt und ihrer Begrifflichkeit aufgehen. Und der Versuch, sich ihr – wie weiter oben im Text – mit Hilfe einer Analogie zu nähern, kann scheitern. Wir müssen irgendwie von der Welt ablassen, temporär aufhören zu spielen, um diese Situation in den Blick zu bekommen.
Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Ein Beispiel ist eine bestimmte Art der Meditation: man wird still, passiv, spannungslos, und wehrt Wahrnehmungen und Gedanken ab, bis sie nicht mehr kommen, und dann artikuliert sich nichts mehr: die Welt ist weg, und man selbst ist immer noch da.
Eine Spur dieses Selbst kennen wir auch im Alltag: unseren "Ich-Punkt" oder besser Selbst-Punkt, üblicherweise der Punkt, "von dem aus wir sehen", "in der Mitte hinter den Augen". Wir können uns jeden Moment auf dieses Selbst konzentrieren, das z.B. gerade diesen Text vor sich hat und liest, in einer Umgebung, in einem Raum, in einem Gebäude, in einer äußeren Welt, in einem Zusammenhang von Vorstellungen und Gedanken, die zusammen unsere gegenwärtige Welt, aber eben nicht unser Selbst sind, sondern sozusagen alles außen um unser Selbst herum.
Darüber hinaus können wir den Selbst-Punkt auch ziemlich beliebig verlagern, an einen entfernten Ort oder sogar an einen nicht wirklichen Ort, in eine Gedankenwelt, in eine Erinnerung. Der Selbst-Punkt ist für die Dauer unseres Lebens an unsere Welt gebunden, darin aber im Prinzip ganz frei.
Halten wir also mit aller gebotenen Vorsicht fest: Wir sind in der Welt und gehen darin auf, aber die Instanz unserer eigentlichen Existenz befindet sich, und "spielt" von, außerhalb der uns im Daseinsfilm begegnenden Welt.
Die annähernde Rede des Alten Testaments stellt Gott u.a. als "Schöpfer des Himmels und der Erde" dar, und in der Berufungsgeschichte des Moses wird erzählt, dass Gott sich selbst als "Ich bin, der ich bin" und als "Ich bin da" bezeichnet. Man braucht daran nichts zu verbiegen, um es mit der Rede von unserem interaktiven Daseinsfilm in Einklang zu bringen.
Die "Erde" ist die Welt, und der "Himmel" ist das Außerweltliche, denn zur Zeit der Verfasser der biblischen Schöpfungsgeschichte war die Erde der Raum aller Dinge und Phänomene, die überhaupt den Menschen im Leben begegnen konnten, und der Himmel war das Göttliche, Jenseitige, dem Menschen im Leben oder sogar überhaupt nicht Zugängliche.
Gott wäre danach also der Schöpfer des Außerweltlichen und der Welt, die unser Dasein konstituieren, und damit in unserer Analogie so etwas wie die Instanz, die uns in diesen interaktiven Film hineingesetzt hat, ihn für uns "live" produziert und vorspielt, und uns darin wahrnehmen und agieren lässt – mit allen möglichen "Einlagen" glücklichen und schlimmen Schicksals.
Gott ist als außerweltlich gemeint, und daher kann man sich keinen Begriff von ihm machen und nicht begrifflich von ihm reden. Das ist übrigens auch die Bedeutung des Zweiten Gebots des Alten Testaments: Du sollst meinen Namen nicht missbrauchen. Solange man dies berücksichtigt, kann man die Bezeichnung "Gott" praktisch verwenden, und das wird dieses Buch weiterhin tun, wenn auch nicht ausschließlich.
Besonders beachtenswert ist in diesem Zusammenhang das Wort "ich". "Ich bin da", von Gott gesprochen, sagt so etwas wie: Gott ist Dasein. In unserer obigen Analogie "sind" aber wir, die Menschen bzw. unser "eigentliches Selbst", in der Daseinssituation – jeder Mensch für sich ist sein Dasein, das Dasein. Die Frage liegt also nahe: Ist Dasein nun ein Begriff, mit dem man auf Gott, oder auf den Menschen, oder auf beide zeigen will, und meint er dann dasselbe?
"Hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott", sagt der Volksmund. Wir haben ja schon festgestellt, dass das Außerweltliche nicht in Begriffe zu fassen ist und daher auch keine uns zugängliche Struktur haben kann. Wenn wir also von unserem außerweltlichen Selbst und einem außerweltlichen Gott sprechen, so können wir sie begrifflich nicht unterscheiden. Was wir haben können, sind ggf. verschiedene Sichten auf ein und dasselbe. In diesem Sinne reden wir weiter unten von "Dimensionen des Außerweltlichen", und benutzen je nach Sicht auch verschiedene Bezeichnungen: "das Außerweltliche", "Gott", "das Eigentliche Selbst", "die Anderen".
Um auf die Ausgangsfrage zurück zu kommen: Wo ist Gott? Antwort: Direkt in unserer Daseinssituation. Wenn wir es z.B. schaffen, unser Eigentliches Selbst in den Blick zu bekommen, dann können wir damit auch Gott in den Blick bekommen.
Ist das nicht schon einmal ein ansehnliches Ergebnis? Es ist kein Gottesbeweis. Aber es ist auch nicht leicht, das Außerweltliche zu leugnen, wenn man damit auch das eigene außerweltliche Selbst leugnen müsste. Und gibt es eine bessere Erklärung des berühmten und rätselhaften Textes aus der Schöpfungsgeschichte: "Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn"! Vor 2500 Jahren hat der Schreiber dieses Textes offensichtlich unsere Daseinssituation klar gesehen und sie in ein griffiges religiöses Wort fassen können.
Nein. Um es kurz zu sagen: Im Grunde wissen wir es. Es ist das, woher wir kommen. Wir sehen es klar, wenn wir uns ihm – wieder, zurück – zuwenden, und manchmal gerät es uns auch zufällig in den Blick. Im Alltagsleben in der Welt scheinen wir normalerweise zu weit davon entfernt zu sein, eventuell so weit, dass uns nicht nur die Sicht verdeckt ist, sondern auch der Zugang verloren gegangen, d.h. die Rückbindung abgebrochen ist.
Wie kann man sie einigermaßen sicher wieder herstellen, wie kann man zunächst überhaupt einmal zu einem entsprechenden "Aussichtspunkt" hinfinden? Jedenfalls berichten seit je viele Menschen mehr oder weniger glaubwürdig, Gott oder einen Eindruck von Gott "gesehen" zu haben, in keineswegs ungewöhnlichen Situationen, sondern solchen, die eher jedermann zugänglich sind.
Wenn uns aber die innerweltlichen Begriffs- und Erkenntnistechniken dafür nicht zur Verfügung stehen, wie kann man herausfinden, ob die Reden und Beschreibungen in diesen Berichten zielführend sind, wie kann so etwas "Wahrheit" sein?
Vergegenwärtigen wir uns, was jeder weiß: Das Schicksal kann uns so schlagen, dass uns von unserem Leben nicht viel mehr als die "nackte Existenz" bleibt. Wenn wir es nicht erlebt haben, so können wir uns doch zumindest vorstellen, dass dann nicht mehr viel unseren Blick verstellen wird und dass uns dann innerweltliche Wahrheit wenig kümmert. Es gibt dann nur noch "eine Wahrheit", nämlich die unzweifelhafte Sicht auf die eigene existenzielle Situation. (Es fehlen uns dann eventuell die Worte, um unsere Sicht einem Anderen sicher zu vermitteln, aber jemand der uns liebt, versteht uns in vielleicht dieser Situation.)
Diese Art Wahrheit, die existenzielle Wahrheit, ist "einschichtig": es gibt kein Gegenteil, das falsch ist, keinen Ausweg. Wir verstehen sie unmittelbar und absolut als solche, sobald sie uns in den Blick kommt: sie ist uns eigentlich immer schon vorweg erschlossen.
Gott sei dank ist es nicht so, dass uns solche Wahrheit nur auf die harte Tour zugänglich wäre. Sie trifft uns gelegentlich sehr positiv, ohne dass wir Einfluss darauf hätten, als plötzlich aufblitzende Klarsicht.
Aber auch ohne solche besonderen Erlebnisse können wir versuchen, eigene Kompetenz für das Außerweltliche aufzubauen, indem wir bei dem beginnen, was in diesen Fragen angeblich kompetente Menschen über die Jahrtausende hin geäußert haben. Wir wissen nun schon eines: Wenn es sich wirklich um Kompetenz handelt, dann muss die Einsicht erkennbar sein, dass Außerweltliches nicht begrifflich fassbar ist, und dann können es keine Reden sein, die als unumstößliche, begrifflich scharfe Glaubens-"Wahrheiten" gemeint sind, sondern es müssen annähernd zeigende Reden sein, die uns helfen, den Blick auf das Außerweltliche zu gewinnen.
Wir können versuchen, in einen "Engelskreis" hinein zu kommen: Indem wir geeignete Äußerungen finden, die uns erfolgreich etwas zeigen, können wir unser Repertoire an existenziellen Sichten weiter entwickeln und damit wiederum unsere Aufmerksamkeit und Entdeckungsrate erhöhen. Dabei sollten uns scheinbare, äußerliche Widersprüche zunächst einmal nicht stören, solange die Reden nur wirksam zeigen.
Am besten fangen wir bei Menschen an, die sich – möglichst durch große Lebenserfahrung und besondere Sensibilität legitimiert – aus erster Hand direkt über die menschliche Existenz äußern. Geeignet sein können religiöse Autoren verschiedener Religionslehren, Philosophen, Erzähler und Dichter, und nicht zuletzt persönlich bekannte vertrauenswürdige Menschen mit existenziellem Tiefgang.
Anfangskompetenz ist verfügbar, nicht auf der Basis unbesehen zugebilligter Autorität sondern auf Probe, bis wir genügend eigene Kompetenz aufgebaut haben. Wenn überhaupt das Wort "Glaube" in diesem ganzen Zusammenhang treffend sein kann, dann in dem Sinne, dass wir den Quellen existenzieller Anfangskompetenz anfangs und temporär glauben. Bis wir es am Ende nach gehöriger Such- und Entdeckungsarbeit selbst sehen und wissen.
Es ist unsere persönliche Wahl, welche Äußerungen von wem wir als Starthilfe für unsere existenzielle Wahrheitsfindung nehmen. Bei diesem Buch stammen sie vor allem aus der Bibel und von Martin Heidegger.
Wie man sieht, ist dies keine wissenschaftliche Abhandlung, etwa aus den Bereichen Philosophie oder Theologie, auch wenn sie daran anknüpft. Die Zitate sind freihändig, die Quellen sind, wenn überhaupt, dann nicht präzise genannt, die Sprache ist zwar entschlossen aber unscharf. Das kann nicht anders sein, denn wir können, wie schon erwähnt, über Existenzielles nicht besser als annähernd zeigend reden. Es geht nicht darum, ob man den Reden in diesem Buch vertraut sondern, ob man das, was es zeigen will, selbst – und ggf. besser – sieht.
Andererseits ist dies auch keine Predigt. Bewusst vermieden ist die Belegung mit Emotionen, Symbolik, Mysterien und Pathos, die uns vielleicht motivieren und in die richtige Richtung drängen könnten, ohne dass verständlich würde, warum und wo wir uns zwischenzeitlich befinden, und wo wir am Ende ankommen werden. Das Ziel ist nicht, dass wir ein besonderes Gefühl erlangen, wie ernsthaft und wertvoll auch immer, sondern dass wir auf den Grund unserer Existenz finden. Und hier ist der Weg nicht das Ziel.
Was ist dann der Wert dieses Buches? Dass wir in einem möglichst sachlichen Ansatz existenzielles Wegweiser-Material sammeln und weiterhin sachlich die darauf aufbauenden Konsequenzen herausarbeiten. Die sind nämlich dramatisch, weil sich das Meiste, was uns an Religionslehren so befremdet, aus dem Wege räumen lässt.
Unser Blick auf unser Dasein wird dadurch ein ganzes Stück freier, und nur dadurch können wir überhaupt erst in die Lage kommen, existenzielle Fehler zu vermeiden und eine "frohe Botschaft" als plausibel zu erkennen.
Und wo befinden wir uns "zwischenzeitlich" gerade in diesem Buch? Wir sind drei Zumutungen an unsere Vernunft begegnet:
1. Die Wurzel unserer Existenz liegt außerhalb unserer Welt. Analog zu einer virtuellen Realität "steuern" wir die eigentliche Realität unseres Lebens in der Welt von einem "Punkt" außerhalb, von unserem Eigentlichen Selbst.
2. Die Welt ist alles, was wir
begrifflich fassen können. Daher kann man Außerweltliches begrifflich nicht
fassen. Da uns zur Kommunikation nichts Anderes als unsere üblichen Begriffe
zur Verfügung stehen, können wir damit bestenfalls eine annähernd zeigende Rede
über Außerweltliches versuchen. Solche Rede enthält daher zwar
"Objekte" und "Relationen", diese können aber nur unseren
Blick lenken helfen und sind begrifflich nicht verwertbar (etwa in Schlussfolgerungen)
sondern – streng genommen – begrifflich falsch.
Die annähernd zeigende Rede über Außerweltliches hat trotzdem in der Praxis von
Jahrtausenden immer wieder funktioniert. In uns ist ein Gespür dafür angelegt.
3. Der beschriebene Begriffsvorbehalt ist auch gegenüber der Rede von "Gott" unabdingbar. Aber die Rede von einer "Instanz", die uns in die Daseinssituation gesetzt hat und uns "live" präsentiert, was uns in der eigentlichen Realität unseres Lebens begegnet, ist naheliegend und auf ihr werden wir weiter aufbauen können.
Hie und da in unserem Leben haben wir vielleicht einmal gemerkt, dass wir nicht nur in der Welt sind, wo andere Menschen neben uns sind, die unsere Erlebnisse teilen, sondern auch irgendwie davor und ganz auf uns allein gestellt, und zwar so, dass es kein "neben uns" gibt.
Wir haben keine Organe, um diese Situation zu sehen. Alles, was uns begegnet, begegnet uns in der Welt. Wir müssen irgendwie an der Welt vorbei, durch sie hindurch oder von ihr absehen, um unsere Daseinssituation in den Blick zu bekommen. Wir haben schon einige Beispiele dafür genannt, wie das geschehen kann: wenn uns das Schicksal oder andere Menschen an die Existenz gehen, wenn wir tief meditieren.
Es gibt auch spontane "Aussetzer" der Welt, bei denen die Welt plötzlich z.B. einige Sekunden Pause macht: In der Welt, d.h. in dem, was wir sehen, hören, fühlen, denken usw., tut sich einen Moment nichts, alles steht.
Und in uns blitzt das Gefühl auf: das ist ein besonderer, vielleicht fesselnd schöner Moment. Man vergisst ihn nie mehr. Der Bericht von Moses und dem brennenden Busch zeigt so eine Situation. Es kann aber auch ein Blätterzittern in einem sonnigen Hain sein. Oder ein überwältigender Eindruck von Schönheit.
Bei so einem Erlebnis "steht" die Welt, bzw. genauer, die Zeit ist weg, das Erlebnis ist zeitlos, man hat darin "Berührung mit der Ewigkeit". Irgendwann aber hat unsere Zeit angefangen.
Halten wir uns ein Stück weit an überlieferte existenzielle Kompetenz.
"Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde" – sagt die Bibel ganz am Anfang –, und die "Erde", d.h. die uns im Dasein begegnende Welt, war chaotisch und leer. Und dann "sprach" Gott, es werde dies und jenes, und es wurde.
"Im Anfang war das Wort" – so beginnt das Johannes-Evangelium und setzt kurz danach fort: "Alle Dinge sind durch dasselbige – das Wort – gemacht, und ohne dasselbige ist nichts gemacht, was gemacht ist".
"Der Weg, der beschrieben werden kann, ist nicht der ewige Weg. Der Name, der genannt werden kann, ist nicht der ewige Name. Das Namenlose ist der Ursprung des Himmels und der Erde. Das Namhafte ist die Mutter aller Dinge." – So beginnt das Tao Te King des Lao Tse.
Und dies ist der gemeinsame Nenner: Das Außerweltliche ist der strukturlose Ursprung unseres Daseins und unserer Daseinssituation. Indem es "spricht", schafft es die Inhalte unserer Welt und lässt sie aus dem Chaos herausstehen und uns begegnen. Das ist dann unser interaktiver Daseinsfilm, in dem unsere außerweltliche Instanz – unser Eigentliches Selbst – in der Welt agiert. All das geschieht offenbar jetzt, gegenwärtig.
Wenn das Außerweltliche keine Struktur hat, dann auch keine Zeitstruktur: von einer vergangenen "Handlung" des Außerweltlichen können wir nichts wissen und nicht begrifflich reden. Die Vergangenheitsform "schuf" ist also auf das Außerweltliche hin nicht belastbar und kann sich nur auf den vordergründigen Ablauf der Schöpfungserzählung beziehen, nicht aber auf ihren existenziellen Gehalt.
Die Zeit, die wir kennen, ist die Zeit in der Welt. Unser außerweltlich verwurzeltes Dasein kann keinen Anfang in innerweltlicher Zeit haben, sondern es "ist da". Wenn man schon mit zeitlichen Begriffen davon spricht, dann besser in der Weise, dass es immer anfängt. In jedem Moment unseres Daseinsfilms lässt Gott eine neue Einstellung anfangen. Wir sind schon je in unserem interaktiven Daseinsfilm und gefordert, ihn zu bestehen. Die aktuelle "Szene" ist immer "live" und neu geschaffen, und dies ist der ständige Anfang.
Das Innere der Welt beginnt im Chaos, d.h. in einem gestaltlosen Durcheinander, und nimmt dann dadurch, dass das Außerweltliche "spricht", durch das "Wort" Gestalt an. Wenn man so will:
Die Welt ist die Artikulation dessen, was uns in unserem Daseinsfilm begegnet.
(Artikulation im engeren Sinne ist die Lautbildung beim Sprechen. Hier benutzen wir das Wort in einem erweiterten Sinne als allgemeine Art der Äußerung, Formation, Gestaltwerdung aus dem Nichts, dem Formlosen, dem Gestaltlosen heraus.)
Übersetzen wir die obigen alten Zitate in diese Redeweise:
Genesis: Am Anfang schuf Gott das Dasein mit dem Außerweltlichen und der Welt, und das Innere der Welt war unartikuliert. Dann artikulierte Gott dies und jenes und das begegnete uns als Welt.
Johannes: Im Anfang der Welt war die Artikulation ... Die Welt ist durch die Artikulation, und ohne die Artikulation ist nichts.
Lao Tse: Das Artikulierbare ist nicht das Außerweltliche. Das Unartikulierbare ist die Wurzel des Daseins. Artikulierbarkeit ist die Mutter aller Realität.
In den Reden der obigen Autoren ist also die Welt alles, was artikulierbar ist, und das bedeutet, weil Artikulation für uns immer begrifflich ist, dasselbe wie "begrifflich fassbar". Das Außerweltliche ist das Unartikulierbare, nicht begrifflich Fassbare.
Nun zum zeitlichen Anfang der Welt. Versuchen wir uns zu erinnern, wie unsere eigene, persönliche Welt begonnen hat, ganz subjektiv und bei jedem anders, aber möglicherweise wie folgt oder so ähnlich.
Unsere Erinnerungen reichen bis zu irgendeinem Zeitpunkt in unserer Kindheit zurück, vielleicht haben wir mehrere solche Erinnerungen, unscharfe, aber vollständige Bilder oder Kurzszenen. Wir sind nicht sicher, ob wir sie nicht womöglich mit Fotos, Filmen oder Videos verwechseln, die uns unsere Eltern später gezeigt haben, oder mit Vorstellungen, die auf Erzählungen unserer Eltern beruhen. Wir tun uns schwer, die frühen Erinnerungen zeitlich zu sortieren, aber es sieht so aus, als fielen sie in eine Zeit, in der wir schon ein paar Jahre alt waren. An unsere Geburt erinnern wir uns schwerlich, aber später haben wir Erinnerungen.
Wie immer man es erlebt haben mag, irgendwann hat sich die Welt zum ersten Mal in unserem Dasein artikuliert, und wir haben den Ausruf "da!" vielleicht nicht getan, hätten ihn aber tun können. Insofern ist "Dasein" ein sehr gut zeigender Begriff.
Je älter wir danach in unseren Erinnerungen sind, desto reicher und kohärenter sind sie, bis hin zu dem umfassenden Blick, den wir auf die Erlebnisse und Umstände der letzten Zeit haben. Unsere Welt hat klein angefangen und ist seitdem gewaltig angewachsen.
Oben haben wir festgehalten, dass Gott uns in den "Daseinsfilm" gesetzt hat. Heidegger spricht in "Sein und Zeit" zwar nicht von Gott, aber davon, dass das Dasein "geworfen" ist – er sagt nicht, von wem geworfen. Er meint die Geworfenheit nicht als per se negativ belegt, aber in ihrer Folge leben wir nun in der Welt und empfinden es als unsere Schuldigkeit, weiter zu leben, ob wir es wollen oder nicht. Ja, wenn wir uns unserem Gewissen nur ehrlich aussetzen, dann sagt es uns, dass wir das Leben zu mehren haben.
Leben zu mehren liegt in der Natur des Menschen, Welt erschließen ist eine inhärente Qualität, eine Dimension des Daseins. Man erschließt sich umso mehr Welt, je mehr man aufnimmt, was einem begegnet. Man nimmt umso mehr auf, je interessanter und wichtiger einem alles ist. Und je mehr man aufnimmt, umso interessierter wird man.
Gegebenenfalls merkt man beim kleinsten Phänomen, wie viel sinnfällige, funktionierende, reiche und schöne Struktur dahinter steht, damit es einem so begegnet, wie es einem begegnet. Und gegebenenfalls merkt man, dass es Millionen solcher kleiner und großer Phänomene sind, die den Daseinsfilm bilden, der nur für einen persönlich ist, und dann kann man gar nicht genug kriegen. Und das ist der Charakter des Daseinsfilms, den Gott uns individuell "live" vorspielt – kostenlos. Kinder können sich besonders stark und auffällig daran erfreuen, und sie entwickeln sich dann besonders schnell.
Tatsächlich sind wir alle bei der "Mehrung des Lebens" schon einen langen Weg gegangen. Bedenken wir nur, wie wenig wir am Anfang unseres Daseinsfilms vermochten, und wo wir, jeder für sich, heute in seinen Einsichten und Fähigkeiten angekommen sind, wie klein unsere Welt anfangs war, und wie sie sich seither entwickelt hat.
"Macht euch die Erde untertan" sagt Gott in der Bibel zu den frühesten Menschen, und als existenzielle Rede gilt das für jeden Menschen von Anfang an. Jeder spürt diesen Antrieb in den frühesten Jahren und vollzieht ihn, und das ist hier der Schlüssel zum richtigen Verständnis des Untertan-Machens: "Erde" steht, wie schon gesagt, für "Welt". Was man von Kind auf mit der Welt tut, ist, sich von dem Unbekannten und Neuen, das einem begegnet, irgendeine Vorstellung zu machen und diese auf die Probe zu stellen, zu bewähren, korrigieren, abändern, verwerfen, ersetzen, verfeinern, d.h. an ihr zu arbeiten, bis nichts sie mehr in Frage stellt. Dann hat es das Kind "begriffen" und nimmt es in seine Aktionsmöglichkeiten auf und automatisiert es. Auf diese Weise vergrößert der Mensch seine Welt und erschließt sich neue Welten. Die Welt wächst und im selben Maße wächst man daran.
Sich in der Welt bewegen, wie man sie sich schon erschlossen hat, und gar nur im verengten Modus des Untertan-Machens von Unterwerfbarem, ist nicht das Wesen dieser Entwicklung. Gefragt ist die Erschließung von mehr und neuer, unerschlossener Welt, d.h. immer zu erreichen, dass man nachher etwas leben kann, das man vorher nicht leben konnte, dass nachher etwas zu meiner Welt gehört, das vorher darin nicht vorkam. "Macht euch die Erde untertan" heißt: Euer innerweltliches Leben ist so angelegt, dass ihr euch immer mehr Welt(en) erschließt.
Im selben Sinne muss auch die Rede: "Seid fruchtbar und mehret Euch!" verstanden werden, und damit strapaziert man sie keineswegs. Es ist genau anders herum: Die übliche, auf die biologische Fortpflanzung bezogene Interpretation ist zu billig, denn sie verfehlt den gewichtigen existenziellen Inhalt. Wir wissen, dass wir das Leben in einem ganz umfassenden, totalen Sinn zu mehren haben, und von diesem Standpunkt her ist klar, dass das Bibelwort nicht ein schwacher Satz über einen Trieb ist, sondern eine starke Rede über eine grundlegende Gegebenheit des Daseins.
Um diese Struktur geht es auch in Jesu Gleichnis von den Talenten, in dem ein reicher Herr dreien seiner Leute vor einer längeren Abwesenheit jeweils einiges Kapital gibt und bei seiner Rückkehr die zwei lobt, die es vermehrt haben, und den bestraft, der es sicher vergraben hat und so zurück gibt wie erhalten. Übersetzt in unser Bild heißt das: wir sind nicht nur so strukturiert, dass wir in unserem Dasein unsere innerweltlichen Lebensmöglichkeiten mehren, sondern das Lebens-Spiel funktioniert nicht, wenn wir sie nicht mehren.
Toleranz, "leben und leben lassen", Humanismus, Menschenrechte: das reicht eindeutig nicht. Leben zu mehren ist die Spielregel, das existenzielle Gesetz unseres Daseins.
Die Verweigerungshaltung gegen die Mehrung des Lebens nennen wir das Böse.
Die Konsequenz des Bösen – wenn man so will: die "Strafe" – ist die Minderung unseres Lebens, der Rückbau unserer Möglichkeiten und die Verarmung unserer Welt: wie wenn man in einem interaktiven Computerspiel die Hebel und Knöpfe systematisch falsch oder gar nicht bediente: dann wäre die eigene Figur verloren.
Sehen wir uns noch genauer an, wie das Erschließen von Welt funktioniert: Um in der Welt verstehend wollen zu können, müssen wir sie begriffen haben, d.h. uns Begriffe gemacht haben, von den Objekten, ihren Eigenschaften und ihren Zusammenhängen.
Wie können wir begreifen, wie kommen wir auf Begriffe? Wir können es von Grund auf, unser Begreifen der Welt beginnt mit der schon vorhandenen Fähigkeit. Die Welt begegnet uns in unseren Begriffen, und dabei ist nichts "zwischen" der Welt und den Begriffen.
Verstehen-Können des Innerweltlichen ist ein unabtrennbarer Zug des Daseins, oder anders gesagt: Intelligenz ist eine Dimension des Daseins. Die Ausdrücke "Gott sprach" bzw. "das Wort war bei Gott" beziehen sich auch darauf, dass wir Sprache und Wort üblicherweise verstehen: Gott hat uns das begriffliche Verstehen und Handeln in die Situation des Daseinsfilms mitgegeben. Der Daseinsfilm ist geradezu unser mitlaufendes Verständnis dessen, was uns in der Welt begegnet. Wir können darin bestehen, indem wir das uns Begegnende schon kennen oder dafür "live" neue Begriffsstrukturen aufbauen.
Wir wollen noch einmal ausdrücklich festhalten: Das Verstehen – im Sinne des Erschließens unserer Welt – ist konstruktiv, nämlich das fortschreitende Konstruieren des Begriffsgebäudes, das unsere Welt ist.
Heidegger benutzt zur Darstellung dieser Gegebenheit den Begriff "Entwurf". Bei ihm ist das Dasein ge-worfen, und aus der Geworfenheit ent-wirft es sich verstehend.
Unsere jeweilige persönliche Welt ist unser Entwurf, wir haben sie selbst konstruiert.
In diesem existenziellen Sinne ist jeder seines Glückes Schmied, nicht nur in dem Sinne, dass man sich in der Welt anstrengen und damit in der Regel einen gewissen Wohlstand erreichen kann. Unsere Welt ist so, wie wir sie sehen wollen.
Wohlgemerkt: Konstruktiv ist unser Verstehen auch, wenn wir – gemäß unseren gängigen Begriffen – "analytisch" vorgehen, um hinter eine Sache zu kommen. Um etwas zu analysieren, d.h. es in seine Strukturbestandteile "aufzulösen", muss man vorweg schon Begriffe von diesen Bestandteilen entworfen haben.
Das, was uns in der Welt begegnet, harmoniert meist unmittelbar mit dem, was wir schon kennen, mit unseren verfügbaren Begriffsstrukturen. Wenn es harmoniert, verstehen wir es sofort, andernfalls verstehen wir es nicht oder ungenügend. Wir bemerken und vollziehen dabei kein Abbilden von innerweltlichen Strukturen auf mentale Strukturen und hantieren kein "Weltmodell". Das einzige, was wir merken, ist, dass wir verstehen oder dass uns so etwas noch nicht begegnet ist, und das merken wir eher nicht als Ereignis sondern als eine Art Resonanz oder fehlender Resonanz. Die Resonanz kann sich blitzschnell, sozusagen in Null Zeit einstellen.
Auch eine Theorie, d.h. eine mentale Erklärung, ist keine Abbildung von Welt. Eine Theorie begegnet uns ihrerseits als innerweltliches Objekt, nämlich als Objekt in unserer persönlichen Gedankenwelt, bzw. als Repräsentation dieses mentalen Objektes in Form von kommunizierbaren Objekten wie Wörtern, Formeln, Grafiken u.a.m. Hier gibt es zweierlei Gegenstände von Verstehen: Einerseits können wir eine kommunizierte Theorie im obigen Sinne verstehen, d.h. mit dem in Resonanz stehen, was sie meint. Andererseits können wir die von der Theorie vorausgesetzten und vorhergesagten Realitäten wie Messwerte, Färbungen, Muster u.a.m. verstehen, wenn sie uns in der Welt begegnen.
Diese beiden Gegenstände begegnen uns im Verstehen einer Theorie; dagegen begegnet uns nie die in der Theorie entworfene, fiktive Hintergrundstruktur der Welt. Das Elektron begegnet einem nie, wohl aber begegnen die aufgeschriebene Theorie, in der von Elektronen die Rede ist, und die Anzeige auf dem Messgerät, von der wir auf einen Fluss von Elektronen schließen. Das Getuschel der Nachbarn begegnet einem normalerweise nicht, aber andere Reden, aus denen man es folgern kann. Das Elektron und das Getuschel sind kleine Beispiele für die fiktive Hintergrundstruktur von Welt, die einem nie begegnen. Aber natürlich sind Theorien ein wichtiges Mittel zum Verstehen von Welt, zum Vorhersagen und Herbeiführen dessen, was uns unter bestimmten Bedingungen begegnet.
Ob wir das verstehen, was uns in der Welt begegnet, darüber haben wir keine Kontrolle. Warum verstehen wir etwas auf einmal, wo wir es doch vorher vergeblich zu verstehen versucht haben, oder vorher gar nicht bemerkt haben, dass da überhaupt etwas zu verstehen ist? Wieso ist man einmal geradezu verblendet, und ein andermal geht einem ein Licht auf?
Bevor wir dieser Frage weiter nachgehen, beschäftigen wir uns, sozusagen nach dem rezeptiven Aspekt, auch gleich mit dem aktiven Aspekt unseres Daseins.
Mit dem Handeln ist es genauso wie mit dem Verstehen. Wir haben keine Kontrolle. Wir tun vom einen zum anderen Moment etwas, das wir zuvor eben nicht taten. Dazwischen liegt ein Handlungsimpuls, der uns vielleicht überlegt erscheint und auf einem Entschluss basiert, vielleicht aber auch nicht, oder vielleicht sogar die Überlegungen und den Entschluss ignoriert oder konterkariert. Denn manchmal denken wir, dass unser Handlungsimpuls sofort kommt, aber er kommt nicht. Oder wir wollen etwas nicht tun, aber der Handlungsimpuls kommt. Im Extremfall kann es sein, dass jemand nach umfassender Überlegung mit absoluter Klarheit erkennt, was zwingend zu tun oder zu unterlassen ist, und dann das Gegenteil unternimmt.
Trotzdem empfinden wir, dass wir es sind, die handeln, dass wir jede einzelne Handlung jederzeit tun oder lassen können, und dass wir deshalb für unser Handeln verantwortlich sein können.
Was heißt überhaupt "handeln" im Kontext unserer Vorstellung vom interaktiven Daseinsfilm? Antwort: Herbeiführen, dass uns in der Welt etwas Bestimmtes begegnet, das wir schon zu verstehen gelernt haben, etwas "wieder holen". Wir verstehen nicht nur abstrakt, wie das zusammenhängt, was uns begegnet, sondern wir verstehen auch – wir haben Entwürfe für das –, was uns als nächstes begegnen kann, und daraus wählen wir sozusagen eine Zukunft aus – wir ent-werfen uns in die Zukunft hinein.
Führen wir uns das an einem beliebigen Beispiel vor Augen: Wir wandern gelegentlich, die Welt der einfachen Wanderungen ist uns gut erschlossen. Uns begegnet, dass wir an eine Brücke über einen Bach kommen. In dieser "Begegnung" ist alles abrufbar ("wieder holbar"), was wir davon verstehen: feste Schritte auf einer Betonbrücke, kontrollierte Schritte auf feuchten Holzbohlen, die Festigkeit von Geländern, die Geräusche von Schritten, die Unfallgefahr, der Schaden, wenn wir nicht über die Brücke gehen und deshalb nicht an unserem Ziel ankommen, die Dauer des Rückwegs usw. Wir merken kaum, dass wir nun eine Wahl treffen, und als nächstes begegnet uns vielleicht, dass wir über die Brücke gehen.
Tatsächlich gibt es viele Möglichkeiten dafür, ob und wie wir wählen und was uns daraufhin begegnet. Wir können die Situation total "verschlafen", geistesabwesend über die Brücke gehen und uns nach einiger Zeit fragen, ob wir schon über die Brücke gegangen sind. Wir können vor der Brücke auf die Uhr schauen, prüfen, ob es nicht zu spät ist weiterzugehen, und uns entscheiden weiterzugehen, und dann gehen wir über die Brücke und wissen hinterher sehr genau, wann wir über die Brücke gegangen sind. Wir können uns entscheiden über die Brücke zu gehen, sie ist aus Holz und eine der Bohlen ist morscher als gedacht, wir brechen mit ihr ein, und es begegnet uns etwas ganz Anderes als unser "Entwurf" des Gehens über die Brücke. Uns kann auch vorher die Brüchigkeit erschlossen sein, und dann begegnet uns kein normales Gehen über die Brücke sondern, dass wir Bohle um Bohle einzeln auf Trittfestigkeit prüfen, bevor wir sie belasten. Schließlich kann die Brücke eine weit schwingende Hängebrücke aus Naturseilen über einer 100 Meter tiefen Schlucht sein. Wir nehmen allen Mut zusammen und entscheiden uns hinüber zu gehen, und uns begegnet, dass wir umdrehen und nicht hinüber gehen.
Je besser wir die Situation verstehen, desto größer ist die Chance, dass das, was uns nach dem Entschluss begegnet mit unserem Entwurf harmoniert, denn wir handeln ja verständig und lassen Verstandenes nicht absichtlich unberücksichtigt. Wir berücksichtigen sogar, was wir über unseres eigenes, gelegentlich zu vorsichtiges oder zu leichtsinniges Entschlussverhalten wissen.
Wir entschließen uns zu dem, was wir verstehen. Wir wissen, was wir wollen und verstehen, was daraufhin als Nächstes richtigerweise zu tun ist, und dann ist das unser Entwurf und unser Handeln. Verstehen und Handeln sind zwei Seiten derselben Medaille. Auch wenn unser Handeln ein anscheinend passives Laufen-Lassen des Daseinsfilms ist, hat es diesen Inhalt und wir verstehen, was dann passieren wird.
Und dann begegnet uns das, was wir entworfen haben – oder auch nicht. Unser Handeln funktioniert meistens, wir handeln meist verstehend, aber es kann auch anders kommen, z.B. weil unser Verständnis der Situation nicht immer zureichend ist. Dieses "Anders-Kommen" erschließt uns neue Welt.
Außerdem kann es auch noch geschehen, dass wir "einfach so" etwas Anderes tun als das, wozu wir uns entschlossen haben. Unser Handlungsimpuls ist ein anderer als unser Entschluss, weil wir unser innerweltliches Wesen falsch eingeschätzt haben.
Machen Sie einen Selbstversuch mit einer unbedeutenden Bewegung, z.B. mit dem Abspreizen eines Daumens, und zwar ungestört und konzentriert, und mehrmals nacheinander, aber lesen Sie diesen Absatz vorher zu Ende: Legen Sie den Daumen an, nehmen Sie sich vor ihn abzuspreizen, entschließen Sie sich ihn abzuspreizen und beobachten Sie, wann und ob Sie es daraufhin tun.
Sie werden feststellen, dass die Bewegung meist nicht sofort kommt. Wenn Sie sich auf den Willen zur Bewegung konzentrieren, kommt sie vielleicht gerade, wenn Sie in dieser Konzentration nachlassen (wenn Sie "auslassen"). Manchmal können Sie lange auf die tatsächliche Bewegung warten, viele Sekunden.
Wir haben keine Kontrolle über den Handlungsimpuls – übrigens auch nach dem Stand der Wissenschaft.
Wir haben keine Kontrolle darüber, ob und wann wir etwas verstehen, aber wir verstehen. Wir haben keine Kontrolle über unsere Handlungsimpulse, aber wir können willentlich handeln. Unsere Handlungen beruhen auf unserem Verstehen, aber wenn sie anders ausgehen als erwartet, sind wir nicht gleich tot, sondern es erschließt sich uns neue Welt. Vor allem aber können wir verstehen und handeln, weil wir uns in der Welt auf die Kontinuität der regelmäßigen praktischen Zusammenhänge und der Naturgesetze verlassen können.
Und wir zahlen keinen Preis für das Verstehen und keinen Preis für das Handeln-Können. Sie sind uns "geschenkt", immer wieder, in jeder Situation.
Wir sind nicht "unfair" in unser Dasein geworfen, sondern die Welt zeigt uns zuverlässig, wie sie ist und funktioniert. Uns ist die Fähigkeit mitgegeben, in der Welt erfolgreich erkennen und agieren zu können und sie damit zu konstruieren und zu erschließen.
Wir sind hier wieder an einem Anfang des Daseins, nicht am Anfang unserer Lebenszeit in der Welt sondern an der Wurzel unseres Verstehens und Handelns. Jede Bemühung um ein Verstehen und jede Bemühung um ein Tun erhofft das Eintreten des Verständnisses bzw. der tatsächlichen Handlung, ohne dass wir eine Handhabe dafür hätten, geradezu aus dem Nichts. Und sie artikulieren sich gleichsam aus dem Nichts.
Man kann sich durchaus ein Urvertrauen als Grundhaltung vorstellen, ohne nach einem Gegenüber fragen zu müssen, dem es gilt. Aber, wenn wir nicht die Kontrolle haben, woher kommen dann die Verstehens- und Handlungsimpulse? Praktischerweise haben wir schon eine Rede über eine außerweltliche Instanz, die uns in den Daseinsfilm gesetzt hat und uns darin allerlei begegnen und artikulieren lässt. Das sagt doch schon alles. Es ist, wie wenn Gott uns die Verstehens- und Handlungsimpulse begegnen lässt. Oder mit anderen Worten: unsere Intelligenz wurzelt im Außerweltlichen.
Eine der überzeugendsten Darstellungen von Urvertrauen ist der berühmte Psalm 23. Seine Sprache ist poetisch und vergleicht unsere Lage mit der eines vom Hirten perfekt gehüteten Schafs. Da dieses Bild heutzutage viele befremden dürfte, folgt hier eine Transkription des Psalms in die Sprache dieses Buchs. Der Anspruch ist nicht, die Poesie des Originals zu übertreffen, sondern seinen sachlichen Inhalt auszubreiten. Es ist jedem unbenommen, das Original trotzdem stärker zu finden.
Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. |
Das Außerweltliche bewirkt, dass ich das Leben meistere. Ich bin so angelegt, und was mir in der Welt begegnet, ist so gefügt. |
Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. |
Was ich zum Leben brauche, ist mir erschlossen und gegeben: Essen, Trinken, Energie, Wissen, Können, Urteilskraft, Wille, Augenmaß, Mut, Ausdauer. Wenn ich die Orientierung verliere, finde ich sie im Blick auf das Außerweltliche wieder. |
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. |
Auch wenn es mir schlecht geht, wenn ich angefeindet werde, ja wenn mir der Tod droht, kann ich dies bewältigen und mich sogar der vielen guten und schönen Dinge freuen, die mir im Leben geschenkt sind. |
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar. |
Bedingung ist, dass ich meine außerweltliche Verwurzelung und die gleiche Situation der anderen Menschen im Auge behalte. Diese Sicht kann jeder gewinnen. Wenn man sie hat, ist alles gut. |
Überprüfen wir an dieser Stelle wieder einmal den hiermit erreichten Stand der "Zumutungen für unsere Vernunft". Über die im Kapitel 4 zusammengefassten Erkenntnisse hinaus haben wir inzwischen folgende angesammelt:
4. Die Welt konstruieren wir selbst durch begriffliche Artikulation und Strukturierung des uns aus dem Chaos heraus Begegnenden.
5. Über die zugehörigen Verstehens- und Handlungs-Impulse haben wir keine Kontrolle, da sie außerweltlich verwurzelt sind. Sie sind uns geschenkt.
Diese Zumutungen entsprechen vielleicht nicht der verbreiteten oder herrschenden Sicht, aber sie sind relativ unkompliziert, der Glaubensinhalt ist gering, und es ist deshalb vielleicht nicht allzu schwer, selbst den Blick darauf zu bekommen.
Das Dasein ist, wie wir von Anfang an gesagt haben, kein innerweltliches Objekt oder Phänomen, und wir können es deshalb nicht in Begriffe fassen, mit Attributen versehen oder in Relation setzen.
Um überhaupt näher vom Dasein reden zu können, benutzen wir hier den Begriff der Dimension in dem Sinne, dass es ganz verschiedene, annähernde Sichten auf das Dasein geben kann, die völlig unabhängig voneinander sind, so wie eine Konservendose von oben kreisrund und von der Seite rechteckig erscheint.
Einige Dimensionen des Daseins sind z.B. Göttlichkeit, Weltlichkeit, Zeitlichkeit, Intelligenz, Wahrheit, Liebe. In der Welt haben diese Dimensionen jeweils eine Ausdehnung, z.B.
· Göttlichkeit zwischen gottnah und gottfern,
· Weltlichkeit zwischen Distanziertheit zur Welt und Aufgehen in der Welt,
· Zeitlichkeit zwischen stehender Zeit und zeitbestimmtem Leben,
· Intelligenz zwischen mutiger Offenheit für Neues und Vergraben der Talente,
· Wahrheit zwischen Ehrlichkeit gegen sich Selbst und Selbsttäuschung,
· Liebe zwischen existenzieller Beziehung und Vergegenständlichung des Mitmenschen.
Das Dasein kann viele solche Dimensionen haben, und wir können darin jeweils bestimmte, feste oder bewegliche Positionen und Orientierungen ein- und annehmen. Zusammengefasst können wir sie unsere (Daseins-) "Haltung" in der Welt nennen.
Außerdem soll unsere Rede von "Dimensionen" die Strukturlosigkeit berücksichtigen. Stellen wir uns also statt der Konservendose einen Würfel mit verschieden farbigen Seitenflächen vor. Stellen wir uns den Würfel außerdem sehr klein vor – so klein, dass man ihn nur als einen Punkt sieht, also strukturlos. Weiterhin sollen die Seitenflächen des Würfels ihre Farben mit großer Intensität in den Raum strahlen. Wenn wir dann in den Leuchtkegel einer Seite – in eine "Sichtachse" – geraten, dann sehen wir deren Farbe. In großer Entfernung oder am Rande des Kegels sehen wir sie vielleicht nur schwach, aber wenn wir dem "Punkt" nahe oder auch nur genau in die Sichtachse kommen, dann kann das Licht so stark sein, dass wir die Farbe nicht mehr unterscheiden, sondern nur noch absolute Helligkeit sehen.
In diesem Sinne reden wir hier von Dimensionen des Außerweltlichen, die in die Welt hineinreichen, so dass es in der Welt Sichtachsen auf das Außerweltliche gibt, mit Attributen (farbig), die im Blick auf das Außerweltliche in etwas Absolutes (absolut hell) übergehen.
Eine bestimmte Dimension wollen wir hier noch herausgreifen, weil sie eigentlich jedem leicht zugänglich und dadurch für die vorliegenden Überlegungen sehr illustrativ ist: die Schönheit.
Jeder kann Schönheit erkennen, wenn sie ihm oder ihr begegnet. Jeder hat sein Verständnis von schön und hässlich. Die Künste bewegen sich u.a. in dieser Dimension. Manchen Künstlern ist es gegeben, Objekte und Erlebnisse zu produzieren, die man als schön erleben kann. Was das Ganze schön macht, lässt sich meist nicht genau sagen. "Es hat was", das man bestenfalls in annähernd zeigender Rede mitteilen kann. Schönheit kann man nicht definieren und nicht systematisch produzieren: das gewollt Schöne ist nicht schön. Schönheit findet sich aber im Überfluss überall in der Natur.
Das Schönste, das uns begegnet, überrascht uns derart, dass uns der Mund offen bleibt, dass wir nichts darauf antworten können, dass wir ganz weg sind. Diese Schönheit – auch wenn sie im Einzelfall "subjektiv" ist – empfinden wir als absolut, als "göttlich". Mit Hässlichkeit mag es Begegnungen geben, die unsere Geistesgegenwart überfordern, aber es gibt keine absolute, die Zeit und die Welt ausschaltende Begegnung mit ihr.
Es ist, als ob die innerweltliche Dimension der Schönheit an einem Ende mit der eigentlichen, reinen, gegenteilsfreien Daseins-Dimension, nämlich mit der absoluten Schönheit verbunden ist – und das nicht in asymptotisch-unendlicher Ferne, sondern so dass wir die absolute Schönheit zwar selten aber dann ganz nah sehen können.
Es ist diese Verbindung der innerweltlichen Daseins-Dimensionen mit dem Außerweltlichen, die es überhaupt möglich macht, dass wir uns mit Reden in innerweltlichen Begriffen dem Außerweltlichen nähern können, dass eine annähernd auf Außerweltliches zeigende Rede funktionieren kann: man kann über das reden, was in der Welt in der Nähe der Sichtlinien zu sehen ist.
Wenn man in eine Sichtachse auf das Außerweltliche oder in die Nähe einer solchen Sichtachse kommt, ergreifen einen große, positive Gefühle:
· in Blickrichtung auf das Eigentliche Selbst das Gefühl der Einswerdung mit Gott,
· in der Dimension der Schönheit das Gefühl, dass die Welt stehen bleibt,
· im Blick auf die existenzielle Wurzel des Anderen das Gefühl absoluter Liebe,
· in existenzieller Not das Gefühl absolut freier Entschlossenheit.
Aber das Gefühl ist nicht die Bindung an das Außerweltliche, sondern nur ein Symptom. Es ist, wie wenn das Gefühl, je näher der Blick dem Außerweltlichen kommt, seine Färbung verlöre, so dass bei weiterer Annäherung nur noch ein ganz reines, abstraktes Wesen des Gefühls übrig bliebe, so dass absolute Einheit, Schönheit, Wahrheit, Liebe, Entschlossenheit alle dasselbe sind, einfach nur noch absolut.
Da Dimensionen voneinander unabhängig und miteinander beliebig "verträglich" sind, kann man die Gesamtheit aller Reden der Art: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben", "Ich bin das Licht der Welt", "Gott ist Liebe", und die Rede vom "Dreieinigen Gott" mühelos als widerspruchsfrei akzeptieren. Sie sind in ihrer Menge insgesamt nicht widersprüchlich und nicht geheimnisvoller als jegliche einzelne Rede über Außerweltliches – Widerspruchsfreiheit ist ohnehin kein Kriterium für religiöse Reden: sie müssen nur einzeln und insgesamt gut auf das Außerweltliche zeigen.
Befassen wir uns zum Beispiel mit der Dreieinigkeit.
Die Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist besagt, dass das Dasein eine elterliche Dimension hat, eine kindliche Dimension und eine Dimension des Heils. Dies können wir nach all dem Vorherigen inzwischen leicht interpretieren.
Die elterliche Dimension verstehen wir in dem Sinn, dass wir nicht nur in die Daseins-Situation geworfen sind, sondern dass wir dafür ausgestattet sind, sie zu bestehen, dass wir die Verstehens- und Handlungsimpulse geschenkt bekommen, und dass wir wachsen können, auch auf Grund wohldosierter, steigender Herausforderungen sowie manchen Schadens, aus dem wir klug werden. Das sieht eben so aus, wie Eltern agieren, die ihr Kind fördern: es wohlbehütet dem nächsten Neuen aussetzen, das es bestehen kann.
Die kindliche Dimension verstehen wir von dem Urvertrauen her, mit dem wir uns auf alles einlassen, das uns begegnet, und mit dem wir uns unsere Welt erschließen. Sie ist auch in der ursprünglichen Freude an diesem Daseins-Spiel erkennbar, insbesondere an allem Neuen, vibrierend Interessanten, das uns in der Welt entgegen gebracht wird. Es ist bezeichnend, auf wie eigentlich Unangenehmes kindliche Freude anspricht. Stellen Sie sich vor, ein Riese wirft Sie 6 m hoch über sich in die Luft und fängt Sie dann wieder auf. Kinder kreischen bei so etwas eventuell vor Begeisterung und können lange nicht genug kriegen.
Um die Dimension des Heils sichtbar zu machen, müssen wir zuerst zeigen, was mit dem "Heiligen Geist" gemeint sein kann. "Heilig" sagt ungefähr dasselbe wie "heil", so wie wir von "heiler Seele" und "heiler Welt" reden. "Geist" fügt weniger eine Abgrenzung gegen das körperliche Heil, sondern eher eine Gestimmtheit hinzu. Es geht also um so etwas wie einen "Geist der heilen Welt", eine Daseinshaltung, in der man die Welt als "heil" sieht. Die innerweltliche Dimension erstreckt sich dann zwischen der Konstruktion der Welt als heile Welt und – am anderen Ende – als leid- und unheilvolles Jammertal. Die eigentliche Daseins-Dimension ist einfach nur reines Heil ohne Welt und ohne Alternative und Gegenteil.
Die Gestimmtheit des Heiligen Geistes ist Be-Geisterung und hat also eine ausgeprägte kommunikative Komponente. Auf diesen Aspekt werden wir weiter unten noch näher eingehen.
In der Welt begegnen uns Wesen, die wir unmittelbar als "Erscheinungen" von Dasein verstehen, und zwar nicht unseres eigenen Daseins, sondern von Dasein mit jeweils eigener, anderer Identität. Die Anderen sind offenbar nicht nur einfach vorhanden und mehr oder weniger nützlich wie andere Objekte, sondern sie sind genauso in eine zu erschließende Welt geworfenes Dasein wie wir selbst und sorgen sich darum, ihr jeweiliges Leben zu mehren.
Mein Eigentliches Selbst kann auf eine mir nicht in Frage stehende und nicht erklärbare Weise mein Dasein in meiner Welt lenken, wie es kein Anderer kann. Es kann aber nicht das Dasein eines Anderen in dessen Welt lenken. Das Eigentliche Selbst der Anderen kann anscheinend jeweils ihr Dasein in ihrer jeweiligen Welt lenken, aber nicht mein Dasein in meiner Welt.
Ihre und unsere Welten überlappen trotzdem irgendwie, wobei sie in Teilen harmonieren, in anderen Teilen unvereinbar sind. Wenn wir mit anderen eine Warteschlange bilden, dann begegnet allen Beteiligten gleichermaßen die Warteschlange, aber es kann sein, dass zwei oder mehrere Beteiligte unvereinbare "Entwürfe" für die Reihenfolge haben.
Wir haben uns alle, jeder auf seine Weise erschlossen, ob und wie wir in diesen und anderen Situationen unseren Entwurf durchsetzen oder auch nicht, den Entwurf des Anderen verstehen, wie wir auf eine Niederlage reagieren usw. Generell haben wir uns durch Erziehung und Praxis mehr oder weniger erschlossen, dass und wie wir die Begegnungen mit Anderen verstehen und in ihnen handeln, dass und wie wir solche Begegnungen suchen oder vermeiden, und wie wir mit den Folgen umgehen.
Vieles, was uns so erschlossen ist, ist objektiviert, d.h. es sind dokumentierte und ungeschriebene Regeln, die im Prinzip jeder verstehen kann, und die das Handeln bei unvereinbar überlappenden Welt-Entwürfen in beherrschbare Bahnen lenken. Sie umfassen ganze Welten der Ethik und des Rechts, wobei die Objektivität durch möglichst genaue begriffliche Fassung sichergestellt werden soll. Die Begriffsfreudigkeit geht dabei oft so weit, dass der Daseinscharakter der Betroffenen schon wieder aus dem Blick gerät.
Was aber sind die außerweltlichen Bezüge dessen, dass einem in der Welt Andere begegnen? Es sind im Prinzip: (1) die Sicht auf die jeweils eigene ("meine") außerweltliche Instanz, die im Daseinsfilm versteht und handelt, (2) die Sicht auf die analoge Instanz des Anderen, (3) die Sicht auf die Instanz, die mich und den Anderen jeweils in einen Daseinsfilm gesetzt hat und mir und ihm den "live" vorspielt. In einfacheren Worten: (1) mein Eigentliches Selbst, (2) des Anderen Eigentliches Selbst, (3) Gott.
Die Instanz, die mir und dem Anderen den jeweiligen Daseinsfilm präsentiert, sehen wir als dieselbe. Dass jeder einen anderen, exklusiven Gott nur für sich allein habe, denkt praktisch niemand und hat bislang niemand gedacht. Wir leben fast ausschließlich mit Anderen zusammen, deren Welt – aufgrund von Jahrhunderten Objektivierungsarbeit – so weitgehend mit unserer übereinstimmt, dass wir gewöhnlich denken, dass alle in nur ein und derselben Welt leben und es überhaupt nur eine Welt gibt. Danach ist es die natürlichste Sicht, dass es auch nur eine Instanz gibt, die uns alle in kohärente Daseinssituationen gesetzt hat, d.h. nur einen Gott.
Die Beziehung zwischen existenziellen Instanzen nennen wir Liebe.
Wir wollen gleich sicherheitshalber noch einmal daran erinnern, dass so etwas wie der vorige Satz, ebenso wie die vorhergehenden und nachfolgenden Sätze über außerweltliche Instanzen und die (Rück-) Bindung an sie, keine wörtlich zu nehmenden, relationalen Aussagen sein können, sondern annähernd zeigende Rede sind. Man kann nur versuchen das zu sehen, was hinter den Sätzen steht.
Es gibt natürlich innerweltliche Begriffe der Liebe, auf die hier aufgebaut wird. Mitgedacht werden insbesondere einige ihrer positiven Attribute: sie ist letztlich stärker als alle menschlichen Antriebe und setzt sich über alle menschlichen Grenzen hinweg. Aber sie hat innerweltlich auch Gegenteile, die Verdinglichung des Menschen und die Menschenverachtung. Dagegen ist das, was wir im existenziellen Sinn mit Liebe meinen, einschichtig, strukturlos und ohne Alternative oder Gegenteil.
Die Rede von Liebe als existenzieller Beziehung mag vielleicht überraschen, neu ist sie nicht. Den Christen wird sofort die Rede von Gottes Liebe für die Menschen und das "vornehmste" Gebot Jesu einfallen, das er als Ersatz für die Zehn Gebote anbietet: "Du sollst Gott, Deinen Herrn lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte und deinen Nächsten wie dich selbst". Da werden genau die obigen drei außerweltlichen Instanzen: mein Eigentliches Selbst, das Eigentliche Selbst des Anderen und Gott in Beziehung gesetzt. Wir sehen: diese Sicht der Liebe kann man unabhängig gewinnen, und die zugehörige existenzielle Kompetenz gab es schon vor 2000 Jahren.
Wie kann man so eine existenzielle Beziehung aufnehmen, kann man sie abbrechen, kann man andererseits den Abbruch verhindern? Für verstehendes Handeln in der Welt ist Außerweltliches unbegreiflich und daher nicht verfügbar. Was man kann, ist sich seine Daseinssituation annähernd in den Blick bringen, und damit hat man Gott, die eigene und die Daseinssituation der Anderen als das eine Außerweltliche vor sich, d.h. als eine absolute, nicht beginnbare und nicht endende Identitätsbeziehung.
Wenn man den Blick auf das Außerweltliche im Anderen nicht hat, verstellt, verliert oder verweigert, dann handelt man so, als gäbe es Beziehungslosigkeit zwischen Gott und den Menschen oder zwischen zwei Menschen. Vor dieser Haltung warnt die existenzielle Rede: "was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht trennen" (und keineswegs vor der Trennung einer innerweltlichen Bindung), denn diese Haltung ist unweigerlich zum Schaden der eigenen Welt-Erschließung, und mit dieser Haltung könnte man mit seinem Dasein nie im Reinen sein und Frieden haben.
Unsere Disposition, Leben zu mehren, bezieht sich auch auf die Anderen. Die ergiebigste Quelle für die Bereicherung meiner Welt und meiner Möglichkeiten sind die Anderen, ergiebiger als jegliche Gegenstände. Die Anderen: sowohl, indem ich von ihnen lerne, Welt zu bauen, als auch, indem ich meine Welt maximal entwickle und ihnen diese Erfahrungen dann nutzbar mache. Allein schon, indem man das Leben der eigenen Person in der Welt mehrt, mehrt man normalerweise das Leben Anderer mit: man lebt ihnen Möglichkeiten vor, probiert Möglichkeiten aus, die für sie leb-bar sind; man "zieht" Menschen in der Umgebung "mit"; man gibt ihnen etwas – oft sehr viel – von den eigenen Errungenschaften weiter. Ein Problem entsteht erst, wenn man das Leben der eigenen Person auf Kosten Anderer zu mehren versucht. Das Ergebnis ist dann meist, dass man sein eigenes Leben mindert.
Zum Abschluss dieses Kapitels betrachten wir ein Zitat aus einem Werk von Friedrich von Schiller, das das Außerweltliche in der Liebe zum Anderen zeigt – und das zeigt, dass Liebe, Schönheit und Göttlichkeit Dimensionen desselben Außerweltlichen sind:
"Damals – oh, damals ging in meiner Seele der erste Morgen auf. Tausend junge Gefühle schossen aus meinem Herzen, wie die jungen Blumen aus dem Erdreich, wenn's Frühling wird. Ich sah keine Welt mehr, und doch besinn' ich mich, dass sie niemals so schön war. Ich wusste von keinem Gott mehr, und doch hatt' ich ihn nie so geliebt."
Wieso ist die Erkenntnis, die das Essen vom "Baum der Erkenntnis" den Menschen zugänglich macht, ausgerechnet die Erkenntnis von Gut und Böse? Was hat die Erkenntnis von Gut und Böse mit einem "Sein wie Gott" zu tun? Wieso fliegt man für diese Erkenntnis aus dem Paradies? Was ist das Paradies eigentlich überhaupt, und wer sind die "Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert", die einen nicht wieder hinein lassen?
So haben wir vielleicht im Religionsunterricht gerätselt, wenn uns das Rätsel überhaupt berührt hat. Denn solche Reden führt ja die Genesis, und wir haben inzwischen Anlass, dahinter ein gehöriges Maß an existenzieller Kompetenz zu vermuten. Gute Erläuterungen mit zeitgenössischen Begriffen sind rar, und komplette Erklärungen sind dem Autor noch nicht begegnet. Aber wir haben in diesem Buch auch schon genügend Daseins-Strukturen in den Blick bekommen, um hier ein konsistentes Verständnis zu erarbeiten.
Danach können wir folgendermaßen antworten:
Das Paradies ist das Außerweltliche. Engel stehen immer für das Eigentliche Selbst, die ganze Truppe von Engeln mit flammenden Schwert, die den Rückweg in das Paradies versperren, stehen also für eine betont grundlegende Disposition des Daseins: Sich ins Paradies zur Ruhe zurück zu ziehen, ist keine Option. Wir haben keine Alternative zum Sein in der Welt und zur Erschließung von Welt.
Die Rede der Schlange vom "Sein wie Gott" könnte man auf zweierlei Art interpretieren: zum einen im innerweltlichem Horizont, als Verführung zu der Haltung, dass wir in der Welt alles können und dass das unser Verdienst sei, dass wir die Kontrolle hätten, dass unser innerweltliches Ich-Objekt mit den Anderen und den Gegenständen so umgehen könne wie der ziemlich "gottgleiche" Spieler mit den Figuren in einer virtuellen Realität, der sie nach Belieben behandeln, ignorieren oder vernichten kann und darf. Diese Haltung ist in der echten Realität zwar gefährliche Hybris, aber nicht per se das Böse.
Die plausiblere Interpretation ist die, dass der Mensch mit dem Auszug aus dem Paradies ein Dasein mit einer außerweltlichen Wurzel bekommt, dem göttlichen Eigentlichen Selbst, und damit "wie Gott" ist. Und dass darin die Fähigkeit der Welterschließung verankert ist, auf Grund derer wir sehr wohl wissen, was Leben mehrt und was Leben mindert. Und dann ist das Böse das, was unser Gewissen mit dem flammenden Schwert schon immer sagt: jede lebensmindernde Daseinshaltung und Handlung, und jedes Leben in dieser Haltung.
Unsere Aufgabe ist, das Leben zu mehren, unser eigenes, indem wir unsere eigene Welt bauen, aber auch das Leben der Anderen. Das schließt nicht zuletzt ein, die Anderen ihr Leben mehren zu lassen. Da wir uns aber nicht am paradiesischen Ende des Raumes von Gut und Böse verkriechen können, ohne dem Dasein etwas schuldig zu bleiben, bewegen wir uns zwangsweise auch im "bösen Bereich". Wir mindern Leben, wir spielen in den Daseins-Film der Anderen hinein, lassen ihnen unsere Setzungen begegnen, setzen uns ihnen entgegen, vielfach so als wären wir Gott. Selbst wenn wir eine Option wählen Leben zu mehren, versäumen wir es, im Sinne der übergangenen alternativen Optionen Leben zu mehren.
Warum reden wir nicht von einer Daseinsdimension zwischen Gut und Böse?
Weil die Fähigkeit, Welt zu erschließen uns in jeder einzelnen Daseins-Dimension Möglichkeiten eröffnet, Leben zu mehren oder zu mindern:
· Man kann in der Dimension der Intelligenz auf der Suche sein oder sich Erkenntnissen verschließen und neues Handeln scheuen.
· Man kann in der Dimension der Liebe Menschen fördern oder sie erniedrigen.
· Man kann in der Dimension der Zeitlichkeit in der Vergangenheit oder im Vergessen der Vergangenheit fixiert bleiben, oder sich immer Neues vornehmen und daran wachsen.
· Man kann in der Dimension der Göttlichkeit seine göttlichen Talente in die Welt einbringen oder sich auf das Vermögen des eigenen innerweltlichen Ich-Objekts beschränken und es verschleißen.
In innerweltlichen Begriffen ist also die Struktur, die das Gebilde von "Gut und Böse" am besten charakterisiert, der "Raum" aller innerweltlichen Daseins-Dimensionen, kurz gesagt: die Welt.
Wohlgemerkt: das Böse ist nicht ganz dasselbe wie die böse Absicht: Wir haben keine Kontrolle. Was wir Anderen in böser Absicht antun, kann ihnen zum Guten gereichen, und was wir Anderen Gutes zu tun meinen, kann ihnen schaden. Wenn wir Leben mindern, dann mindern wir aber immer mindestens unser eigenes Leben.
Fassen wir zusammen: Da sind wir nun also, in das Dasein gesetzt und uns begegnet eine Welt, die ein Raum von Gut und Böse ist, und in dem wir keine Kontrolle haben, ob unsere Erkenntnisse und Handlungen zum Guten oder zum Bösen führen? Nicht ganz: Dank unseres Eigentlichen Selbst wissen wir, was Gut und Böse ist, und dank der Intelligenz-Dimension des Daseins können wir uns die Welt immer besser erschließen, so dass unsere Entwürfe zuverlässiger werden, und damit können und sollen wir es schaffen, das Leben wirklich zu mehren. Das muss gehen, denn die involvierten außerweltlichen Instanzen: Gott, unser Eigentliches Selbst und der Anderen jeweils Eigentliches Selbst, sind absolut gut.
Wir benützen die Gelegenheit, um hier gleich den ansonsten nicht sehr ergiebigen Begriff der "Sünde" abzuhandeln. Sünde ist nicht dasselbe wie das Böse oder eine böse Tat. Die übliche Definition von Sünde ist "Entfernt-Sein von Gott". Das sind wir außerhalb des Paradieses notgedrungen. Es ist also sinnlos, sich über das eigene Entfernt-Sein von Gott zu zermürben oder Anderen Sünde vorzuwerfen. Dagegen ist wirklich wichtig, dass wir über die unvermeidliche Entfernung von Gott hinweg trotzdem die Rückbindung pflegen oder überhaupt erst zurückgewinnen.
Die Kapitel 11 bis 14 haben uns erneut "Zumutungen für unsere Vernunft" gebracht:
6. In der Welt begegnen uns die Anderen als Wesen von der Erscheinungsart des Daseins – wie unsere eigene innerweltliche Erscheinung. Mit ihnen – wie mit Gott – verbindet uns als Beziehung zwischen existenziellen Instanzen die Liebe, innerweltlich die Dimension zwischen Liebe und Vergegenständlichung der Anderen.
7. Das Dasein hat viele Dimensionen, rein, alternativlos, gegenteilslos im Außerweltlichen, ausgedehnt zwischen positiven und negativen Extremen in der Welt. Die Zusammenfassung der innerweltlichen Ausdehnungen aller dieser Dimensionen ist der Raum von Gut und Böse.
8. Das Böse ist jede Daseinshaltung, die das Leben nicht mehrt.
Diese Reden sind durchaus kompliziert. Leicht kann man zwar sich mit anderen Menschen identifizieren, und leicht kann man die innerweltlichen Dimensionen unseres Daseins nachvollziehen, aber dass sie im Außerweltlichen, an der Wurzel unserer Existenz, in unserem eigentlichen Selbst rein positive Entsprechungen haben sollen, das zu erkennen ist eine große Herausforderung und fast zu schön um wahr zu sein.
Damit können wir die grundlegenden Beschreibungen des Daseins abschließen.
Im Teil 4 dieses Buches werden wir sie nun auf einige wichtige religiöse Texte anwenden, in der Hoffnung diese dann besser – oder überhaupt erst einmal – zu verstehen.
Wir kommen in den Himmel, wenn wir die Zehn Gebote einhalten?
Nach allem, was wir in Teil 1 dargelegt haben, kann das nicht sein. Wir können Außerweltliches, also auch den Himmel nicht in innerweltliche Begriffe fassen, nicht mit innerweltlichen Bedingungen binden und daher in unserem Leben in der Welt auch nicht darüber verfügen. Dann kann man übrigens auch anders herum nicht behaupten, dass wir nicht in den Himmel kommen, wenn wir die Zehn Gebote nicht einhalten.
Wenn wir ein Gebot verletzen, können wir durch eine angemessene Wiedergutmachung, eine Buße, einen Ablass unsere Chance, in den Himmel zu kommen, wiederherstellen? Das kann man ebenso wenig behaupten. Es ist in der Theologie nichts Neues, dass man den Himmel oder das Ewige Leben nicht durch innerweltliche Leistungen oder Unterlassungen erreichen oder verfehlen kann.
Was sagen dann die Zehn Gebote? Formuliert sind sie etwas ungünstig als Befehle Gottes. Wenn es die von einem absoluten, außerweltlichen Gott angelegten "Spielregeln" des Daseins sein sollen, dann gibt es an ihnen kein Vorbei und die Einhaltung ist keine offene Option, die man vorschreiben, befolgen oder übertreten kann.
Versuchen wir wieder eine Transkription:
Bibel |
Rede im Stil dieses Buchs |
1.
Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. |
1.
Ich bin das Außerweltliche, von dem kommt, was dir in der Welt begegnet. Es
gibt nur ein Außerweltliches. |
4.
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren. |
4.
Deine Herkunft und Vergangenheit sind wesentliche Teile deines Daseins: |
Darf man das so umformulieren?
In einer bestimmten Hinsicht muss man es geradezu. Nach allen Erfahrungen über die Jahrhunderte wird der biblische Text trotz entgegengesetzter Warnungen überwiegend als ein innerweltliches Regelwerk missverstanden, nach dem Muster: Wenn man nur die Regeln 1-10 einhält, dann ist das Leben vor Gott in Ordnung. Das ist aber offensichtlich falsch. Oder sollte das Leben vor Gott in Ordnung sein können, auch wenn man etwa das Auto des Nachbarn zertrümmert oder Menschenhandel betreibt oder einen Kollegen mobbt oder einem Verletzten nicht hilft und vieles andere mehr, wovon unsere Gesetzbücher voll, die Zehn Gebote aber leer sind? Dass dieses Missverständnis die Zeiten überdauern konnte, kann eigentlich nur daran liegen, dass die Menschen einerseits die Zehn Gebote normalerweise als göttlichen Text nicht weiter hinterfragen, und dass sie es andererseits seit je gewohnt sind, Folgerungen verkehrt herum zu benützen. Wenn überhaupt die Zehn Gebote in Folgesätzen Sinn machen, dann so herum: Wenn mein Leben vor Gott in Ordnung ist, dann heilige ich den Feiertag, töte nicht, stehle nicht usw.
Es gibt aber eine andere Quelle hoher existenzieller Kompetenz, die schon vor zwei Jahrtausenden dieselbe Umformulierung ausgesprochen hat: Jesus. Wir haben ihn bereits oben in Kapitel 12 damit zitiert: Du sollst – wir ergänzen: gemäß der 1. Gebotstafel mit dem 1.-3. Gebot – Gott, Deinen Herrn lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte und – gemäß der 2. Gebotstafel mit dem 4.-10. Gebot – deinen Nächsten wie dich selbst. Und wir erinnern uns: Es ist eine "selbstverständliche" zeigende Rede über die Struktur aller denkbaren existenziellen Bindungen zwischen Gott, mir und den Anderen, auf die auch jeder selbst kommen kann.
Es ist also nicht so, dass da erst einmal jemand in der Frühzeit die Zehn Gebote formuliert hat und Jesus sie dann später außer Kraft gesetzt und durch etwa Besseres ersetzt hat, beide ex Cathedra ohne weitere Grundlage. Sondern es handelt sich um Fortschritte in den annähernd zeigenden Reden über dieselbe grundlegende Daseinsstruktur.
Wir alle wissen, was eine Hiobsbotschaft ist, und von daher kennen wir Hiob als den absoluten Unglücksmenschen. Aber seine Geschichte endet letztlich im Glück und sie beschreibt genau, wie Hiob dahin findet. Sie ist übrigens für unsere Verhältnisse recht wortreich, und selbst wenn wir hier nur ihren Duktus wiedergeben, bleibt das leider erkennbar.
Anfangs ist Hiob der reichste Mann im Lande, hat 7 Söhne, 3 Töchter, 7000 Schafe, 3000 Kamele, dazu 500 Joch Rinder, 500 Eselinnen, sehr viel Gesinde. "Groß war jener Mann, über alle Söhne des Ostens". Aber dann kommt eben die Unglücksstunde, in der eine niederschmetternde Nachricht der anderen folgt. Die Rinder und Eselinnen werden von den Sabäern geraubt und die Hirten erschlagen, die Schafe und ihre Hirten verbrennen in einem Flächenbrand, die Kamele werden von den Chaldäern geraubt und die Hirten erschlagen, die Söhne und Töchter kommen beim Einsturz des Hauses um, in dem sie gerade gemeinsam feiern.
Dann geht es Hiob an die Gesundheit: er bekommt ein "böses Geschwür" am ganzen Körper, von Kopf bis Fuß, und daran leidet er lange.
Den Verlust allen Eigentums und aller Kinder nimmt Hiob gottesfürchtig hin: "Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen; der Name des Herrn sei gelobt!". Aber nachdem Hiob krank geworden ist, gerät er vor Klagen fast außer sich.
Die Freunde Elifas, Bildad und Zofar besuchen ihn – Hiobs Status nach dürften es wohl Männer aus der politischen und theologischen Elite des Landes sein –, und mit ihnen hat er eine nicht enden wollende Auseinandersetzung. Wir geben die Reden der Personen hier jeweils nur als Extrakte von wenigen Sätzen wieder. Es empfiehlt sich, beim Lesen darauf zu achten, wie "wissend" die Freunde Hiobs über Gott reden.
Hiob verflucht angesichts seiner Lage den Tag, an dem er geboren ist, und klagt, er möchte lieber sterben. Elifas redet ihm zu, er sei doch gottesfürchtig und Gott lasse die Gerechten nicht zu Grunde gehen. Hiob beklagt sich bei Gott, dass er ihm das alles antut, obwohl er sich keiner Schuld bewusst ist. Bildad tröstet Hiob damit, dass Gott nicht ungerecht ist. Hiob solle ihn um Vergebung und Gnade anflehen, und dann werde Gott es ihm auch wieder gut gehen lassen. Hiob aber zeigt sich ratlos darüber, dass Gott, der Allmächtige, ihn, den Ohnmächtigen überhaupt so unerbittlich niederhalte. Zofar belehrt ihn: wenn er sich vor Gott als Sünder unterwerfe, würde er sein Haupt schon erheben können, und sein ganzes Leid würde ihm nichts bedeuten.
Hiob weist ihre faulen Argumentationen pro Gott zurück und fragt, warum Gott ihn denn seine Verfehlungen nicht erkennen lasse. Elifas fragt zurück, was denn z.B. daran faule Argumentation sei, dass die Gottlosen ihres Lebens nicht froh werden und in ständiger Furcht vor Gottes Strafe lebten. Hiob hält den Freunden vor, dass er gebrochen ist und keine Zurechtweisung sondern Trost braucht. Bildad erwidert, dass sich deshalb die Welt nicht ändert und beharrt darauf, dass es den Gottlosen schlecht ergehen werde. Hiob fragt zurück, mit welchem Recht die Freunde denn nach seinen Fehlern suchten und so sein von Gott gegebenes Leid mit ihrer Haltung noch verschlimmerten. Diesmal antwortet Zofar: Hiobs Schicksal sei überhaupt nichts Besonderes. So sei es allen Gottlosen ergangen, die groß, reich und berühmt waren. Am Ende ist das Leiden der Armen und Leidenden über sie gekommen.
Hiob sagt, den meisten Gottlosen gehe es gut und viel besser als ihm, und zwar bis zum Ende. Elifas erinnert ihn daran, dass er reich war und Armut und Leid in seiner Umgebung zugelassen hat, und wenn er es nicht gesehen habe, so habe es doch Gott gesehen und strafe ihn dafür. Wenn er sich aber zu Gott bekehre, werde Gott ihn wieder aufbauen. Hiob sagt, alles würde sich klären lassen, wenn er vor Gott treten und hören könnte, was der gegen ihn habe. Schlimm sei doch nicht er, sondern in Wahrheit diejenigen, die ihren Mitmenschen ihr Hab und Gut, ihre Gesundheit und ihr Leben rauben. Bildad weist das zurück: Vor Gott gibt es keine Rechtfertigung, ist der Mensch ein Nichts.
Hiob will trotzdem von seinem Rechtschaffenheitsanspruch nicht abgehen und fragt, woher die Freunde denn ihre anscheinend übermenschliche Weisheit haben wollten. Seine Weisheit sei seine Gottesfürchtigkeit. Und nun legt er in einem letzten Versuch, wenn schon nicht Gott, dann eben ihnen seinen Fall dar: Er sei bekannt dafür gewesen, dass er den Bedürftigen geholfen und die Bösen bekämpft habe, und man habe ihn seiner Weisheit wegen verehrt. Er habe sich nicht von anderen Frauen reizen lassen, er habe die Rechte seiner Knechte und Mägde beachtet, den Bedürftigen ihre Begehren erfüllt, die Witwen unterstützt, Waisen gespeist, Trost gespendet, wo er konnte, Kleider und Decken verteilt, nie die Waffen erhoben, er sei nie auf das Gold aus gewesen, habe sich nie etwas auf seinen Erfolg eingebildet, nicht die Sonne oder den Mond angebetet, er sei nie schadenfroh oder überheblich über das Unglück seiner Feinde gewesen, habe nie etwas Böses geredet, sein Personal immer gut versorgt, sei immer gastfreundlich gewesen, habe nie etwas zu verbergen gehabt. Wenn es eine Anklageschrift gegen ihn gäbe, so wollte er sie sich wie ein Diadem umbinden und alles darin Enthaltene gerne büßen.
Ein "zorniger junger Mann" namens Elihu hat alles mitgehört, kritisiert die Argumente der Freunde und antwortet seinerseits auf Hiobs "Schlussplädoyer":
Erstens: Argumentieren sei nicht der rechte Umgang mit Gott. Gott kann man nicht zur Rechenschaft ziehen. Gottes Vorgehen, um das Leben und die Seele der Menschen zu schützen, sei so, dass er auf verschiedene Weisen zu den Menschen spreche, etwa im Traum oder auch indem er durch Schmerzen und Leid die Seele in die Nähe des Verderbens und das Leben in die Nähe des Todes führt, wo plötzlich ein Engel auftritt, der dem Menschen verkündet, wie er recht leben solle, und der bei Gott für ihn bittet. Und dann würde Gott dem Menschen seine Gnade erweisen und ihn wieder jung werden lassen. So tue es Gott zwei oder drei Mal mit jedem Menschen.
Zweitens: Gott vergilt dem Menschen immer genau das, was er verdient hat. Er verdammt niemand zu Unrecht, er beugt das Recht nicht. Die richtige Haltung zu Gott sei daher zu sagen: Ich habe gebüßt, ich will nicht übel tun. Habe ich's nicht getroffen, so lehre Du mich's besser; habe ich unrecht gehandelt, ich will's nicht mehr tun.
Drittens: Ob der Mensch gut ist oder böse, Gott kann er damit nicht beeinflussen. Er kann Gottes Gericht nicht herbei klagen oder ihm entkommen, aber es kommt unweigerlich.
Viertens: Gott macht alles richtig, denn was er macht, ist großartig. Erkenne die Welt, in der du lebst, als Wunderwerk Gottes, und du findest die richtigen Maßstäbe.
Schließlich spricht Gott selbst "aus dem Sturme" zu Hiob: "Wo warst du, als ich die Welt erschuf?" Er zählt die Naturphänomene auf – Erde, Meer, Wetter, Licht, Tod, Sterne, Tiere, und fragt Hiob, ob er das alles auch könne und bis auf das kleinste Detail im Griff habe. Er fragt Hiob, ob er die Bösen bis hin zum Teufel unter Kontrolle bringen könnte.
Hiob gibt zu, dass Gott das alles kann und er nicht, und er unterwirft sich. Er spricht sich selbst schuldig, Gott vorgeworfen zu haben, seine Ratschlüsse durch Unverstehbarkeit zu verschleiern. Er habe unweise geredet über etwas, was ihm zu hoch sei und er nicht verstehen könne. Hiob ist zur Buße bereit.
Gott urteilt nun, dass die drei alten Freunde nicht recht über ihn, Gott, geredet hätten, lässt sie aber auf Bitten Hiobs gnädig davon kommen. Dem Hiob aber gibt Gott alles in doppelter Zahl wieder, was er früher besessen hatte, 14000 Schafe, 6000 Kamele usw., und auch wieder sieben Söhne und drei Töchter. So lebt er dann noch 140 Jahre weiter, erlebt Ur-ur-ur-Enkel und stirbt alt und lebenssatt.
Die große Linie der Geschichte ist: Hiob verliert all seinen Besitz, seine Kinder und seine Gesundheit, von seiner Welt bleibt fast nichts übrig, und er landet an der Grenze seiner Existenz. In dieser Situation sieht er Gott, und von Gott bekommt er eine neue Sicht auf sein Dasein und damit sein endgültiges, verdoppeltes Glück geschenkt.
An diesem Wendepunkt fehlt auffälligerweise die Begründung, warum Gott die Reden der Freunde über ihn verurteilt. Dieses Fehlen ist ein wichtiger Hinweis: sie fehlt, weil es die Erklärung nicht geben kann, weil man Gottes "Verhalten" nicht erklären kann, und damit eben auch nicht dieses Urteil.
Verurteilt wird die Gegenposition zu Hiobs Reden. Der Schlüssel liegt also im Gegensatz zu Hiobs letzten Worten vor Gott, in denen er bekennt, dass er Gott nicht verstehen könne. Die Reden der Freunde sind dagegen durchzogen von Erklärungen, wie Gott sei und wie die Ereignisse und Entwicklungen in der Welt Gottes Handlungssystem verstehen lassen. Vierunddreißig Kapitel (in der Luther-Bibel) theologischer Diskurs über die Logik des Wirkens Gottes unter besonderer Berücksichtigung der Gerechtigkeit, der Rechtschaffenheit und des Leides werden aufgewogen durch fünf Verse Bekenntnis des Hiob, dass der Mensch Gott nicht begreifen kann und sich mit dem Versuch, Gott begrifflich zu fassen, schuldig macht. Diese Erkenntnis ist sein Schlüssel zum Glück.
Das Buch Hiob ist also im Wesentlichen eine breit angelegte Illustration des Zweiten Gebots.
Die bis hierher verwendeten religiösen Zitate sind fast nur biblisch und im Weiteren vor allem solche, die Jesus zugeschrieben werden. Dieses Buch könnte sicherlich genau so gut mit Bezug auf Texte anderer Religionslehren geschrieben werden, deren Reden auf dasselbe Außerweltliche zeigen. Der biblische und christliche Bezug resultiert allein aus dem Umfeld des Autors, ist hier aber nicht entscheidend, auch nicht die Frage, ob die Texte authentisch oder glaubwürdig sind. Es geht um Texte, die als annähernd zeigende Rede auf das Außerweltliche gut brauchbar sind. Kriterium für ihre Auswahl ist ihre Eignung für den unabhängigen Aufbau religiöser Kompetenz. Dabei ist Jesus allerdings sehr ergiebig.
Wir wählen einige Missverständnisse über ihn bzw. seine Worte aus, denn über die kommen wir gewöhnlich nicht hinweg, und umso hilfreicher ist es, wenn wir sie hier auflösen.
Nehmen wir z.B. die Rede von Jesus: "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht." Jesus sagt das nach Wochen in der Wüste, dem Verhungern nah, als Antwort darauf, dass ihm der Gedanke kommt, wie es wäre, die Steine in Brot verwandeln zu können. Die übliche Interpretation ist die, dass über den körperlichen Hunger hinaus der seelische Hunger noch wichtiger ist, und von Gottes Wort, also dem Glauben gestillt wird. Wer keinen Glauben hat oder wer trotz seines treuest möglichen Glaubens nur darauf hoffen kann, dass irgendwann einmal auch sein seelischer Hunger gestillt werden wird, für den ist das unbefriedigend. Was Jesus da sagt, ist aber nicht relativ: es ist die Schöpfungs-"Geschichte" in einem Satz, was man leicht sieht, wenn man ihn in die Sprache dieses Buchs übersetzt:
Bibel |
Rede im Stil dieses Buchs |
Der Mensch lebt ... von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht, nicht vom Brot allein. |
Unsere primäre Lebensbedingung ist die Artikulation des Daseinsfilms durch Gott (siehe Kapitel 5), nicht die Erfüllung unserer innerweltlichen Bedürfnisse. |
Jesus zitiert hier zwar aus dem Alten Testament, aber er setzt gerade dieses existenziell absolute Wort aus der großen Menge der ihm ansonsten verfügbaren Zitate gegen seine Existenzangst vor dem Verhungern. Ein starker Beleg seiner existenziellen Kompetenz und eine Illustration dessen, wie hart es sein kann, so eine Sicht zu erreichen. –
Zwei Titulierungen von Jesus sind häufiger als alle anderen: die als Gottes Sohn und die als Erlöser.
Als Gottes Sohn hat sich Jesus offensichtlich selbst – aber nicht nur sich selbst – verstanden. Er hat Gott als seinen Vater angesprochen, und ihn am Kreuz mit "Papa" angerufen, aber er hat auch als Gebet für alle Menschen das Vaterunser eingeführt:
Bibel |
Rede im Stil dieses Buchs |
Unser
Vater im Himmel! Dein
Reich komme. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. |
Das Außerweltliche ist für uns wie ein Vater, auch wenn wir es nicht begreifen können. Es ist, wie wenn Er unser Sein in der Welt lenkt, indem er uns eine unermesslich reiche Welt begegnen und verstehen lässt und andererseits unser Eigentliches Selbst befähigt, darin willentlich zu handeln. Er fügt es, dass wir die Welt und alles darin vorfinden, was unser Leben ausmacht. Wenn wir Leben mindern, lässt er uns immer wieder in die Leben mehrende Haltung finden, und wir lassen auch die Anderen wieder ihr Leben mehren. Er ist es nicht, der uns der Welt verfallen lässt, sondern er ist es, der uns davon erlösen kann. Er ist das Absolute in allen Dimensionen des Daseins. |
Ebenso hat Jesus als Daseins-Gleichnis für alle Menschen das vom verlorenen Sohn erzählt, und er hat den Jüngern vorgehalten: Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nährt sie doch. ... Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr des alles bedürft. Das heißt, Jesus hat alle anderen Menschen ebenso wie sich selbst als Gottes Kinder angesehen, und er hat versucht, den Menschen diese Daseinshaltung vorzuleben.
Zusätzlich hat er alle Menschen – in der Person des reichen Jünglings – aufgefordert, ihm nachzufolgen, d.h. diese Daseinshaltung zu übernehmen, weil wir uns darin fühlen können wie die Vögel unter dem Himmel und die Lilien auf dem Felde, vor allem sorglos, weil unser Dasein so angelegt ist, dass wir es bestehen können – wie wenn ein außerweltlicher Vater uns coacht. Wenn man dieser Aufforderung folgt, ist man schon erlöst, und wer einen so auffordert und zur Befolgung bewegt, den kann man schon einen Erlöser nennen. Etwas genauer ausgedrückt: "Erlöst" ist abgesehen von der emotionalen Belegung dasselbe wie "absolut", und absolut ist das, was man mit nichts in der Welt in Beziehung setzen kann. Erlösung erfordert also ein Ablösen von der Welt und ein Hinfinden zum Absoluten, wie es Jesus immer wieder zu zeigen versucht hat.
Womit bewegt Jesus? Mit seinem großen Schatz an Gleichnissen, d.h. seinem großen Repertoire an funktionierenden, genialen, annährend zeigenden Reden über das Außerweltliche – besser zeigenden Reden als jede intellektuell bohrende theologische Abhandlung, besser als jede emotional aufwühlende Predigt.
Jesus sagt "Vater unser" und damit steht er eindeutig nicht zwischen Gott und den Menschen. Die Episoden mit den Emmaus-Jüngern und dem ungläubigen Thomas betonen das überdeutlich. Die Ersteren begegnen Jesus nach der Auferstehung auf der Straße und erkennen ihn nicht. Er "legt ihnen die Schrift aus", bis sie in ihr Haus kommen. Er versucht also wohl ihnen zu zeigen, wie sie mit Hilfe der Schrift Gott in den Blick bekommen können. Es heißt: Dort in ihrem Haus "wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen". Wieso das? Sobald sie ihn erkennen, verschwindet Jesus! – Thomas glaubt nicht, dass Jesus auferstanden ist, bis er seine Wunden gesehen und berührt hat, worauf Jesus zu ihm sagt: Du glaubst, weil du mich gesehen hast, Thomas. Aber "selig sind die, die nicht sehen und doch glauben!" Jesus in der Mitte des Christentums und dann: selig, ohne ihn zu sehen!
Im Sinne Jesu ist es also so: Wenn man ihn verstanden hat und dieselbe Daseinshaltung einnimmt wie er, dann braucht er einem innerweltlich nichts mehr zu beweisen – durch keine Wunder, keine Auferstehung, keine Himmelfahrt –, sondern man "glaubt" selbst. Dann steht man selbst direkt vor Gott, und Jesus ist verschwunden.
Dies ist nun keine Widerlegung der ebenfalls zahl- und variantenreichen Reden, die Jesus in einer besonderen Position zwischen Gott und den Menschen zeigen wollen, als Gottes eingeborenen Sohn, "unseren Herrn", den eine Jungfrau von Gott empfangen hat, der vom Tod auferstanden ist, der darum höher ist als die Menschen, und der kraft dieser höheren Macht Wunder getan und die Sünden aller Menschen gebüßt und uns so gerecht gemacht hat. Denn dies sind religiöse Reden, die auch nur auf Außerweltliches annähernd zeigen wollen und damit nicht widerlegbar sind. Sie wirken ein bisschen hilflos, aber sie haben sicher vielen Menschen als Orientierung auf dem Weg zu ihren existenziellen Wurzeln gedient. Und wenn man ankommt, sind sowieso alle Reden weg.
Wollte man diese Reden allerdings für bare Münze nehmen, d.h. als begriffliche Aussagen auffassen, dann wären sie – und dies können wir nicht oft genug wiederholen – schon durch das zweite Gebot widerlegt: das Außerweltliche ist nicht begrifflich fassbar und für unser innerweltliches Verstehen strukturlos.
Alles, was über die existenziellen Beziehungen von Jesus zu Gott und zu den anderen Menschen, zu den "Nächsten", gesagt werden kann, gilt im Prinzip genau so für die existenziellen Beziehungen jedes einzelnen von uns zu Gott und zu den Anderen. Wir müssen diese Beziehungen nur aufnehmen. Anders gesagt: Wenn in der Bibel Jesus von sich redet oder über ihn geredet wird, so ist der ergiebigste Zugang zum Verständnis und zur Nachfolge derjenige, dass wir in der Rede "Jesus" durch unser eigenes "Eigentliches Selbst" ersetzen. Und wenn Gott in der Bibel zu Menschen spricht, direkt oder durch Engel, so sollten wir uns ansehen, was sich ergibt, wenn wir statt Gott oder dem Engel unser Eigentliches Selbst dasselbe zu uns sagen lassen.
Nehmen wir z.B. den Ausdruck "unser Herr Jesus". Wir haben inzwischen schon festgehalten, dass Jesus nicht zwischen Gott und uns steht, dass er nicht "unser Herr" in dem Sinne ist, dass er uns befehlen würde und wir gehorchen müssten. Wenn wir die eben vorgeschlagene Einsetzung vornehmen, ergibt sich genauer, dass unser Eigentliches Selbst unser Herr ist. Das ist ein großer Anspruch angesichts der oft eigenwilligen bis widerspenstigen Seelen und Körper, die uns als innerweltliche Subjekte mitgegeben sind, und angesichts der großen Attraktionen und Abstoßungskräfte der Welt, die dieses Subjekt beherrschen können.
Fassen wir zusammen:
Wenn man existenzielle Reden sucht, die besonders gut auf Gott zeigen, dann ist Jesus eine überaus reiche und treffliche Quelle. Das bezieht sich nicht nur auf seine eigenen und die ihm zugeschriebenen Reden, sondern auch darauf, wie er im neuen Testament positioniert ist.
Seine Aufforderung ihm nachzufolgen, verlangt, dass man sich selbst in seine Positionen begibt, wenn man Gott in den Blick bekommen will. Die wichtigste dieser Positionen ist die als Kind Gottes. Sie, lieber Leser und liebe Leserin, und jeder andere Mensch sind danach nicht weniger Gottes Sohn bzw. Tochter, als Jesus es ist. Und nebenbei gesagt: Sie liebe Leserin, wenn sie Mutter sind, und jede andere Mutter sind dabei nicht weniger Mutter Gottes als die Mutter Jesu.
Die letzten drei Kapitel über die Zehn Gebote, über Hiob, und über die Position von Jesus in Bezug auf unsere Existenz sind im Einklang mit allen vorigen. Sie bringen keine neuen Herausforderungen für unseren Verstand, aber sehr große für das gängige christliche Bibelverständnis
9. Die Zehn Gebote und das allgemeine Liebesgebot Jesu behandeln genau die zwei prinzipiell möglichen Beziehungen zwischen existenziellen Instanzen, nämlich zwischen Dasein und Gott und zwischen Dasein und Dasein. Das Buch Hiob ist eine drastische Illustration des Zweiten Gebots: Gott ist nicht begrifflich fassbar.
10. Jesus hat sich selbst neben uns als Bruder positioniert, nicht zwischen uns und Gott als vermittelnder Fürsprecher und Erlöser und auch nicht über uns als Herr und Richter "zur Rechten" Gottes.
11. Jesus "nachfolgen" heißt: seine Daseinshaltung übernehmen – nicht einem göttlichen Übermenschen nachlaufen und dabei womöglich immer hinter ihm bleiben müssen.
Diese Erkenntnisse widersprechen manch gängiger christlicher Rede. Aber gängige christliche Rede ist ja, wie anfangs dargelegt, auch jedes Mal befremdlich, wenn sie als faktisch dargestellt oder aufgefasst wird. Wenn die Sicht auf unser Dasein, die wir in den Teilen 1 bis 3 von Grund auf freigelegt haben, und die jeder für sich selbst entdecken kann, nun solche befremdlichen Rede aushebelt, so ist das ein Beleg dafür, dass wir etwas Signifikantes erreicht haben: Wir stehen nicht mehr hilflos vor dieser Befremdlichkeit, sondern haben ein Instrumentarium gewonnen, um aufzuzeigen, wo jeweils der Fehler steckt.
Den Gebrauch dieses Instrumentariums werden wir in den Teilen 6 und 7 ausgiebig durchexerzieren. Zuvor werden wir im Teil 5 versuchen, die Frage nach den Konsequenzen der vorangegangenen Teile allgemein und grundsätzlich zu beantworten.
Wir haben unermüdlich hervorgehoben, dass das Außerweltliche mit den Begriffen der Welt nicht erfassbar ist und dass es deshalb keine begrifflichen und begrifflich belastbaren Strukturen des Außerweltlichen geben kann.
Aus dem Außerweltlichen selbst kann man also überhaupt keine innerweltlichen Konsequenzen ableiten.
Das scheint zunächst enttäuschend, aber dafür hat der vorige Satz Konsequenzen von großer Tragweite.
Es werden doch seit je Systeme von religiösen Lehren, Regeln und Formen als von Gott gewollt und gesetzt, und das heißt doch: als korrekt außerweltlich begründet ausgegeben. Es wird ständig und hartnäckig über Gott und die Welt geurteilt und gestritten, und es wird um religiöser Sätze willen gemordet und Krieg geführt.
In den Teilen 6 und 7 werden wir typische, aktuelle Beispiele abhandeln, in denen fälschlicherweise das Außerweltliche mit der Welt begrifflich verknüpft wird.
Ein besonderer Fall ist die Morallehre. Sie ist ja nun auch nicht als innerweltliche Konsequenz aus dem Außerweltlichen ableitbar, d.h. es gibt – anders als vielfach verkündet – keine Moralvorschriften von Gott. Auf eine ganz eigene Weise hat Moral aber trotzdem mit Religion zu tun, denn der Blick auf das Außerweltliche erzeugt bei dem Betroffenen eine positiv moralische Haltung zur Welt. Daseinshaltung und Moral sind daher die Themen der folgenden zwei Kapitel.
Aus dem Außerweltlichen selbst kann man keine innerweltlichen Konsequenzen ableiten. Aber der Blick auf das Außerweltliche hat dramatische innerweltliche Wirkungen.
Wir haben ja oben eine annähernd zeigende Rede über das Außerweltliche versucht, indem wir es als "punktförmig" mit mehreren oder vielen "Dimensionen" umschrieben haben. In der Welt gibt es so etwas wie Sichtlinien darauf, meist verstellt durch unsere Konstrukte der Welt, aber hie und da kommt das Außerweltliche doch annähernd in den Blick als absolute, gegenteilslose Klarheit, Freiheit, Schönheit, Erlöstheit, Liebe, Lebenskraft. Dieser Blick hat dann große Wirkungen auf uns: Wir werden "von Gott gerichtet" – nicht verurteilt, bestraft oder gar endgültig verdammt, sondern im Sinne von "wieder richtig gemacht", wie ein durch einen Unfall verbogenes Autofahrwerk in der Werkstatt wieder gerade gerichtet wird. Es ist dann – erst einmal – alles wieder richtig.
Im Blick auf das Außerweltliche können wir also Einsichten für ein richtiges Leben gewinnen, ein Leben, in dem wir mit uns und der Welt und Gott im Reinen sind. Dies ist ein offensichtlich so lohnender Ansatz, dass wir ihn möglichst nicht mehr aufgeben wollen.
Wie stellen wir sicher, dass wir mit diesem Ansatz nicht gegen das Zweite Gebot verstoßen? Was wir nicht machen dürfen und was dieses Buch deshalb auch nicht tut, sind Aussagen nach folgendem Muster: Aus dem Blick auf das Außerweltliche folgt, dass wir die Welt auf bestimmte Weise sehen müssen und auf andere Weise nicht sehen dürfen, bzw. dass wir in der Welt dieses tun und jenes nicht tun dürfen. Wenn wir also sagen: das Außerweltliche zeigt sich als das absolut Wahre, Schöne, Erlösende usw. und deshalb müssen wir in der Welt mit aller Kraft das Wahre, Schöne, Erlösende usw. anstreben, dann haben wir den Fehler schon gemacht – und wir wissen aus der Geschichte, wie viel Unheil dieses Streben schon über die Welt gebracht hat.
Unser "Blick auf das Außerweltliche" ist etwas rein Außerweltliches, und wir können wiederum nur mit aller Vorsicht annähernd zeigend darüber zu reden versuchen: Das Subjekt, dem das Außerweltliche in den Blick kommt, ist unser eigenes, außerweltliches Selbst. Die hiermit ausgesagte Struktur (A blickt auf B) muss man gleich wieder vergessen, denn das Außerweltliche ist ja für unser Verstehen strukturlos, aber die Vorstellung davon muss man über das Vergessen hinweg zu retten versuchen. Vielleicht geht das mit folgendem Satz besser: Was uns beim Blick auf das Außerweltliche begegnet, ist ein Aufleuchten, das unser Eigentliches Selbst, Gott, die Anderen, die Liebe, die Schönheit, die Erlösung, usw. alles homogen in sich vereint.
Mit dem Blick auf das Außerweltliche lassen wir sozusagen unser Eigentliches Selbst den Weg unseres Lebens und die Lebenswege der Anderen ausleuchten, um unser und ihr Leben zu mehren.
Das ist schon fast alles. Wir wollen es zum besseren Verständnis nur noch ein Stück weiter ausarbeiten.
Wenn jemand den Blick auf das Außerweltliche hat, auf sein Eigentliches Selbst mit diesen tollen, göttlichen Dimensionen, auf dieses Selbst, das aus allem, was ihm begegnet, seine Welt bauen kann, dann wird er das alles nicht aufs Spiel setzen wollen. Er wird das Spiel nicht verderben wollen, indem er seine Entwürfe gegen das Leben, gegen die Anderen und gegen die Natur zu erzwingen versucht, um daran unausweichlich zu scheitern. Er wird berücksichtigen, dass er nicht der Herrscher sein kann über das, was ihm in der Welt begegnet, und dass die Anderen da sind, um in gleicher Situation an ihrer Welt zu bauen; und er wird das, was ihm gelingt oder nicht gelingt, als "Spielergebnis" mit Welterschließungswert und damit als Geschenk nehmen. Er wird nicht unbetroffen sein oder gar seine Missachtung ausleben, wenn Andere, aus welchem Grunde auch immer, eine schwierigere Situation in der Welt haben.
Wer wie beschrieben den Blick auf das Außerweltliche hat, wird nicht Andere beneiden, die eine anscheinend angenehmere Situation in der Welt haben, sondern er wird diese Wahrnehmungen als Aspekte seiner eigenen Welt sehen und sie zu verbessern und damit das Leben zu mehren versuchen, seines und das der Anderen. Es wird sich von selbst ergeben, dass er die zehn Gebote einhält und die Liebesgebote Christi. Er wird das In-der-Welt-Spiel zwar nicht gewinnen können – schon gar nicht endgültig. Er wird Unglück erleiden, und er wird dem Leben aus eigener Verantwortung manches, wohl auch vieles, schuldig bleiben, aber er wird daraus lernen, und am nächsten Tag wieder weiter das Leben zu mehren versuchen.
Er wird sich freuen über die Genialität der Daseins-Situation, über die Unerschöpflichkeit und Varietät des ihm darin Begegnenden, und über die Möglichkeit, daraus seine Welt immer weiter auszubauen und sich dabei zu entwickeln, kurz: darüber, dass die Schöpfung gut ist – wie die Schöpfungsgeschichte sieben Mal wiederholt.
Dies ist die Beschreibung einer Daseinshaltung.
In ihr kann man es so weit bringen, dass man innerweltliches Unglück, Schwierigkeiten, Leid, locker als "gut" wahrnimmt, erträgt, aushält und daran wächst. Das Gefühl dabei ist eine Art verabsolutiertes Glück, ein emotionsloses Geschlagensein von dem Gedanken, dass an einem selbst und an der Welt alles stimmt.
Der echte Blick auf das Außerweltliche ist der Blick auf etwas Alternativloses, Absolutes, und bringt uns ebenso alternativlos in die richtige Haltung zur Welt und zum Leben. Das Außerweltliche trägt seine Konsequenz in sich. Wir brauchen, wenn wir es einmal im Blick haben, nichts mehr weiter tun – außer es unter dem Druck der Reize der Welt trotzdem im Blick zu behalten.
Das Außerweltliche begründet logisch nichts, insbesondere nicht, dass man in bestimmter Weise handeln müsste oder nicht handeln dürfte. Es gibt keine absolute Morallehre.
Das gilt auch in dem Fall, dass ein Mensch den Blick auf das Außerweltliche und damit – wie eben erörtert – eine absolut perfekte Haltung zur Welt gewonnen hat, und dass er dann in guter Absicht etwas von diesem höchsten Gut in Form von Beschreibungen und Regeln an seine Mitmenschen und die Nachwelt weiter zu geben versucht. Dies kann absolut nicht funktionieren. Denn es sind innerweltliche Beschreibungen und Regeln, also mit dem Außerweltlichen nicht begründbar. Den Blick auf das Außerweltliche muss jeder schon selbst suchen. Die Aneignung von innerweltlichen Beschreibungen und Regeln hilft dabei nicht.
Wir sind frei zu handeln.
Wir können abweichend von dem handeln, was oben als Folge des Blicks auf das Außerweltliche dargestellt wurde, und es gibt keine gesetzmäßigen innerweltlichen Folgen für uns. Aber wir können dabei nicht den Blick auf das Außerweltliche behalten.
Der Preis für den fehlenden Blick auf das Außerweltliche ist nicht eine ereignisartige Strafe. Wir sehen unsere Welt dann "nur" nicht als richtig, gut, schön, klar, frei, erlöst, geschenkt, usw. sondern als falsch, ungerecht, böse, hässlich, widrig, voller Zwänge, alles muss man sich im Schweiße des Angesichts erarbeiten und erkämpfen. Und wir folgern, dass wir, um in so einer Welt zu bestehen, die Fähigkeit brauchen zu überleben, uns durchzusetzen gegen Widrigkeiten der Natur, der Anderen, der Systeme. Wir merken weiterhin, dass es nicht genug ist, gegen akute Widrigkeiten zu bestehen, sondern dass wir uns auch für die Zukunft möglichst weitgehend absichern sollten, indem wir Reserven bilden und unsere Mittel zur Durchsetzung erweitern. Kurz gesagt: Wir bemühen uns um Macht.
Zu den Widrigkeiten unserer Welt gehören dann auch die Anderen, die unser Leben mindern könnten, und von denen auch immer ein gewisser Teil das tatsächlich tut, ggf. nicht einmal zielstrebig aber doch faktisch, indem die innerweltlichen Ressourcen, die sie für ihr normales Leben beanspruchen, für unsere Absicherung nicht zur Verfügung stehen. Macht hilft, auch diese Ressourcen für das eigene Leben zu gewinnen, und dann bleibt es nicht bei dem Ziel der Absicherung, sondern es geht darüber hinaus um Komfort, ohne Weiteres auch zu Lasten der Anderen, und auch bis an die Grenzen ihrer Existenz. Wenn wir die Anderen da haben, dann können wir sie sogar dazu bringen, dass sie vor allem dafür arbeiten, unsere Sicherheit und Macht zu mehren.
Dabei wird der Gewinn für das Leben des Mächtigen immer verfehlt. Die Sicherheit verlangt, dass die Menge der Menschen und die Weite der Räume, in denen man sich bewegt, massiv eingeschränkt sind, weil sie anders nicht zu sichern sind. Dadurch wird die Welt für den Mächtigen sehr klein, und darüber hilft auch nicht hinweg, dass seine Macht ggf. sehr weit in Welten hinein reicht, in denen er gar nicht lebt. Immer ist er als Erstes gezwungen, seine Machtposition zu verteidigen und zu steigern, d.h. seine Sicherheitswelt zu bauen, und im selben Maße fehlt es ihm an der Kapazität zum Bau der Welt, die er eigentlich für sich möchte, und zur Mehrung des eigenen Lebens.
Macht korrumpiert: Die Mächtigen mindern ihr eigenes Leben zu Lasten der Anderen. Den Orden verdient zuerst der einfache Mensch, der mit beschränkten Mitteln das ohnehin schwierigere und womöglich durch die Mächtigen noch erschwerte Leben bewältigt und damit vorlebt, dass selbst ein solches Leben lebbar ist.
Der Superlativ aller Arten von Macht ist dann die Allmacht Gottes. Wer unter der Natur oder der Macht Anderer leidet, kann leicht von einer Allmacht träumen, die in der Welt größer ist als jede, die Menschen erleben oder ansammeln könnten, und mit der Gott, wenn er gerecht ist oder wenn man ihn darum bittet, die Naturgewalten und die übermächtigen bösen Menschen zurückpfeift und auf diese Weise unser Leid mindert, ggf. auch gegen die Naturgesetze.
Dies sind aber wieder Sätze, die das Außerweltliche mit innerweltlichen Strukturen und Objekten begrifflich verbinden, und das kann eben prinzipiell nicht sein. Es ist sinnlos über das Außerweltliche verfügen zu wollen zum Zweck, etwas in der Welt herbeizuführen oder zu verhindern, oder in der Weise, dass wir über das Außerweltliche zu urteilen versuchen.
Wir haben die Aufgabe, das Leben zu mehren. Da es eine Welt der Macht gibt, haben wir die Aufgabe, auch diese so zu erschließen, dass das Leben gemehrt wird.
In diesem Teil haben wir festgestellt, dass das Außerweltliche und das Innerweltliche sozusagen auf dramatische Weise nicht zusammenhängen.
12. Die wichtigste Konsequenz der Absolutheit und damit der "Konsequenzlosigkeit" des Außerweltlichen ist die Nichtigkeit der vielen behaupteten "Konsequenzen" des Außerweltlichen. Insbesondere
13. Was innerweltlich positiv wirksam ist, ist der Blick auf das Außerweltliche. Er hat eine ausrichtende Wirkung und bringt uns in die optimale Daseinshaltung. Ohne diesen Blick ist die Welt für uns letztlich zum Verzweifeln.
14. Das Außerweltliche begründet keine Morallehre.
Die folgenden zwei Teile befassen sich nun mit einer größeren Zahl von Fällen missbräuchlicher Rede vom Außerweltlichen, und ordnen die "Zuständigkeit" für ihre Inhalte zu, entweder der innerweltlichen Rede – "dem Kaiser" – oder der annähernd zeigenden Rede vom Außerweltlichen – "Gott".
Mit dem Wesen der Seele beschäftigen sich Daseinslehren und die Wissenschaften von der Theologie über die Psychologie bis zur Gehirnforschung. Die Seele ist deshalb ein viel versprechendes Objekt, um daran die Zuständigkeiten zu klären und darüber hinaus die Beziehungen zwischen Theologie, Geistes- und Naturwissenschaften zu illustrieren.
Schauen wir in Hinblick auf die Seele kurz in die genannten Bereiche hinein:
In der Theologie ist die Seele das, was Gott dem Lehmklumpen eingehaucht hat, damit daraus ein lebendiger Adam wurde, eine Gabe Gottes, die er dem Menschen anvertraut hat und ggf. zurück haben will, die man aber auch dem Teufel verkaufen kann. Oder sie ist direkt ein Teil Gottes. Die Seele kann sündig sein und verloren werden, aber auch erlöst und gerettet. Letztlich ist sie unsterblich, lebt nach dem Tod des Körpers weiter und kehrt zu Gott zurück wie der verlorene Sohn. Eventuell wird eine Seele mehrmals verschiedenen Wesen zugeteilt und in diesen Verkörperungen in die Welt geschickt, so lange, bis sie sich vervollkommnet hat. Im konkreten Fall ist sie ein Teil des jeweiligen Menschen oder Wesens: alles an ihm, was nicht sein Körper ist.
Die Psychologie fasst alles in Theorien, was sich an Strukturen und Vorgängen der Seele von innen und außen beobachten und objektivieren lässt, seien sie dem Subjekt bewusst oder nicht. Da gibt es seelische Energie, die aus den Triebstrukturen kommt und dann von verschiedenen Instanzen – in artspezifisch menschlicher Weise und auch individuell spezifisch – verarbeitet, gelenkt, gefiltert, verstärkt, verschoben, unterdrückt usw. wird und sich im Verhalten äußert. Und da gibt es einerseits eine Anfangsausstattung dieser gesamten Strukturen und andererseits Mechanismen, die die Struktur verändern, lernen oder verlernen lassen, oder auch fixieren.
Die Gehirnforschung arbeitet unter der Hypothese, dass die Seele eine Funktion der Gehirnstrukturen ist. Für viele geistige und seelische Vorgänge kennt man die Bereiche des Gehirns, die entsprechend aktiv sind. Man kennt die prinzipiellen Feinstrukturen, viele größere Strukturen der Verschaltung der Gehirnzellen und der Gehirnbereiche, und weiß einiges über die Informationsflüsse zwischen ihnen. Das Bild, das sich ergibt, lässt es plausibel erscheinen, dass man seelische Vorgänge sehr weitgehend, und im Prinzip komplett auf Gehirnvorgänge abbilden können wird.
Wie verträgt sich das nun alles?
Die geringsten Probleme dürfte es zwischen Psychologie und Biowissenschaften geben. Wenn es gelingt, Gehirnstrukturen und -vorgänge offen zu legen, die es einem Tennisspieler ermöglichen, in Echtzeit die Flugbahn eines 200 Stundenkilometer schnellen gegnerischen Aufschlags zu berechnen und einen Bewegungskomplex auszulösen, der den Ball unerreichbar für den Aufschlagenden retournieren soll, dann wird das keiner Psychologie widersprechen. Ebenso wird es der Gehirnforschung nicht widersprechen, wenn derselbe Tennisspieler den Return verschlägt und noch einen weiteren Fehler macht, der psychologisch mit dem nicht abgeführten Ärger über den misslungenen Return erklärt werden kann.
Aber was will die Theologie noch Seele beschreiben, wenn die Wissenschaften zwischen Psychologie und Humanbiologie das objektiver, genauer und immer umfassender leisten! Noch dazu, wenn so offensichtlich absurde Aussagen aufrechterhalten werden sollen wie die, dass die Seele etwas Transzendentes sei und nach dem Tode weiterlebe, wo man doch aus den wissenschaftlichen Befunden doch inzwischen sicher weiß, dass die individuelle Seele geradezu eine Ausprägung ihres individuellen Körpers ist und ohne ihn absolut nicht sein kann. Was kann die Philosophie noch über das Thema "Erkenntnis" aussagen, das besser wäre als die Ergebnisse der kognitiven Psychologie, der Neurophysiologie und der künstlichen Intelligenz mit ihren neuronalen Netzen!
Die Antwort kann eigentlich nur lauten: Nichts.
Aber bei dieser Antwort ist uns trotzdem nicht wohl. Zu Recht, und unsere oben erarbeiteten Sichten auf die Welt und das Außerweltliche helfen uns, die Verhältnisse zu klären:
Die Seele ist primär eine von uns begriffene, also selbst entworfene, innerweltliche Struktur, denn sie begegnet uns vorwiegend innerweltlich sowohl in der inneren Wahrnehmung als auch indirekt über ihre Effekte in der äußeren Wahrnehmung. Ihre Objekte – Gedächtnis, Gedanken, Gefühle, Energie, Motive, Wille usw. –, ihre Zusammenhänge und ihre Bewegungen begegnen uns im Prinzip nicht anders als sonstiges Innerweltliches wie Wärme, Farbe, Weg, Hindernis, Kraft, Widerstand.
Für das entsprechende Außerweltliche, das entlang der Sichtlinien in die Tiefe der Seele in den Blick kommt, haben wir bereits den Ausdruck "Eigentliches Selbst" eingeführt.
Religiöse und wissenschaftliche Rede über "Seele" lassen sich damit völlig klar abgrenzen, denn ihre Gültigkeitsbereiche sind disjunkt.
Die Religionslehren können den Begriff der Seele in annähernd zeigenden Reden über unser außerweltliches Daseins-Selbst gebrauchen. Es sind aber eben annähernd zeigende Reden und keine begrifflich belastbaren Aussagen über die Seele.
Begrifflich belastbare Aussagen über die Seele sind allein Sache der Wissenschaften. Aber was die Wissenschaften über die Seele aussagen können, kann andererseits keineswegs ein außerweltliches Daseins-Selbst beschreiben oder auch nur meinen.
Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Obwohl das eigentlich immer ironisch gemeint ist, sind wir nach allem, was wir inzwischen abgehandelt haben, schnell versucht auszurufen: wie wahr! Die Instanz des freien Willens kann doch eigentlich nur außerweltlich sein.
Der Wille ist das, was die Richtung und Stärke unseres Handelns bestimmt. Innerweltlich gibt es dafür viele mögliche Instanzen, z.B. Andere, die auf uns Macht ausüben, die Sach- und Systemzwänge, die uns in der Welt begegnen, unsere Automatismen, unsere Triebe, autonome Komplexe, und schließlich etwas in uns, das aus alledem Handlungsentscheidungen macht.
So merkwürdig das im ersten Moment erscheinen mag: Wir brauchen diese Phänomene hier nicht alle zu diskutieren, um Ihnen auf den Grund zu kommen. Sie sind zwar sehr wohl Gegenstand unserer Welterschließung, insbesondere auch der Wissenschaften. Deren Wesen aber ist die Kausalität: alles hat seine Ursache, und wenn man die Ursachen unter Kontrolle hat, dann auch die Wirkungen. Wir könnten also, oder würden in Zukunft, in unseren begrifflichen und wissenschaftlichen Systemen erklären können, welches die Instanzen und die jeweiligen Funktionen sind, die unser Handeln bestimmen und wie sie es bestimmen. Das so bestimmte Handeln wird entweder unausweichlich sein, weil in seinen innerweltlichen Ursachen völlig bestimmt, oder es wird zufällig sein, also auch nicht willentlich von uns bestimmt. Innerweltlich gibt es keinen freien Willen.
Man kann an dieser Stelle protestieren, weil man von sich selbst weiß, dass man einen freien Willen hat und zumindest im Prinzip gegen alle Sachzwänge entscheiden und jederzeit spontan etwas absolut Überraschendes tun könnte – und es gibt immer wieder Menschen, die so agieren. Man hat dann die Wahl, entweder zu akzeptieren, dass das Gefühl der Willensfreiheit oft oder immer eine systematische Täuschung ist, ein innerweltlich durchaus nicht ungewöhnliches Phänomen, ähnlich etwa zu den optischen Täuschungen, oder man nimmt andererseits tatsächlich eine außerweltliche Instanz an, die wir schon früher als "unser Eigentliches Selbst" umschrieben haben.
Ist es vernünftig anzunehmen, dass wir uns immer über unseren – dann eben nur angeblich – freien Willen täuschen?
Wir können so in der Welt aufgehen und ihr so verfallen, dass wir in ihr alles "richtig" machen und ein eigener Wille daher gar nicht mehr zum Tragen kommen kann. Es mehrt übrigens Leben nicht sonderlich, wenn alles in zu Ende gedachten, zwangsläufigen Bahnen verläuft. Innerweltlich laufen kausale Entwicklungen immer in Richtung zunehmender Entropie, d.h. abnehmender Ordnung, Chaos, Tod.
Wir leben aber genau dagegen erfolgreich an. Wir können so weit Abstand von allem Sachzwang nehmen, dass wir uns fragen: "Was mache ich da eigentlich?! Will ich das eigentlich?", und daraus können wir eine eigenständige neue Orientierung gewinnen.
Es ist vernünftig einzusehen, dass wir zwar sehr nachhaltig von den Umständen bestimmt sein können, dass wir aber auch daraus, d.h. aus der Welt, auftauchen und uns davon, d.h. von der Welt, frei machen können, wenn wir es wollen.
Natürlich können wir nun wieder keinen Mechanismus angeben, wie unser Selbst als außerweltliche Instanz innerweltlich bewirken soll, dass sein Wille geschieht. Wir können aber annähernd zeigend darüber reden und haben das oben schon getan, brauchen also hier nur darauf verweisen: In Kapitel 1 haben wir für das Verhältnis unseres Selbst zu unserer Welt das Bild vom Spieler in einer virtuellen Realität benutzt. Und wir haben davon gesprochen, dass wir in unser In-der-Welt-Sein "geworfen" sind und uns darin "entwerfen", so dass man sagen könnte: unser eigentlicher Wille nimmt in dieser Art Entwurf Gestalt an. Schließlich haben wir in Kapitel 21 zu zeigen versucht, dass dieser Entwurf sehr viel mit unserer Haltung zur Welt und dem Gewinn der zugehörigen Sichtlinien auf das Außerweltliche zu tun hat.
Wir registrieren hier nebenbei das wieder gewonnene Verständnis eines bekannten, aber stets unzulänglich interpretierten Jesus-Zitats:
"Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun." (Joh 15,5).
Wenn man diese Rede nur als Sollbeschreibung einer Bindung des Menschen an Jesus nimmt, dann bleibt unklar, wieso der Mensch andernfalls nichts zu Wege bringen oder gar überhaupt nichts tun können soll. Die Nichtchristen sind doch alle im Prinzip fähig viel zu tun und zu erreichen.
Setzen wir aber im Sinne der Jesus-Nachfolge für den Weinstock bzw. Jesus uns selbst ein – unser außerweltliches Eigentliches Selbst –, und für die Reben unsere innerweltlichen Subjekte, dann ergibt sich ein plausibles, existenzielles Verständnis dieser Rede:
Die Rückbindung an das Eigentliche Selbst ermöglicht es uns, Leben zu mehren. Ohne das Eigentliche Selbst kommen wir gegen die Eigengesetzlichkeit der Welt nicht an und können nicht nach freiem Willen handeln.
Mit der folgenden, willkürlich zusammengestellten Liste von Thesen wollen wir uns nun einen konkreten Eindruck davon verschaffen, von welcher Art und wie groß und verbreitet das Problem der falschen begrifflichen Bindung des Außerweltlichen ist. Gegen jede einzelne These ist übrigens schon viel gesagt worden, ausgeräumt sind sie aber allesamt nicht, und das unwohle Gefühl mit ihnen ist genauso hartnäckig geblieben. Hier wird dargelegt, dass solche Thesen absolut nichtige Aussagen sind:
- Der Glaube sei dogmatisierbar. Die Kirche solle das Wort Gottes verkünden und nicht diskutieren.
Der zweite Satz hat eigentlich einen richtigen Kern: Das Außerweltliche ist absolut und deshalb nicht diskutierbar. Daraus kann man aber nicht schließen, dass wortgenaue Aussagen über das Außerweltliche absolut sein könnten. Sie sind vielmehr immer nichtig. Der Glaube würde damit reduziert auf ein Paket von irrationalen Sachaussagen.
Nebenbei gesagt: Es gibt kein buchförmiges Wort Gottes. Man kann keine Aussage machen, die das Außerweltliche mit einem innerweltlichen Gegenstand wie etwa einem Buch verknüpft.
Das Wesen des Glaubens ist die Sicht auf unsere im Außerweltlichen verwurzelte Daseinssituation. Was dort in den Blick kommt, kann man nicht präzise ausdrücken. Man kann das Außerweltliche "verkünden", aber nur, indem man umschreibende Reden versucht in der Hoffnung, dem Hörer das Außerweltliche in den Blick zu bringen. Solche Reden müssen dem Umfeld der Hörer angepasst sein und funktionieren nur temporär.
In der Welt können wir ohne Weiteres erkennen, wenn religiöse Aussagen als Sachaussagen falsch sind, wenn die Autorität, mit der sie verkündet werden, angemaßt ist, wenn Autoren nur nachsprechen, ohne selbst zu verstehen, wenn sie gegen Kritik und Ablehnung ein schlechtes Gewissen zu erzeugen versuchen, und wie gut andererseits die Glaubensverkündungen einer Glaubensgemeinschaft auf das Außerweltliche zeigen und inwieweit sie uns helfen, unsere Existenz in den Blick zu bekommen.
Wenn Glaubensgemeinschaften sich untereinander absichtlich und betont, geschweige denn militant differenzieren, dann hat das nicht mehr als einen weltlichen Sinn. Nicht einmal der tolerante Wettbewerb von Glaubensgemeinschaften um die wahre Lehre, wie ihn Lessings Nathan heraufbeschwört, ist produktiv, weil es so eine Lehre nicht geben kann. Das Beste, was Glaubensgemeinschaften tun könnten, ist annähernd auf das Außerweltliche zeigende Rede zu entwickeln und einander dabei gegenseitig zu stimulieren.
- Der Papst sei unter spezifischen Bedingungen unfehlbar.
Wie vor ein paar Absätzen gesagt: Eine Rede ist nicht schon deswegen absolut, weil sie über etwas Absolutes redet. Wenn sie über Außerweltliches redet, so redet sie über etwas begrifflich nicht Fassbares. Solche Rede ist infolgedessen weder beweisbar noch widerlegbar. Das schließt nicht aus, dass sie im Kontext einer bestimmten Glaubensgemeinschaft religiös hochwertig sein kann. Aber gerade dann ist es umso wahrscheinlicher, dass sie in anderen Kontexten jede religiöse Wirkung verfehlt, und im Wettbewerb mit dort erfolgreichen Reden über das Außerweltliche scheitert. Ob und wem die annähernd zeigende Rede das Außerweltliche in den Blick bringt, darüber haben wir nun einmal keine Kontrolle.
Wenn die "unfehlbare" Rede über Innerweltliches geht, so liegen die Maßstäbe sowieso immer in den jeweils zeitgemäßen Objektivitäts- und Wahrheitskriterien für innerweltliche Aussagen. Das Außerweltliche ist nicht begrifflich und kann daher nichts begründen, insbesondere auch keine innerweltliche Unfehlbarkeit, die diese Kriterien aufheben könnte.
- Es gebe ein "Geheimnis des Glaubens".
Außerweltliches kann nicht mit Attributen versehen werden, es kann nicht geheim sein. Wenn die Rede dennoch zutreffend sein soll, dann muss der gemeinte Glaubensinhalt ein innerweltlicher sein, sonst könnte er nicht geheim sein. Bevor man ihn glaubt, wartet man am Besten, bis das Geheimnis gelüftet und der Wahrheitsgehalt erkennbar ist.
Dass das Außerweltliche begrifflich nicht fassbar ist, heißt nicht, dass es einem nicht offen liegen könne, wenn man nur den Blick darauf zu lenken verstünde. Die Position, dass hier ein angeblich nicht zu lösendes Geheimnis herrsche, dürfte in ihrer innerweltlichen Wirkung den Menschen eher davon abhalten, den Blick auf das Außerweltliche zu suchen. Insofern leistet die Rede vom "Geheimnis des Glaubens" ihren Beitrag zur Gottvermeidung. Sie verführt den Empfänger dazu, das Beste, das ihm im Leben passieren kann, zu verpassen.
- Es sei verboten, religiöse Bilder jeglicher Art zu schaffen, schon gar negative.
Hier handelt es sich offensichtlich um eine über das Ziel hinausschießende Interpretation des Zweiten Gebots. Dieses Gebot impliziert ja nur, dass man religiöse Bilder nicht als sachliche Darstellungen verstehen darf. Mit Bildern auf das Außerweltliche zu zeigen, ist ansonsten ein legitimes und löbliches Unterfangen, das schon viele wunderschöne Ergebnisse hervorgebracht hat. Solche Bilder sind beurteilbar, allerdings nicht ohne existenzielle Kompetenz.
Verzerrte und lästerliche Bilder können natürlich so genannte "religiöse Gefühle" verletzen. Aber Gefühle sind eine innerweltliche Angelegenheit und können nicht mit Gott in Verbindung gebracht werden. Wenn man Bilder verbieten will oder gegen Verbote angehen will, liefert das Außerweltliche keine Begründungen, sondern man muss dann schon innerweltliche Gründe ins Feld führen.
- Die Schöpfungsgeschichte der Bibel widerlege die Evolutionstheorie.
In Kapitel 5 haben wir gesehen: Die stärkste Interpretation der Schöpfungsgeschichte ist die als Rede über den außerweltlichen Ursprung des Dasein.
Als sachliche Rede über die Welt versagt die Schöpfungsgeschichte gegenüber längst gesicherten Akzeptanzkriterien für Theorien: sie ist nicht verifizierbar und erklärt vergleichsweise fast nichts.
Die Evolutionstheorie ist eine rein innerweltliche Angelegenheit. Wie sollte sie durch eine auf das Außerweltliche annähernd zeigende Rede widerlegbar sein!
- Die Wandlung in der Eucharistie sei eine faktische.
Zur Erklärung: Wein und Brot sollen sich in das Blut und das Fleisch Jesu verwandeln. Innerweltlich ist ein derartiger Effekt nicht reproduzierbar und daher völlig irrelevant. Eine außerweltliche Begründung ist ohnehin unmöglich, aber es wäre auch kein Sinn darin zu erkennen, hier ausgerechnet das Außerweltliche heranzuziehen, um zu begründen, dass wir entgegen unserem Urvertrauen die Fakten nicht so nehmen dürfen, wie sie uns begegnen.
Dies heißt nicht, dass derartige irrationale religiöse Formen grundsätzlich verlogen und sinnlos wären. Jeder, der eine Glaubensgemeinschaft begründen wollte, würde sich überlegen, wie er die Menschen dazu bringen kann, sich regelmäßig mit ihrer Existenz zu befassen. Er würde darauf kommen, dass es dazu wiederkehrende Gelegenheiten – Reden, Handlungen, Zeiten, Formen – geben muss, die fest und möglichst ausschließlich mit dem Blick auf das Außerweltliche assoziiert werden, und die banale Assoziationen mit Innerweltlichem vermeiden. Am besten, diese Gelegenheiten haben von vornherein etwas an sich, das die Menschen mit der Existenzfrage konfrontiert und auch anschließend weiter damit umtreibt.
Gewiss geleistet haben das Menschenopfer, wie es sie in frühen religiösen Riten gegeben hat, und natürlich auch Hinrichtungen. Später wurde alles humanisiert, die Menschenopfer zu Tieropfern abgemildert und schließlich zu symbolischen Opfern bzw. zu "Opfern" für die Bedürftigen. Die Todesstrafe wurde nicht mehr öffentlich vollzogen oder ganz abgeschafft. Heute haben wir für die alten Grausamkeiten nichts mehr übrig, und ihr Bezug zum Außerweltlichen kommt uns gar nicht mehr in den Sinn.
Aber denken Sie, lieber Leser, jetzt und hier einfach einmal folgendes mit: Sie sitzen in einem Gotteshaus, es ist ziemlich still und Sie schalten von Ihrem Alltagsleben ab. Da vorne ist jetzt dieser Kelch. Darin soll Menschenblut sein, das Blut eines Gekreuzigten. Versetzen Sie sich in dessen Lage, wirklich in dessen Lage: Sie wissen, es ist aus mit Ihnen. Die Menschen um sie herum, die Sie quälen, verletzen, töten werden, die Menschen, die Ihnen als Freunde treu bleiben oder versagen, Ihre Mutter: alle sind irgendwie schon weit weg. Was bleibt von Ihnen? Was hält Sie in dieser Situation innerlich noch aufrecht?
Etwa diese Wirkung dürfte ursprünglich mit der Rede von der faktischen Wandlung angestrebt sein. Sie öffnet ein Tor zur Erlösung. Umso ungeschickter ist es, diese Rede als Sachaussage hinzustellen und sie damit zu diskreditieren und zu blockieren.
- Wunder bewiesen das Wirken des Außerweltlichen.
Wunder sind eine innerweltliche Angelegenheit. Das Außerweltliche lässt sich begrifflich nicht binden, also auch nicht an praktisch oder theoretisch Unmögliches. Ein Ereignis kann innerweltlich unmöglich sein oder erscheinen. Wenn es trotzdem eintritt, beweist das nicht, dass es eine außerweltliche Ursache hat, sondern seine Erklärung bleibt weiterhin eine innerweltliche Aufgabe.
Innerweltlich erkennen wir Gesetzmäßigkeiten. Es gibt aber keinen Beweis dafür, dass sie immer gelten müssen. Wir könnten sie höchstens in endlich vielen Fällen verifizieren, auch wenn wir alle Menschen aller Zeiten heranzögen. Dass ein Fall eintritt, der zur Abänderung einer bewährten Gesetzmäßigkeit führt, muss man daher eigentlich ab und zu erwarten.
Übrigens: Zufallsereignisse unterscheiden sich von "gesetzmäßigen" lediglich durch die Länge ihrer Theorie. Zur Beschreibung aller Ereignisse, die einer Gesetzmäßigkeit unterliegen, genügt im besten Fall eine kurze Formel. Die komplizierteste Theorie ist eine Aufzählung und Beschreibung aller erfassten Einzelereignisse. Bei Zufallsereignissen geht es nicht kürzer.
Das Außerweltliche kann auch nicht dazu dienen, innerweltliche Wirkungen an einem oder durch einen Menschen begründen, der Wunder tut. Aus solchen Effekten lässt sich auch keine außerweltliche Bindung des Wundertätigen begründen, etwa seine Seligkeit oder Heiligkeit.
Die außerweltliche Bindung eines Wundertätigen lässt sich allenfalls in einer existenziellen Verbindung mit ihm sehen, und dann wird man gegebenenfalls auch feststellen können, dass sein Handeln in besonderem Umfange Leben mehrt.
- Es gebe einen Teufel und eine Hölle.
Sie als außerweltliche Begriffe zu definieren, ist unmöglich, da das Außerweltliche keine Begriffstruktur hat. An Teufel und Hölle ist nichts Absolutes. Innerweltlich haben sie keine materielle Realität. Man kann daraus ein noch so dramatisches und raffiniertes Denkgebäude samt Fegefeuer, Übergangsregeln, Rettung durch Gebete und Heiligenfürsprache gestalten: als mentale Objekte enden sie alle mit der Welt.
Es ist vielleicht ganz illustrativ, bei dieser Gelegenheit einmal unsere Allegorie von der virtuellen Realität heranzuziehen. Nehmen wir an, unter den Avataren – den Spielfiguren – in einem Spiel entwickelte sich eine kleine virtuelle Theologie: außerhalb des Spiels gebe es den großen Designer-Avatar. Der besäße u.a. drei durch unüberwindbare Grenzen getrennte Areale. In das eine bringe er die ausgeschiedenen Avatare und mache neue daraus, in das zweite bringe er alle Avatare, die mindestens 10% ihres Spielvermögens an andere Avatare verschenkt haben, und in das dritte alle Avatare, die einen anderen betrogen haben. Ein Avatar in der letzteren Gruppe kann gerettet, d.h. in die zweite Gruppe hinüber geholt werden, wenn derjenige aus der zweiten Gruppe, der von allen am meisten betrogen worden ist, zustimmt, u.a.m. … Wenn dieses Spiel lange genug liefe, würde die virtuelle Theologie mit der Zeit sicherlich immer mehr angereichert und verfeinert werden und, da sie innerhalb des Spiels sicher nicht widerlegt werden könnte, würden schließlich alle Avatare sie übernehmen. – Und wir wissen, dass sie bodenloser und belangloser Unfug ist.
- Jesus habe durch seinen Gang in den Tod und seine Auferstehung stellvertretend unsere Sünden abgebüßt und uns damit erlöst und den Tod überwunden.
Kreuzigung, Grablegung und, dass der Begrabene das Grab verlässt, sind innerweltliche Vorgänge. Mit "Tod" kann hier trotzdem nicht der innerweltliche gemeint sein, das zeitliche Ende unseres Lebens. Dieser Tod ist ja nicht überwunden, denn seit je und nach wie vor entkommt ihm kein Mensch.
Die Alternative ist ein außerweltlich zu verstehendes Tot-Sein, eine Art negatives außerweltliches Sein, etwa im Gegensatz zu einem außerweltlichen Heil. Nach allem Obigen gibt es aber keine Struktur des Außerweltlichen, also auch keine solche duale Struktur von Heil und Unheil.
Die Behauptung der Überschrift reicht also über ihre innerweltliche Bedeutung nicht hinaus, und als solche ist sie falsch.
Immerhin kann man mit einer großzügigen religiösen Deutung der Behauptung die innerweltliche Angst vor dem Tod überwinden. Wenn man sich mit seiner eigenen Existenz befasst, sozusagen geradezu auf den Tod zugeht, dann bekommt man das Außerweltliche in den Blick, und dann sieht man, dass das Außerweltliche frei von allem Innerweltlichen, also auch frei von Gefühlen, also auch angstfrei ist. Allein diese Sicht bewirkt eine Art Auferstehung, die Angstblockade wird aufgelöst und Lebensmotivation strömt wieder.
- Es gebe eine Auferstehung des Fleisches in einem anderen Leben.
Außerhalb unseres Lebens, d.h. unserer Welt, die mit dem Tod endet, gibt es keine Struktur. Das Außerweltliche hat keine Zeitachse, auf der etwas geschehen könnte, und "Fleisch" gibt es nur in der Welt.
Auferstehung ist innerweltlich. Während unseres Lebens können Teile unserer Welt enden, und das ist für uns wie ein partieller Tod. Danach können wir wieder auf(er)stehen und neue Welt erschließen und somit neues Leben beginnen.
- Kirchen hätten eine inhärente moralische Autorität, weil sie die Träger des Glaubens seien und der Glaube die Moral begründe.
Solche moralische Autorität mag hie und da gegeben sein, aber außerweltlich begründet können derlei innerweltliche Verhältnisse niemals sein, weder die Moral noch die Autorität, noch auch eine womöglich daraus abgeleitete Macht. Moral ist ein innerweltliches Phänomen und die Maßstäbe dafür sind innerweltlich. Die Mitglieder von Glaubensgemeinschaften sind wie alle Menschen in ihr Dasein geworfen und müssen sich damit unweigerlich im Raum von Gut und Böse bewegen. Das absolut Gute ist außerweltlich, und in der Welt ist "gut gemeint" oft das Gegenteil von "gut".
Organisationen können natürlich moralische Autorität erwerben und aufrechterhalten. Theologisches Wissen ist dabei nicht per se hilfreich, aber religiöse Praxis – der immer wieder aufgefrischte Blick auf das Außerweltliche – bringt Menschen dazu, sich auf die Mehrung des Leben zu verlegen. Und solchen Menschen wird ggf. hohes moralisches Ansehen zugetragen – im besten Fall können sie sogar Mächtige "umpolen".
- Man müsse derjenige Mensch werden, der man nach Gottes Willen zu sein bestimmt ist.
Wie will man denn in der Welt behaupten können, dass ein ansonsten begrifflich nicht fassbares Außerweltliches so etwas Innerweltliches wie einen Willen habe, und wie wollte man den dann begreifen! Es ist unmöglich.
Oder doch nicht? Haben wir nicht ganz am Anfang mit der Analogie der virtuellen Realität und im Kapitel 25 über die Willensfreiheit genau das getan, was wir hier ablehnen? Danach lenkt doch unser außerweltliches Eigentliches Selbst unser innerweltliches Wesen. Dass wir dabei nicht die Dimension der Göttlichkeit sondern die des Eigentlichen Selbst und des Entwerfens im Blick hatten, macht an der Struktur der Rede ja keinen Unterschied.
Wo liegt also der Unterschied, der die eine Rede zulässig und die andere unzulässig machen soll? Antwort: Wir haben nicht behauptet, dass wir die Willensverbindung von unserem eigentlichen Selbst zu unserem innerweltlichen Wesen begreifen können, sondern vielmehr behauptet, dass wir keine Kontrolle haben.
Demgegenüber impliziert der obige Satz, dass das Außerweltliche ein für alle Mal für unser innerweltliches Ich-Wesen Zieleigenschaften vorgesehen habe, die es – das Außerweltliche – aber nicht herstellen könne oder wolle, deren Erreichung es vielmehr von uns zwar erwarte aber letztlich uns überlasse. In diesem Bild hat das Außerweltliche keine Kontrolle. Welch eine entschieden anthropomorphe Struktur für ein ansonsten unbegreifliches Außerweltliches!
Wie wird aus dem obigen ein vernünftiger Satz? Etwa so: Was uns am meisten helfen würde, wäre, das Außerweltliche und damit unser Eigentliches Selbst in den Blick zu bekommen und dadurch unser Leben ausrichten und lenken zu lassen.
- Die Evolutionstheorie weise so große Komplexitätssprünge auf, dass sie nicht evolutionär überbrückt worden sein könnten. Die Unterschiede müssten von vornherein in einem "intelligent design" angelegt worden sein, zu dem niemand anders als Gott fähig sei. Das beweise mehr oder weniger die Existenz Gottes. Die Lebewesen seien, so wie sie sind, von Gott geschaffen.
Ja, die Rede vom "intelligent design" ist eine religiös wertvolle. Wir haben oben in den Kapiteln 7 und 8 selbst davon geredet, dass es uns gegeben ist, unsere Welten verstehend zu entwerfen. Und wir können dabei bewundernd feststellen, dass etwa die Lebewesen und ihre Entwicklung uns nach menschlichen Maßstäben so wunderbar erscheinen, wie wenn sie von Gott konzipiert wären. Aber dann bleibt es immer noch Aufgabe von uns Menschen, die – möglichst alle – Zusammenhänge zu verstehen und zu erklären. Und dazu haben wir festgehalten, dass unsere Welten unsere Konstrukte sind, und wenn es darin spontane, nicht-kausale Ereignisse gibt, so sind auch diese unsere Konstrukte. In dem Satz: "X ist Ursache für den innerweltlichen Sachverhalt Y" – z.B. für einen Komplexitätssprung in einer Entwicklung – kann man für X nur einen innerweltlichen Begriff, nicht aber das Außerweltliche einsetzen.
Wenn man in der Welt Ursachen vermisst, ist es also keine besonders intelligente Idee, einfach das Außerweltliche als Ursache anzunehmen. Das Thema der Gottesbeweise ist übrigens schon seit Jahrhunderten endgültig – negativ – erledigt.
- Gott sei gerecht.
Wieder eine unzulässige Attributierung des Außerweltlichen. Gerechtigkeit ist eine rein innerweltliche Angelegenheit. Andererseits: Dass uns der Blick auf das Außerweltliche "richtet", d.h. uns in die "richtige" Haltung bringt, haben wir schon erwähnt.
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In allen Beispielen dieses Kapitels und dieses Teils 6 werden innerweltlichen Sachverhalten außerweltliche Begründungen oder Folgen zugeordnet.
Wir haben oben dargelegt, dass und wie das Zweite Gebot einen solchen Missbrauch der begrifflichen Verwendung des Namens Gottes – und damit jeglichen Namens für das Außerweltliche – in innerweltlichen Aussagen verbietet.
Unsere innerweltlichen Konstrukte haben ihr Wesen, ihre Gründe und Folgen, ihren Nutzen oder Schaden in unserer Welt. Das Außerweltliche in diese Konstrukte verwickeln zu wollen, ist absurd.
In welchem Entwicklungsstadium beginnt das menschliche Leben? Bis in welche Phase der Schwangerschaft ist Abtreibung zur Not zulässig? Welche Arten des Klonens an welchen Lebewesen sind erlaubt, welche unvertretbar? Wann ist ein Mensch so tot, dass man ihn ruhigen Gewissens aufgeben kann? Welche Arten von Gentechnologie müssen verboten werden? Sind Tierversuche zugunsten der Mehrung menschlichen Lebens zu rechtfertigen?
Dies sind gewichtige und anscheinend kaum in den Griff zu bekommende Fragen, bei denen die Wirtschaft und die Kirchen massiv parteiisch auftreten, die Wissenschaft heftig mit sich ringt, und der einzelne Betroffene, der zu entscheiden hat, es eigentlich keinem recht machen kann, schon gar nicht seinem eigenen Gewissen.
Gleich vorweg gesagt: Bei allem, was sich hier möglicherweise mit der Zeit klären und ordnen lässt, das Gewissensproblem wird bleiben, und man wird niemanden davor schützen können.
Ansonsten ist aber offensichtlich, dass es sich hier um moralische Fragen im Grenzbereich zwischen Religion und Wissenschaft bzw. Technologie handelt und dass alles, was wir in den Teilen 1 bis 5 so breit abgehandelt haben, nun hier eigentlich Früchte tragen sollte. Folgende Sätze liegen nahe:
- Zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Bedingungen ein Eigentliches Selbst die innerweltliche Lenkung eines Embryos aufnimmt, ist innerweltlich nicht definierbar. Es ist ja innerweltlich nicht einmal das Eigentliche Selbst definierbar.
- Zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Bedingungen das Eigentliche Selbst den Menschen im Zusammenhang mit einem Realitätsverlust, einem Wachkoma oder dem Tod aufgibt, ist innerweltlich nicht definierbar.
- Ob Tiere ein Eigentliches Selbst haben, das ihr Sein in der Welt lenkt, ist innerweltlich nicht definierbar. Daher kann man auch nicht ableiten, dass man einen Menschen in einem frühen Entwicklungsstadium, das niedriger ist als das jedes ausgereiften Tieres, wie ein Tier behandeln dürfe, weil er ja dann noch nicht in sein Dasein eingetreten sei.
- Ob und unter welchen Bedingungen – ggf. auch defekte – genveränderte und/oder künstlich hergestellte Klone von Menschen und Tieren ein Eigentliches Selbst haben, das ihr Sein in der Welt lenkt, ist innerweltlich nicht definierbar.
Was folgt daraus? Innerweltliche Bedingungen für die Seinsart des Daseins, aus denen man Kriterien ableiten oder die man kontrolliert herbeiführen könnte, gibt es nicht. Die außerweltliche Komponente unseres Daseins steht nicht zu unserer Disposition.
Und wenn wir so Gott überlassen, was Gottes ist, nämlich einem Wesen Daseinscharakter zu geben, dann wird klar, dass die Lösungen der innerweltlichen Probleme hinter all diesen Fragen innerweltlich gefunden werden müssen. Aus dem Außerweltlichen lässt sich nichts dafür ableiten, und außerweltlich autorisierte, höhere moralische Instanzen dafür gibt es nicht.
Umso mehr müssen wir alle verfügbare innerweltliche Erfahrung und Kompetenz – auch moralische – ins Spiel bringen. Wir müssen uns diese neuen Welten, die die Grenzbereiche unserer jetzigen Welten überschreiten, erschließen, indem wir sie neu entwerfen. Und die Fehler, die wir dabei machen, vor allem den Fehler der Hybris und den Fehler des Vergrabens unserer Talente, müssen wir nach den Regeln des Daseinsspiels unausweichlich ausbaden.
Das heißt, wir müssen alles einschlägige Verstehen heranziehen, insbesondere fachliches, gesellschaftliches und wirtschaftliches, und damit innerweltlich – politisch – festsetzen, wann menschliches Leben beginnt, aussetzt und endet, ob und unter welchen Bedingungen wir Tiere töten, welche Arten von Klonen wir akzeptabel finden, und wie wir sicherstellen, dass keine inakzeptablen entstehen. Und dann müssen wir damit leben, was dabei herauskommt, und ggf. unser Verstehen und die Regelungen nachbessern.
So läuft das doch sowieso? Keineswegs, denn der gewaltige Störfaktor außerweltlich begründeter Gebote und Verbote wäre bei diesem Vorgehen aus dem Spiel. Die Religionsgemeinschaften können also nicht über allem "Gottes richtendes Schwert" schwingen, sondern sie müssen sich auf der Basis ihrer innerweltlichen moralischen Kompetenz tabufrei mit der ganzen Sache befassen. Und ohne eine die Sache zwar bequem aber unzulässig vereinfachende moralische Voreinschränkung seitens der Theologie müssen sich auch Wissenschaft und Technologie der Verantwortung stellen, das ganze Problem in voller technologischer Breite und einschließlich der moralischen Komponente zu lösen.
Kann dabei die Thematisierung der Seele helfen? Wenn Tiere Seelen haben, dann könnte das ja vielleicht das Kriterium dafür sein, dass man Tiere nicht töten darf. Das ergäbe auch eine Abgrenzung zu den Pflanzen, die fast jeder als seelenlos ansieht, und die zu töten fast niemand Bedenken hat.
In Kapitel 24 haben wir die Seele als eine innerweltliche Struktur verstanden, und eine solche Seele können wir sicher bei vielen Tierarten feststellen. Es gilt aber auch hier wieder eine Variante der obigen Formeln:
- Ob alle Lebewesen mit einer Seele ein Eigentliches Selbst haben, das ihr Sein in der Welt lenkt, ist innerweltlich nicht definierbar.
Die Seele kann also kein übergeordnetes Kriterium liefern. Und als innerweltliches Kriterium ist sie schwer zu handhaben, wie die folgende Frage zeigt: Warum sollte man denn die einen Lebewesen mit Seele, die Tiere, töten dürfen, wenn man andere Lebewesen mit Seele, die Menschen, nicht töten darf!
Nebenbei bemerkt: Innerweltlich ist auch die ans Absurde grenzende Sicht nicht zu beweisen oder zu widerlegen, dass sogar relativ primitiv angelegte Lebewesen eine außerweltliche Wurzel haben und von einem außerweltlichen Selbst in einem Daseinsfilm gelenkt werden, dass sozusagen die ganze Natur – im alten Sinne – beseelt sei. In unserem Bild von den virtuellen Realitäten würde dem entsprechen, dass man in einfacheren Computerspielen ja auch Wesen mit nur wenigen Freiheitsgraden steuern kann.
Aber irgendwie muss uns die Religion doch helfen können, unser Handeln auch in den Grenzbereichen des Lebens auszurichten! Wie kann das funktionieren? Das Fünfte Gebot sagt: Du sollst nicht töten, d.h. übersetzt: Im Kontext der ersten drei Gebote wird man nicht töten. Wenn man gemäß diesen drei Geboten das Außerweltliche in den Blick nimmt und pflegt, kommt man in eine Leben mehrende Haltung und mindert nicht die Welt Anderer, die man im selben Außerweltlichen verwurzelt sieht. Vielmehr wird man ihr "Nächster", der sie als wesentliche Elemente seiner Welt fördert.
Können wir die Nächsten von Tieren und Pflanzen sein? Können wir sie im Außerweltlichen verwurzelt sehen, mit einem sie lenkenden Eigentlichen Selbst? Können wir uns an einen 8-zelligen menschlichen Keim, an einen gehirntoten, künstlich am Leben gehaltenen Menschen, an eine Laborratte, an ein behindertes Klonschaf, an einen Baum existenziell binden, so dass wir sie in einer Daseinssituation sehen wie uns selbst und unfähig werden, sie zu töten oder ihren Tod zuzulassen? Ja, wir können es im Einzelfall, wenn wir das Außerweltliche in den Blick bekommen, aber dann ist diese Bindung weder unter unserer Kontrolle noch mit innerweltlicher Vernunft zu fassen oder zu vermitteln. Wir wissen dann nur in dem speziellen Fall und nur für uns sicher, dass sie richtig ist und stellen uns dann ggf. absolut gegen den Tod dieses Nächsten.
Wir haben gesehen, wie religiöse Rede fälschlich die Grenze zur innerweltlichen Realität überschreiten und sich damit in falschen Sachaussagen verlieren kann. Auf der anderen Seite können strenge Rationalität und Wissenschaft sich ebenso versteigen, indem sie aus einem allumfassenden Erkenntnisanspruch heraus beweisen wollen, dass es Gott gibt oder nicht gibt, oder indem sie die Unsinnigkeit von Religion beweisen wollen, indem sie sie in sachliche Widersprüche verwickeln.
Sehen wir uns wieder eine Liste von Thesen an. Sie spiegeln eine ambivalente Haltung: Einmal sollen religiöse Aussagen sachlich begründet oder widerlegt werden, ein andermal religiöse Inhalte komplett versachlicht. Beides ist unmöglich.
- Gott sei tot.
Dieser Satz will sagen, dass wir die frühere, schon lange unsichere und durch falsche religiöse Rede diskreditierte Auffassung aufgeben müssen, dass auf irgendeine Weise ein Gott sei. Unsere Erkenntnis erfasse alles oder könne im Prinzip alles erfassen, was sei, und da sei nirgends Gott. Das Innerweltliche sei alles, außerweltlich sei nichts.
Beweisen kann man das prinzipiell nicht, man kann es nicht einmal aussagen, denn das Einzige, was man über das Außerweltliche sagen kann, ist, dass es nicht innerweltlich ist und dass man davon nicht wie von Innerweltlichem in Begriffen reden kann, etwa von einem Objekt "Gott", das darin vorhanden oder nicht vorhanden sein könne.
Welche Aussage ist vernünftiger: dass es ein Außerweltliches gibt oder dass es keines gibt?
In unserer wissenschaftlich geprägten Welt hat sich unter alternativen Auffassungen noch allemal diejenige durchgesetzt, die neue oder mehr Phänomene besser erklärt. Die Annahme eines einzigen Punktes außerhalb der von uns verstandenen Realität ist in dieser Hinsicht keine große Sache. Für eine vereinheitlichte Theorie aller Kräfte der Physik werden ohne Weiteres etliche zusätzliche, unanschauliche Welt-Dimensionen oder gar fiktive Parallel-Universen angenommen, ohne dass jemand das unvernünftig findet. Dieses Buch zeigt unter anderem: Auf der Basis des Daseinsmodells mit einem Außerweltlichen kann man mehr und schwierigere religiöse Texte und damit die existenziellen Züge unseres Wesens vernünftig erklären, besser als mit Psychologie, Soziologie und historischer Forschung zusammen.
Dies kann aber nicht das letzte Wort sein. Eigentlich ist uns unsere Existenz von vornherein unmittelbar erschlossen. Unser Blick darauf ist lediglich mit unseren Weltkonstruktionen verstellt und vom Reiz des In-der-Welt-Seins abgelenkt. Wir müssen sozusagen nur wieder hinschauen. Im Teil 8 zeigen wir, was wir versäumen, wenn wir nicht hinschauen.
- Die Wissenschaft könne alles erklären.
Diese Behauptung erinnert an die Geschichte der Laborratte, die zu ihrer Nachbarin sagt: "Ich habe meinen Experimentator voll unter Kontrolle. Indem ich hier an den Hebel stupse, kann ich ihn jederzeit zwingen, mir Futter zu geben." Wir wissen: Das hängt davon ab, wie lange der Experimentator mitspielt. "Wenn ich mein Gesetz auf eine passende Situation anwende, dann stimmt es immer", denkt der Wissenschaftler und weiß auch nicht, woran es hängt. Warum kann sich Wissenschaft darauf verlassen, dass die ihr begegnenden Fakten auch in Zukunft regelmäßig und konform zu ihren "Gesetzen" bleiben? Wem vertraut sie da?
Auch nicht erklären kann die Wissenschaft, wieso in die Variablen ihrer Formeln diejenigen Werte eingesetzt sind, die auf unsere Welt zutreffen. Man weiß zwar, nach welchen Gesetzen die Planeten um die Sonne laufen, aber man weiß nicht, wie es kommt, dass es für uns gerade diese Planeten auf gerade diesen Bahnen sind.
Eine große, wahrscheinlich zu große Herausforderung an die Wissenschaft ist auch die Erklärung von "Phänomenen" wie Qualität, Intelligenz, Schönheit. Es spricht einiges dafür, dass sie nicht einmal definierbar sind.
Schließlich muss man darauf hinweisen, dass Erklären ja nicht alles ist: Selbst wenn die Wissenschaft alles erklären könnte, sie ist unendlich weit entfernt vom Schaffen. Dabei ist es doch ganz wesentlich an der Welt, dass sie uns aus dem Nichts begegnet.
Dass uns überhaupt Welt begegnet, dass wir ihren Gesetzmäßigkeiten vertrauen können, und dass sie uns im Rahmen dieser Gesetzmäßigkeiten so begegnet, wie sie es für uns persönlich tut, liegt nicht in unserer Hand. Nichts davon ist selbstverständlich, und es ist uns jedenfalls nicht von den Wissenschaften dadurch gegeben, dass sie dazu ein Stück weit strukturelle Hintergründe erfinden kann.
- Die Strukturen der erkennbaren Welt seien so übermenschlich wunderbar, dass sie nur von einem höheren Wesen geschaffen sein können.
Dies ist dieselbe Ableitung wie die im Zusammenhang mit dem "intelligent design" in Kapitel 26. Wie sie als Tatsachenaussage zu werten ist, haben wir dort abgehandelt. Wissenschaftlich kann man weder beweisen, dass das Außerweltliche ist, noch dass es nicht ist.
Die obige These ist einzig als religiöse Rede sinnvoll: Sie zeigt, dass man bei der intensiven Betrachtung der Welt eine Sichtlinie auf die absolute Schönheit finden kann, die wir als eine Dimension des Außerweltlichen erkannt haben.
- Weil es das Böse in der Welt gebe, könne es keinen Gott geben, denn der wäre ein Gott der Güte und des Heils und würde das Böse nicht zulassen.
Das Sein Gottes innerweltlich zu widerlegen ist ebenso unmöglich wie es zu beweisen, weil man es innerweltlich nicht einmal formulieren kann: was für ein "Sein" welchen Objekts? Das Außerweltliche hat insbesondere auch keine Attribute und Wesenszüge, etwa dass es gut oder verantwortlich sei oder nach bestimmten Prinzipien handle.
Unsere Welten sind unsere Konstrukte, einschließlich des Bösen darin. Unsere von Gott geschaffene Daseinssituation dagegen ist von absoluter Qualität, und der schlagendste Beweis dafür ist, dass eigentlich niemand sterben möchte. In der Analogie des Computerspiels gesprochen: Allein, dass es darin böse Gegner gibt und dass man scheitern kann, war noch für niemanden je ein Grund, ein Spiel schlecht zu finden. Aber an der an der schönen 3D-Grafik, der reichen Ausstattung und der raffinierten Konstruktion des Spiels, die einen gleichzeitig herausfordert, festhält und trainiert, kann man sich begeistern.
- Die zentralen Sachverhalte, auf die sich das Christentum stützt, seien alle wissenschaftlich falsch. Z.B. sei Jesus nicht von einer Jungfrau und nicht in Bethlehem geboren. Er habe keine Toten auferweckt. Er sei nicht auferstanden und nicht öffentlich in den Himmel aufgefahren.
Recht hat die Wissenschaft hiermit, wenn sie dies mit wissenschaftlich qualifizierten Aussagen behauptet und belegt, und recht geschieht den Religionslehrern, wenn man ihnen auf einem Gebiet, wo sie nichts zu suchen haben, so an den Karren fährt. Aber als religiöse Reden gehen sie die Wissenschaft nichts an, sondern sind hinsichtlich ihrer existenziellen Kompetenz zu messen.
Sachliche Begründungen zur Stützung religiöser Lehren haben wir nun in Teil 6 zur Genüge ad absurdum geführt, und die Verwendung religiöser Begründungen gegen die Errungenschaften und Entwicklungen der Wissenschaften ebenso.
Was gewinnt die Wissenschaft dabei? Eine Abgrenzung gegen falsche, sich im Begrifflichen verlierende Religionslehre, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Die Abgrenzung gegen die "richtige" Religion verfehlen die obigen Sätze völlig und damit auch den potenziell fruchtbaren Austausch über diese Grenze.
So wie sie falsche Religionslehre korrigieren kann, könnte die Wissenschaft umgekehrt Grenzüberschreitungen zur Religion korrigiert bekommen, z.B. den Anspruch, von der Religion moralische Rechtfertigungen für wissenschaftliches Handeln im Grenzbereich zu erhalten. Die Wissenschaft müsste sich dann damit abfinden, dass das Außerweltliche vernünftigerweise als "gegeben" zu akzeptieren ist und trotzdem der wissenschaftlichen Erfassung absolut verschlossen bleibt. Sie könnte andererseits darauf aufbauen, dass Verstehen eine Dimension unserer Existenz ist und dass wir diese Talente zu mehren haben, indem wir Welten, und eben auch wissenschaftliche Welten neu erschließen. Wissenschaft ist existenziell begründet.
- Ewigkeit sei unendliche Zeit.
Man kann natürlich den religiösen Begriff der Ewigkeit usurpieren und mit dem obigen Satz einen innerweltlichen Begriff definieren. Dann müsste man auch gleich dazu sagen, dass er mit einem religiösen Begriff von der Ewigkeit nichts zu tun haben soll. Gerade das wird aber nicht gesagt, sondern alle modellieren die Zeit – jedenfalls die klassische Zeit – als eine unendliche, gerade, mit Maßzahlen versehene Linie.
Auf so einer Zeitachse sind unsere Lebenszeiten und die Lebenszeiten aller Menschen endliche Strecken. Wenn wir sterben, ist unsere Strecke zu Ende, und wir werden gleich oder später noch einmal wiedergeboren, oder auch nicht, und bekommen dementsprechend eine neue Strecke, oder auch nicht. Wenn nicht, so bleiben wenigstens unsere Seelen weiter erhalten. Irgendwann, in 30 Sekunden, oder wenn die Erde schon längst ausgestorben ist, oder wenn das Universum schon 99 mal in sich zusammengestürzt und wieder explodiert ist – wir wissen nicht wann –, setzt Gott nach der Vorstellung der Christen den Jüngsten Tag. Dann sterben alle gerade noch Lebenden, und alle Seelen bekommen in der Auferstehung des Fleisches wieder einen Körper und werden nach bestimmten Maßstäben entweder in den Himmel oder in das Fegefeuer oder gleich in die Hölle sortiert, wo sie dann für den unendlich langen Rest der Zeitachse sehr gut oder sehr schlecht weiter leben.
Das alles steht auf einer innerweltlichen Vorstellung von Ewigkeit, die wir innerweltlich nicht einmal gebrauchen können. Und nur weil es völlig irrational ist, zeigt es noch lange nicht auf etwas Absolutes. Ewigkeit ist nicht einmal "wie" unendliche Zeit. Da verweigern wir doch besser der religiösen Rede das Bild von der unendlichen Zeit und bestimmen die Ewigkeit als außerweltlich.
- Die Wirksamkeit des Betens für Andere sei möglicherweise irgendwann mit quantenphysikalischer Verschränkung erklärbar.
Wir stellen fest, dass viele Fälle berichtet werden, in denen Person A für Person B, gebetet hat, ohne dass B etwas davon wusste, und dass B mehr oder weniger unmittelbar daraufhin eine dem Gebet entsprechende Wirkung, z.B. eine Heilung erlebt hat.
Wir sind noch nicht dahinter gekommen, wie das funktioniert. Wenn es aber eine Erklärung gibt, so muss sie innerweltlich sein, denn durch eine innerweltliche Handlung wie das Beten, bei dem ich versuche, das Außerweltliche in den Blick zu bekommen, kann ich zwar möglicherweise eine Wirkung auf mich selbst erleben, aber es ist unmöglich, das Außerweltliche damit zu binden und es zu veranlassen, innerweltlich auf einen Anderen zu wirken. Das Außerweltliche ist unverfügbar.
Sollte die These also die Aussicht suggerieren, man könne mit der Zeit, so wie im Fall der (vermeintlich) außerweltlichen Fernwirkung von Gebeten, schließlich alles Religiöse mit wissenschaftlichen Erklärungen erfassen, so suggeriert sie etwas grundsätzlich Unmögliches.
Nun zu den innerweltlichen Erklärungsmöglichkeiten: Solange man etwa vom Gehirn nur wenig wusste und von elektromagnetischen Wellen nur ein beschränktes Wissen hatte, konnte man leicht spekulieren, dass die Wirksamkeit des Betens für Andere möglicherweise mit elektromagnetischen Wellen erklärbar sei. Und wer gar keine Ahnung von Physik und Physiologie hat, dem kann man sogar heute noch weismachen, das sei alles "magnetisch". Aus dieser Erfahrung heraus dürfen wir gegenüber der Idee einer quantenphysikalischen Erklärung jedenfalls noch für einige Zeit skeptisch bleiben.
Es würde aber auch nichts schaden, wenn sich auf Dauer keine innerweltliche Erklärung fände. Dass gelegentlich auf unerklärliche Weise Leben in der Welt gemehrt wird, ist eine angenehme Qualität unserer Daseinssituation, die man auch gerne einfach hinnehmen kann, und die innerweltlich sowieso nicht erklärbar ist.
- Maschinen könnten einmal so intelligent oder sogar intelligenter sein als die Menschen (und dann womöglich die Weltherrschaft übernehmen und die Menschheit tyrannisieren).
Verstehen ist eine Dimension unseres Daseins. Nur: warum wir auf einmal etwas verstehen, das wir zuvor nicht verstanden haben, ja von dem wir zuvor nicht einmal erkannt haben, dass es da überhaupt etwas zu verstehen gibt, das können wir nicht verstehen, und darüber haben wir keine Kontrolle. Also können wir es auch nicht innerweltlich reproduzieren.
Was wir natürlich erwiesenermaßen können, ist lernfähige Maschinen zu bauen, in Zukunft sicher auch um vieles lernfähigere als die heutigen Maschinen. Sie werden in ihrer Umwelt sehr viel Information aufnehmen und differenziert agieren können, und dabei werden sie in hohem Maße durch ihre menschlichen Begleiter und ihre Umwelt konditioniert werden – lernen, was in allen möglichen Situationen zu tun ist – und sich dementsprechend immer harmonischer darin bewegen können.
Was wir nicht können, ist, ihnen eine Rückbindung an ein außerweltliches Eigentliches Selbst einbauen, oder das Außerweltliche veranlassen, dass es unsere Maschinen in eine Daseinssituation wirft und ihnen das verstehende Handeln schenkt. Und so werden wir nicht erwarten können, dass sich unsere noch so gelehrigen Maschinen signifikant neue Welten erschließen. Zu einem nie gesehenen, neuartigen (Designer-) Stuhl, den sie noch nicht in ihren Schablonen, Objektdefinitionen oder Assoziationen haben, wird man ihnen schon extra eingeben müssen, dass auch dieses Objekt ein Stuhl sei und mit welchen Kräften man ihn von welcher Seite belasten könne. Und das ist ja noch ein äußerst einfaches Beispiel. Viel schwieriger wäre es, einer Maschine etwa beizubringen oder sie so zu auszustatten, dass sie von sich aus dahinter käme, was es bedeuten kann und in einer konkreten Situation bedeutet, wenn ein Ring von einer Person zu einer anderen bewegt wird.
Wir sehen ja übrigens auch bei Menschen, dass jemand selbst bei bester Förderung nie im Leben Tänzer wird, oder Cellist, oder ein geschickter Schreiner, oder Jurist oder Manager usf., weil seine Welterschließungsfähigkeit in dieser Richtung begrenzt bzw. auch nur nicht überdurchschnittlich ist, weil er "keine (besondere) Ader" dafür hat – und niemand weiß letztlich, woran es liegt.
Auch Tiere können für ihre Umwelt bestens konditioniert sein, aber ihre Grenzen sind für uns noch deutlicher. Ein Hund differenziert nun mal seine Äußerungen über ein beschränktes Maß hinaus nicht weiter. Dies macht einen viel wesentlicheren Unterschied zum Menschen aus, als dass er nicht sprechen kann. Es ist ihm nicht gegeben, sich eine Welt weitergehender Äußerungen zu erschließen, und wir wüssten auch nicht, wie wir ihm eine Erschließungshaltung geben könnten. Viele Menschen gehen so weit und sprechen den Tieren deshalb ein außerweltliches Selbst ab.
Wie sollten wir den Maschinen etwas wie ein Welterschließungsprofil einbauen, wenn wir es selbst nicht durchschauen. Intelligenz hat eine außerweltliche Wurzel und diese ist innerweltlich nicht definierbar und nicht herstellbar.
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Alle Beispiele dieses Kapitels und dieses Teils 7 zeigen Versuche, dem Außerweltlichen rational beizukommen, es zu begründen, es zu widerlegen, es zu qualifizieren. Das kann nicht funktionieren, denn die Begrifflichkeit unserer Welt reicht nun mal nicht über unsere Welt hinaus. Das Außerweltliche damit erfassen zu wollen, ist absurd.
In den Teilen 6 und 7 haben wir uns mit der Grenzziehung zwischen Ratio und Religion auseinandergesetzt. Anscheinend gibt es an dieser Grenze nur "Übergriffe".
15. Die Seele ist eine innerweltliche Struktur und nicht dasselbe, wie das Eigentliche Selbst. Die Erschließung der Seele ist Sache der Wissenschaft, erreicht aber nicht das Eigentliche Selbst.
16. In der mittels Kausalität und Zufall konstruierten Welt ist kein Raum für einen freien Willen des Menschen. Unser Eigentliches Selbst lenkt unser innerweltliches Subjekt durch seine Haltung zur Welt.
17. Im Grenzbereich zwischen Religion und Ratio wird immer wieder das Außerweltliche zur Begründung, Steuerung oder Zurückweisung innerweltlicher Sachverhalte ins Spiel gebracht. Umgekehrt werden ausdrücklich oder hintergründig innerweltliche Aussagestrukturen auf das Außerweltliche ausgedehnt, in dem Versuch es zu klären, zu beweisen oder zu widerlegen. Aussagen, die das Außerweltliche zum Gegenstand haben, verletzen aber das Zweite Gebot und sind nichtig.
18. Das Eigentliche Selbst ist innerweltlich nicht erkennbar und steht innerweltlich nicht zur Disposition. Insbesondere lassen sich über außerweltliche Wurzeln von Lebewesen – und auch von Leblosem – keine Aussagen machen.
Im folgenden letzten Teil befassen wir uns nun damit, wie man das Außerweltliche annähernd in den Blick bekommt und was man dabei erlebt. Dazu wenden wir unsere Redeweisen auf eine Auswahl einschlägiger religiöser und allgemein existenzieller Texte an, bekommen damit ein Gefühl von der Reichweite unserer Redeweisen und gewinnen die große Bedeutung dieser Texte wieder zurück.
Wir knüpfen dabei an unsere Rede von Kapitel 11 an, dass jede innerweltliche Dimension so erscheint, als sei sie an einem Ende mit der eigentlichen, reinen, gegenteilsfreien Daseins-Dimension verbunden.
Die christliche Religion assoziiert dieses Ende mit der Seligkeit. Jedenfalls geht es jetzt um das absolut Wichtigste und Erstrebenswerteste in unserem Dasein.
Wenn wir über die Zehn Gebote nicht in den Himmel kommen, bleibt die Frage: wie dann? Die Seligpreisungen Jesu klingen da wie eine irritierende Antwort. Sie lauten:
"Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr. Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen. Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn das Himmelreich ist ihr. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles wider euch, so sie daran lügen. Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel wohl belohnt werden. Denn also haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind."
Das alles klingt nicht gerade viel versprechend und beschreibt sicherlich nicht die Situation, die man sich unter ewiger Seligkeit vorstellt.
Es handelt sich aber um eine Rede von Situationen, in deren Nähe sich Seligkeit finden lässt. Anscheinend gibt es vordergründig zwei Kategorien von Zugängen dazu: einen "angenehmen", der durch ein "reines Herz", Friedfertigkeit, Sanftmut, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, auch Naivität (geistliche Armut) umschrieben ist, und einen "unangenehmen" über Leiden, Verleumdet- und Verfolgt-Werden. Was man über diese Zugänge erreicht, ist allerdings sehr viel Positives, umschrieben durch: das Himmelreich, Trost, den Besitz des Erdreichs, Gerechtigkeit, die Erfahrung von Barmherzigkeit, Gotteskindschaft.
Dies ist die Struktur der Seligpreisungen, und nun brauchen wir uns nur noch an Kapitel 3 zu erinnern, wo wir den Zugang zu der existenziellen, einschichtigen, alternativlosen "Wahrheit" unseres Daseins erörtert haben, den wir sozusagen im Guten finden, zu dem wir aber auch "auf die harte Tour" hingeführt werden können, jedenfalls nur, wenn es uns – so oder so – um unsere Existenz geht.
Die Seligpreisungen zeigen also, wie und wo wir die Wurzeln unserer Existenz in den Blick bekommen können, aber die eigentliche Botschaft der Seligpreisungen ist, dass dort an den Wurzeln unserer Existenz, bei Gott, die Seligkeit ist, dass es dort über alles schön, eben himmlisch ist, und dass an der Sicht auf unsere Existenz absolut nichts zu fürchten ist.
Es ist diese Struktur, wegen derer das Neue Testament die "frohe Botschaft" (Evangelium) heißt.
Man kann an den Seligpreisungen noch sehr viel mehr Interpretationsarbeit leisten, etwa feststellen, dass hier "geistliche Armut" als Voraussetzung genannt ist, d.h. dass man die Seligkeit auf dem Weg der Rationalität und des Intellekts nicht finden können wird. "Geistreiche" verbauen sie sich selbst. – Oder man kann fragen, warum als Belohnung für die Sanftmütigen nicht das Himmelreich, sondern das "Erdreich" genannt ist. Darauf werden wir zurückkommen.
Aber das alles würde an dieser Stelle von der überragend wichtigen Erkenntnis ablenken: rückgebunden an die Wurzeln unserer Existenz sind wir froh, selig, erlöst.
Neben der Auffassung, dass es begrifflich nicht zu fassendes Außerweltliches von höchster Relevanz gibt, ist die Behauptung der Seligpreisungen, dass es im Blick auf das Außerweltliche Seligkeit gibt, eine nicht mindere Zumutung an unsere Vernunft. Es ist einfach zu schön, um wahr zu sein. Unsere Erfahrungen scheinen eher dagegen zu sprechen.
Im Folgenden werden wir zur Untermauerung der Seligpreisungen zweierlei tun:
(1) uns die Annäherung an dieselbe Frage in anderen Quellen ansehen und
(2) daraus konkreter abzuleiten versuchen, wie wir uns den Sachverhalt selbst direkt vor Augen führen können.
Glück ist ein großes Thema von Märchen, wenn nicht das Hauptthema. Die direkteste Thematisierung finden wir bei "Hans im Glück" von den Brüdern Grimm.
Hans bekommt am Ende seiner Dienstzeit von seinem Meister als Lohn einen kopfgroßen Klumpen Gold. Den tauscht er unterwegs gegen ein Pferd, dieses gegen ein Schwein, dieses gegen eine Gans, diese gegen einen Wetzstein und einen Feldstein, und diese fallen ihm dann aus Versehen unwiederbringlich in einen Brunnen. Und dann heißt es:
Hans, als er sie [die Steine] mit seinen Augen in die Tiefe hatte versinken sehen, sprang vor Freuden auf, kniete dann nieder und dankte Gott mit Tränen in den Augen, dass er ihm auch diese Gnade noch erwiesen und ihm auf eine so gute Art und ohne dass er sich einen Vorwurf zu machen brauchte, von den schweren Steinen befreit hätte: das einzige wäre ihm nur noch hinderlich gewesen. "So glücklich wie ich", rief er aus, "gibt es keinen Menschen unter der Sonne." Mit leichtem Herzen und frei von aller Last sprang er nun fort, bis er daheim bei seiner Mutter war.
Je nachdem, wie es einem geht, gibt es hierauf hauptsächlich zwei Reaktionen: Mit auch nur ein klein wenig Geschäftssinn wird man sagen, dass der Hans sein anfängliches Glück – eine überaus wertvolle Menge Gold – schnell und dumm vertut. So ist es halt mit dem Glück, der Mensch kann es nicht halten. Andererseits denken wir an die ständigen Lasten unseres Leben und träumen gerne davon, sie los zu sein, "frei von aller Last" zu sein und damit glücklich. Dies erreicht Hans, seiner Meinung nach durch Gottes Fügung, am Ende des Märchens.
In den Begriffen der Rede von Teil I heißt das: In der innerweltlichen Dimension des Habens und Nicht-Habens halten wir Besitz für wertvoll und streben danach. Das außerweltliche Glück, das Glück unseres Eigentlichen Selbst, hat mit innerweltlichen Besitztümern und Lasten nichts zu tun und findet sich – symbolisiert durch die Mutter – dort, wo unser Dasein herkommt.
Ein anderes Märchen, das sich sehr pointiert mit dem innerweltlichen Streben nach Glück befasst, ist das "Vom Fischer und seiner Frau". Sie wohnen anfangs in einer kleinen Fischerhütte, nahe am Meer, und der Mann angelt dort täglich. Eines Tages fängt er einen Butt, der sprechen kann und sich als verwunschener Prinz vorstellt, und der Fischer lässt ihn deshalb wieder frei. Die Frau wirft ihm vor, dass er sich von dem Butt nichts gewünscht hat – es wäre bestimmt erfüllt worden. Und sie schickt den Mann noch einmal ans Meer, er solle sich von dem Butt ein kleines Häuschen wünschen. Das tut der Mann und der Butt erfüllt es. Nach einiger Zeit wünscht die Frau mehr und schickt den Fischer erneut zu dem Butt, diesmal mit dem Wunsch nach einem Schloss. Auch diesen Wunsch erfüllt der Butt. Das geht nun über einige Stufen so weiter, die Frau möchte der Reihe nach König, Kaiser und Papst werden, und der Butt erfüllt die Wünsche. Schließlich will die Frau auch noch darüber hinaus:
"Na, was will sie denn?" sagte der Butt.
"Ach", sagte der Fischer, "sie will werden wie der liebe
Gott." "Geh nur hin, sie sitzt schon wieder in der
Fischerhütte."
Da sitzen sie noch bis auf den heutigen Tag.
Wen immer man fragt, das Ende wird als Strafe für die Habgier und Machtgier der Frau verstanden: die Frau hat überzogen. Strafe dafür, dass man nach etwas strebt, sich etwas wünscht? Es ist nichts von Strafe gesagt. Die Frau hat den Butt nicht zur Erfüllung gezwungen. Der Butt hat viermal ohne jede Wertung die Erfüllung der Wünsche vorhergesagt. Warum sollte das beim fünften Mal anders zu verstehen sein! Weil Schloss, König, Kaiser, Papst innerweltliche Positionen sind, und der Butt nur für innerweltliche Wünsche zuständig ist? Weil der Butt im Zusammenhang mit dem Sein wie Gott überfordert ist?
Der Butt zeigt aber kein Zeichen von Überforderung, er sagt stets gleich neutral "geh nur hin", und dann erfolgt eine rein faktische Aussage darüber, was der Mann bei der Rückkehr nach Hause vorfinden wird.
Den Wunsch der Frau, zu sein "wie der liebe Gott", kann man als Anmaßung nehmen und die Rede des Butt: "sie sitzt schon wieder in der Fischerhütte" als Sarkasmus. Ebenso gut könnte die Frau sich gewandelt haben oder der Butt Mitleid bekommen. Der Text sagt aber nichts dergleichen, und das heißt: es ist irrelevant.
Der Butt antwortet geradezu mechanisch auf alle Wünsche. Mit der Fischerhütte beantwortet er den Wunsch der Frau nach ihrem größten Glück, dem "Sein wie Gott". Das innerweltliche Glück lässt sich noch so hoch steigern, es befriedigt nur zeitweise und letztlich gar nicht. Dem "Glück" Gottes ist man näher in bescheidenen Verhältnissen und vor allem da, wo man angefangen hat.
Vergleichen wir einmal die großen Strukturen der beiden analysierten Märchen: Hans und die Frau des Fischers vollbringen einen innerweltlichen Aufstieg, geben dann alles wieder auf bzw. verlieren es, und erreichen erst dann und da, wo sie angefangen haben, ihr wahres Glück bzw. das "Sein wie der liebe Gott".
In diesem "Gleichnis" von Jesus geht ein Sohn dadurch "verloren", dass er sich sein Erbe auszahlen lässt und es in der Ferne in Vergnügungen restlos verschleudert. Ganz unten angekommen denkt er, dass es ihm als Tagelöhner seines Vaters besser gehen würde. Er kehrt nach Hause zurück, und bekennt: "Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen". Aber der Vater empfängt ihn mit einem großen Fest und setzt ihn wieder in seinen alten Stand. Der andere Sohn beklagt sich, dass der Vater ihm nie ein Fest gegeben habe, obwohl er sein Gut nicht vergeudet und ihm die ganze Zeit treu gedient hat. Antwort des Vaters: "Mein Sohn, du bist alle Zeit bei mir, und alles, was mein ist, ist dein. Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist wieder gefunden."
Vielen fällt als Erstes die Ungerechtigkeit auf: Der Schlechte wird belohnt, der Gottestreue nicht. Es ist dieselbe Ungerechtigkeit wie im Gleichnis von den Tagelöhnern im Weinberg, die zu verschiedenen Tageszeiten angestellt werden, am Abend aber alle denselben Lohn bekommen. Die Aussage ist: einen höheren Lohn als "bei Gott zu sein" gibt es nicht. Dieser Lohn ist absolut, auch wenn man ihn spät erlangt. Er macht alles gut, was vorher war. Ende gut, alles gut.
Klar ist: Der Vater im Gleichnis ist Gott, und der verlorene oder der beim Vater gebliebene Sohn kann im Prinzip jeder von uns sein. Es geht um unsere Lebensläufe, besser gesagt: um unsere Daseinshaltungen im Laufe des Lebens. Wir können uns von Gott getrennt halten, und danach kann es uns gut oder schlecht gehen, im schlimmsten Fall können wir dabei wie der verlorene Sohn völlig scheitern, aber es gibt den Rückweg, und wenn wir ihn nehmen, dann sind wir so gut gestellt, wie wenn wir uns nie losgesagt hätten, d.h. alles, was Gottes ist, ist unser.
Dies ist erst einmal die Struktur des Gleichnisses so, wie wir sie auf uns beziehen können. Auf dieser Basis lässt sich das Gleichnis mit unseren im ersten Teil entwickelten Daseinsichten reproduzieren:
Wir können uns stets in der Nähe unserer eigentlichen Daseinssituation halten, in der uns das Außerweltliche einerseits die Welt entgegenbringt und andererseits vom Eigentlichen Selbst her darin zuverlässig verstehen und agieren lässt, so dass wir sie uns erschließen und erweitern.
Wir können aber diese Position auch verlassen, uns ganz in unser innerweltliches Ich versetzen, in der Welt aufgehen, und uns um ein möglichst schönes Leben bemühen. Ja wir können ihr ganz verfallen. In der Welt ist Gott definitiv nicht. Natürlich sind wir dann, wie in Teil 2 dargestellt, in der Situation, dass wir keine Kontrolle haben. Wir versuchen der Ungewissheit dadurch zu entkommen, dass wir Mittelwege gehen, die die meisten Anderen leicht bewältigen; oder wir bemühen uns doch, Kontrolle zu erlangen und zu mehren, um das schöne Leben zu erzwingen und zu erhalten. So oder so können wir durchkommen oder abstürzen. Im letzteren Fall kann so viel von unserer Welt einbrechen, dass wir uns auf unsere eigentliche Daseinssituation rückbesinnen und sie wieder einnehmen.
Dazu kommt nun im Gleichnis die Beschreibung, wie das Sein bei Gott ist: Gott ist wie ein Vater, das Ankommen ist ein Fest, "bei ihm Sein" ist als Qualität nicht steigerbar, alles, was Gottes ist, ist in dieser Situation unser. Das ist eine – teilweise – Definition von Seligkeit.
Vergleichen wir dies mit den vorigen zwei Geschichten:
Hans ist am Ende glücklich. Dieses Glück besteht einerseits darin, dass er frei ist – von der Last des Besitzes und von der Sorge darum –, andererseits bringt auch seine Geschichte eine – ohne Zweifel glückliche – Rückkehr, nämlich zu seiner Mutter. Dieses Bild ist nicht schlechter als die Rückkehr des verlorenen Sohnes zu seinem Vater, es ist nur nicht so weit ausgemalt. Übrigens wird Jesus nach der Kreuzabnahme auch in den Schoß seiner Mutter gelegt, was sicherlich symbolisieren soll, dass er zu seinen Wurzeln zurückgekehrt ist. Der Fischer und seine Frau kehren am Ende wieder zu ihren einfachen Verhältnissen zurück, aus denen sie gekommen sind. Wie es ihnen da geht, ist ebenfalls nicht weiter ausgeführt. Wenn man den Text nimmt, so wie er da steht, sind sie in diesem Stadium "wie der liebe Gott" – wohlgemerkt immer noch in der Welt.
Auch Hiob geht es am Anfang besser als allen anderen, dann wird ihm alles genommen, und nach einer Begegnung mit Gott geht es ihm am Ende sogar noch besser: sein Wohlstand ist nun verdoppelt. Dieses Bild ist massiv weltlich. Es zeigt auf dasselbe wie das Versprechen der Seligpreisung: "denn sie werden das Erdreich besitzen": Es gibt nicht nur ewige Seligkeit, etwa eine außerweltlich verwurzelte Dimension des Daseins, und als Gegensatz dazu innerweltliche Unseligkeit, sondern es gibt innerweltliche Seligkeit, und die ist höchst wichtig. Wir haben in der Welt die Chance, weitgehend selig zu sein.
Auf uns bezogen bedeuten diese Analogien: Wir sind am Anfang und am Ende bei Gott, und wir kommen zu Gott, wenn wir danach streben, und auch, wenn wir in der Welt scheitern und uns wieder auf Gott besinnen. Wir können bei Gott sein und bleiben, und dann ist alles unser, was sein ist: die ganze Welt.
Diese Grundsituationen werden wir uns im nächsten Kapitel näher ansehen.
Seligkeit gibt es "bei" Gott, d.h. wenn es uns um unsere Existenz geht. Existenziell berühren uns vor allem Geburt, Tod, Scheitern und Wieder-Hochkommen, Liebe.
Auf diese Themen sind die größten christlichen Feste aufgebaut: Weihnachten, Ostern, Pfingsten. Wir folgen der Einfachheit halber dieser Systematik, und befassen uns zur Vorbereitung damit, wie das Sein bei Gott ist: Wenn alles, was sein ist, unser ist, dann ist die ganze Welt unser.
Den Wert dieser "ganzen Welt" kann man leicht unterschätzen. Leicht kommt man dazu, die Welt generell als leidvoll, die Natur als brutal, die Menschen als schlecht und böse zu sehen. Es muss aber zu denken geben, dass der existenziell höchst kompetente Autor der Schöpfungsgeschichte dauernd – außer bei der Erschaffung des Menschen – sagt: "Und Gott sah, dass es gut war". Der ebenso kompetente Evangelist, der den Vater zum Bruder des verlorenen Sohns sagen lässt: "alles, was mein ist, ist dein", meint damit ja sicher wertvolles Eigentum. Suchen wir also nach einer möglichst vernünftigen Interpretation.
Setzen wir noch einmal neu bei einem Text aus Kapitel 6 an: Leben zu mehren liegt in der Natur des Menschen, Welt erschließen ist eine inhärente Qualität, eine Dimension des Daseins. Man erschließt sich umso mehr Welt, je bewusster man aufnimmt, was einem begegnet. Man muss nur einmal seine Aufmerksamkeit darauf lenken, wie viel sinnfällige, funktionierende, reiche und schöne Struktur hinter dem kleinsten Phänomen steht, damit es einem so begegnet, wie es einem begegnet, und dass Millionen solcher kleiner und großer Phänomene den Daseinsfilm bilden, der nur für einen persönlich ist. Lenken wir also unsere Aufmerksamkeit darauf!
Nehmen wir z.B. so etwas Einfaches wie einen Teller. In der Welt gibt es eine Porzellanindustrie, die Teller produziert, Fahrzeuge, mit denen man die Rohstoffe für das Porzellan und die fertigen Porzellanwaren überall hin transportieren kann, ebenso Lebensmittel, Kulturgüter, die Menschen selbst. Es gibt zugehörige Verkehrsinfrastrukturen. Es gibt Geschäfte, und es gibt Geld, mit dem man in Geschäften u.a. Teller kaufen kann, aber eben auch unübersehbar viele Waren und Dienste; es gibt Geschäfte und Firmen, in denen man arbeiten und Geld erwerben kann; es gibt eine Ausbildungsinfrastruktur, in der man die erforderlichen Fähigkeiten zum Gelderwerb erlernen kann; und dieses "Es gibt" geht noch lange weiter. Es gab Menschen, die die Ideen dafür entwickelt haben, Menschen, die in der Lage waren, das alles aufzubauen, zu erhalten und weiter zu entwickeln, und es gibt Menschen, die das alles einzeln und kollektiv in heutiger Form betreiben und können. In Jahrzehnten ließe sich nicht alles aufschreiben, geschweige denn studieren, was in diesem Sinne hinter einem Teller steckt. Und das geht mit jedem Gegenstand genauso: einem Kugelschreiber, einer Mütze, einer Partitur, einem Schwarzen Loch, einer Ehe, einem Wahlergebnis, ...
Ich habe nichts dazu getan, dass es das alles in der Welt gibt, und die meisten Menschen werden von sich dasselbe sagen. Wir haben es vorgefunden und finden es weiterhin vor, ohne irgendeinen Preis dafür zu bezahlen. Es ist geschenkt, und dabei über alle Maßen reich. –
Es ist auch über alle Maßen gut. Nehmen wir ein anderes Beispiel, etwa einen Grashalm. Das Blatt hat eine elegante Form, einen Längsknick in der Mitte, ist an der Oberseite glänzend, an der Unterseite matt und rau. Liebe Leser: stellen Sie sich vor, Sie müssten das Blatt genau nachmachen, erst einmal nur die Gestalt, aus irgendeinem Material, sozusagen als Skulptur, und zwar farbgenau. Dann doch in natürlicher Größe, mit identischer Textur. Dann aus identischem Material, nachbauen wohlgemerkt – nicht aus Samen ziehen. Dann zellgenau. Dann eine komplette Graspflanze so, dass sie einige Zeit selbsterhaltend bestehen kann. Dann so, dass sie sich selbst reproduzieren kann. Dann auf dieselbe Weise eine Linde ..., eine Katze, mit Katzenpsyche, ... einen Menschen mit Menschenpsyche. Dann das Ganze nicht aus vorhandenem Material sondern aus dem Nichts. – Die ganze Welt der hier als Beispiel gewählten Biologie ist hinsichtlich Design, Technik, Ästhetik, Komplexität, Nutzen ein Angebot von absoluter Qualität. Wir haben nichts dazu getan, sie steht uns als geradezu unerschöpfliche Lebensumgebung zur Verfügung, und sie kostet keinen Eintritt, keine Pacht und keine Miete.
Wenn wir von unserem persönlichen Eigentum und unseren persönlichen Fähigkeiten absehen, die uns ja sehr viel wert sind, und uns stattdessen damit befassen, was uns als Welt insgesamt eigentlich geboten ist, dann sehen wir: Die Welt ist reich, gut und kostenlos.
Die Voraussetzung für die Auferstehung ist der Tod. Der Tod ist das Ende unseres Lebens in der Welt, einerseits als zeitliches Ende unserer Möglichkeit, überhaupt zu leben, und andererseits als immer gegenwärtige absolute Grenze unserer Möglichkeiten.
Wenn uns ein Stück der Welt verloren geht, die wir uns aufgebaut haben, dann ist das auch ein – partieller – Tod: wir können diesen Teil unserer Welt nicht mehr leben. Hans im Glück kann nichts mehr erwerben, der Fischer uns seine Frau können nicht mehr im Palast leben, fein essen, sich bedienen lassen, Hiob kann sich nicht mehr in der Gesellschaft von Menschen bewegen, gewisse körperliche Bewegungen nicht mehr machen, der verlorene Sohn sich nicht mehr selbst ernähren, usw.
Unser Leben muss dem Tod abgerungen werden. Wenn wir Leben mehren, tun wir das gegen den Tod.
Das funktioniert, wie wir sowieso wissen, und die Auferstehung Jesu ist ein extrem starkes Bild dafür: der Tod kann uns vieles im Leben nehmen, aber dann können wir uns trotzdem noch und wieder neue Lebensmöglichkeiten erarbeiten, neue Welten erschließen, Leben mehren. Der Tod kann unsere Welt "ganz abschalten", wie jemand unser Computerspiel oder unsere virtuelle Realität abschalten kann, aber nicht unser Selbst, das wir außerhalb der virtuellen oder realen Welt sind.
Wie fühlt sich jemand, dem ein existenzieller Verlust droht? Er oder sie hat Angst davor. Wie fühlt sich jemand, nachdem er erkannt hat, dass dieser Verlust nicht mehr zu vermeiden ist? Die Angst ist weg. Wie fühlt sich jemand, der den Verlust gerade erlitten hat? Eine Zeit lang, möglicherweise sehr lange verletzt, entkräftet, hoffnungslos. Aber dann werden die Lebenskräfte wiederkommen, und er oder sie wird auf der Basis der verbliebenen Möglichkeiten weiterleben und versuchen, sein Leben neu aufzubauen und zu erweitern. Und das ist gewiss eine Art Auferstehung.
Es gibt keine Garantie dafür, dass man in diesem Verlauf eine Erleuchtung hat. Aber wenn man ihm offen ins Auge sieht, ihn bewusst erlebt und nicht auf den Verlust fixiert bleibt, kann es einem passieren, dass die Zeit der Niedergeschlagenheit damit endet, dass man eine fundamentale Bilanz zieht: was einem nun an Möglichkeiten bleibt und was man damit noch anstreben kann. Damit blickt man in die Nähe der Wurzeln der eigenen Existenz. Die Sonne scheint noch, der Wind kühlt noch, die Bäume stehen noch, man hat noch Muskeln und Verstand. Man staunt, wie viel man noch und überhaupt kann, über das man sich zuvor nie Gedanken gemacht hat. Und man denkt: eigentlich schön. Das alles könnte auch noch verloren sein, und da es nicht verloren ist, sind es Geschenke. Und man ist dankbar und vielleicht sogar begeistert. Das wäre eine Spur von Seligkeit. Die bleibt nicht, aber wenn man sich später erinnert, kann man sie immer nachfühlen.
Das alles ist leicht gesagt, wenn man die Probleme nicht hat. Immerhin ist es das Beste, was einem Leute erzählen können, die nach Schicksalsschlägen wieder aufgestanden sind, und es ist eine Sicht, die einem Lebensberater nahe legen. Wir sind hier in einer ganz schwierigen Kommunikation, in der Weltklugheit nur teilweise hilft und Skepsis gar nicht. Sehen wir illusionslos dem bittersten Ernst ins Auge.
Ein völlig gebrochener Mensch hat ggf. kein Vertrauen mehr darauf, dass er noch handeln könnte und dass das irgendeinen Sinn haben könnte. Er sieht überhaupt keine Basis mehr. Aber die Basis, nämlich die Welt ist immer noch da, und sie ist immer noch zuverlässig: Man kann einen Schritt machen, und der Boden trägt nach wie vor. Man kann dem Stuhl vertrauen, auf dem man sitzt, oder dem Bett, in dem man liegt, dem Boden, auf dem der Stuhl und das Bett stehen, dem Haus, in dem der Boden sich befindet, dem Grund auf dem das Haus steht usw. Es ist ja nicht so, dass sich das alles im nächsten Moment in Nichts auflösen würde, und dass man auf einmal ohne Bezug zu irgendwelchen Gegenständen frei im Raum hinge. Muss man befürchten, dass morgen oder auch schon in der nächsten Sekunde alles Licht im Universum ausgehen könnte? Dass die Naturgesetze unversehens nicht mehr gelten und alles verdampft? Nichts von alledem haben wir unter Kontrolle, alles könnte im nächsten Moment verloren sein. Trotzdem vertrauen wir so sehr darauf, dass wir es nie hinterfragen. Es ist uns geschenkt. Diese Basis ist da, so lange man lebt, und auf ihr kann man immer aufbauen.
Was tröstet wirklich? Das was ein Kind tröstet, das vom Fahrrad gefallen ist, sich verletzt hat und außer sich ist: Das tut jetzt sehr weh, aber der Schmerz vergeht – du merkst es schon –, und es ist alles noch dran – bald fährst du wie zuvor, sieh hier ist etwas anderes Schönes. Was empfindet man, wenn man getröstet wird, in dem Moment, in dem der Trost greift: dass das Leben immer noch schön ist. Und deswegen stehen wir wieder auf.
Abstrakt zusammengefasst heißt das: Der Tod kann unser Eigentliches Selbst nicht abschalten. Was uns ansonsten heilt, ist die Reichhaltigkeit der Welt. Der partielle Tod eines Teils unserer Welt lässt uns immer genügend attraktive Welt übrig, die es lohnt weiter zu bauen. Glück steigert sich entlang der Sichtlinien auf das absolute Glück: die Seligkeit. Zu jedem noch so großen Unglück gibt es daher ein größeres Glück, das dieses Unglück aufhebt.
Wir müssen aber nicht abstürzen, um zu lernen, dass das Leben schön ist und Seligkeit in sich trägt. Jede Geburt kann uns daran erinnern, und insbesondere Weihnachten soll uns daran erinnern. Das Wesentliche an Weihnachten ist nicht, dass hier ein ganz besonderer, weil einzig als Gottes Sohn ausgewiesener Mensch geboren wurde, sondern dass es auf unser aller Geburt als Wesen mit göttlicher Wurzel zeigt. Und damit auch jedem ganz klar ist, dass Weihnachten einen existenziellen Bezug hat, zeigt die Geschichte nicht nur einfach eine Geburt, sondern der Maria erscheint vorab ein Engel, d.h. ihr Eigentliches Selbst meldet sich, die Geburt findet in betont ärmlichen Verhältnissen statt, und zur weiteren Betonung der existenziellen Relevanz muss gleichzeitig auch noch das Babymassaker des Königs Herodes sein.
Wenn irgendwo offensichtlich und eindeutig Leben gemehrt wird, dann in der Geburt, wo ein neues Leben entsteht und wächst. Das ist zunächst eine innerweltliche Angelegenheit und als solche uns ohne weiteres erschlossen. Wir wissen aber darüber hinaus, dass bei der menschlichen Geburt nicht nur das Wachstum eines tüchtig organisierten und sich weiter organisierenden Zellhaufens in ein neues Stadium tritt, sondern auch die Basis zu einem neuen individuellen Dasein gelegt wird. Irgendwie und irgendwann wird dieses Wesen erkennen, dass es da ist, dass es ein Selbst hat und in die Welt gesetzt ist, dass es alles, was ihm in der Welt begegnet, ausprobieren kann, vieles letztlich bewältigen und sich daran freuen kann, dass da Andere sind, die einen ermutigen, einen trösten, einem weiterhelfen, und überhaupt: dass man das alles nur anzunehmen braucht, ohne zu wissen oder erklären zu können, warum all das auf einen zukommt und wiederholbar ist. Das Wesen wird sich alles mit unersättlicher Begeisterung erschließen und damit und mit seinen Fortschritten im Leben jeden begeistern. Es wird fragen warum, warum, warum ..., und es wird gesagt bekommen, wie das alles kausal zusammenhängt und vielleicht auch, dass es eben von Gott gemacht ist.
Soweit die sachlichen Aspekte. Und wie empfinden wir das alles? Wer freut sich nicht über die Geburt eines Kindes! Wer sehnt sich nicht danach zurück, sich so zu freuen, wie er oder sie sich als Kind freuen konnte, besonders zu Weihnachten! Wer weiß nicht, dass es zu allererst Kinder sind, an denen man Seligkeit besonders gut beobachten kann! Andererseits: Wer es nicht erlebt hat, weiß nicht und kann sich kaum vorstellen, wie Kinder das Leben ihrer Eltern "mehren", eher schon, wie sie ihre Großeltern geradezu verjüngen können, und wie selig Eltern und Großeltern dann sein können.
Das alles ist ein Abglanz von Seligkeit. Er kommt letztlich allein daher, dass sich dem Kind eine neue, reiche Welt eröffnet.
Später im Leben sind die Gelegenheiten seltener, in denen man sich freut wie ein Kind, die Augenblicke seltener, zu denen man sagen möchte: "Verweile doch, du bist so schön!", aber sie sind keineswegs unmöglich, und vor allem kann man sie sich immer noch vorstellen. Der Zugang ist oft verstellt, weil man bestimmte Umstände als Bedingungen zu kennen glaubt, in denen man selig wäre, und sie mehr oder weniger angestrengt herbei zu führen versucht – wie man eben sein Glück zu machen versucht. Mit einer Haltung: das zu erkennen, was einem geschenkt ist, und es sich als Geschenk zu nehmen und auszuleben, fährt man besser: man ist praktisch schon da – bei der Seligkeit. Ihre außerweltliche Wurzel ist, wie schon in Kapitel 12 gesehen, reines Heil ohne Alternative und Gegenteil. Die Kommunikation dieses Heils ist durchaus besonders.
Es gibt einen berühmten Text über die Kommunikation des Heiligen Geistes: die Geschichte vom Pfingstwunder: Der heilige Geist kommt mit einem Brausen vom Himmel über die Apostel, sie predigen, und alle, darunter viele Fremde, hören sie in ihrer jeweiligen Muttersprache reden. Und Petrus erklärt ihnen das mit einem Zitat des Propheten Joel, nach dem Gott "in den letzten Tagen" von seinem Geist auf alles Fleisch ausgießen will mit der Folge: "eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen ...".
"Weissagen" ist also ein Ausdruck für die Rede, die von jedem verstanden wird, trotz aller Sprachunterschiede, so als wäre sie simultan übersetzt. Das erinnert umgekehrt an die Geschichte vom Turmbau zu Babel, nach der niemand mehr den anderen verstand. Die babylonische Sprachverwirrung der Menschen soll also durch den Heiligen Geist aufgehoben sein.
Wenn wir auf unsere Erkenntnisse aus den Teilen 1-3 zurückgreifen, können wir das alles leicht einordnen:
Holen wir zuerst die Interpretation der Turmbaugeschichte nach. In Kapitel 13 haben wir sie mit dem Konflikt in der Warteschlange schon leicht berührt. Wir konstruieren und bauen, wie in Kapitel 7 ff gezeigt, unsere Welt als Begriffsgebäude, und dabei wird sie natürlich immer größer. Sie ist wie ein Turm des Verstehens, in dem wir eine Etage über die andere bauen. Unseren persönlichen Teil des babylonischen Turms bauen wir auf die von früheren Generationen gebauten Etagen. Wir bewegen uns hauptsächlich in den "aktuellen", oberen Etagen, und mit allen Erkenntnissen und Handlungsmöglichkeiten, die wir uns neu erschließen oder von Vorfahren und Zeitgenossen übernehmen, bauen wir sie aus und auf ihnen weiter. Jeder tut das auf seine Weise, und es ist klar, dass dabei jedem anderes begegnet, jeder anderes anders begreift, dass wir uns "auseinanderleben". Jeder baut einen anderen Teilturm weiter, nämlich ein anderes Begriffsgebäude, so dass wir einander in vielem nicht verstehen, und unsere Sprachen gegenseitig "verwirrt" sind.
In den oberen Etagen unseres Welt-Begriffsturms leben wir hoch über den Fundamenten, in der Höhe weit von der Wurzel unserer Existenz entfernt, und verstehen einander nicht. Wenn wir den Blick auf das Fundament verloren haben, verstehen wir auch die Statik unseres Turms nicht. Unten, an der Basis verstehen wir alle unsere Daseins-Situation, in der wir da sind und Gott da ist und wir Gottes "Knechte und Mägde" sind und wo in seinem außerweltlichen, unartikulierten "Brausen" die artikulierte Welt momentan weg ist. Und da wir dort alle in dieser gleichen – heilen – Daseins-Situation sind, nur noch mit der Existenz befasst, verstehen wir einander ohne Weiteres, die Sprachverwirrung ist weg. Es kommuniziert der Heilige Geist.
Pragmatisch ausgedrückt: Der heilige Geist fühlt sich an wie das beste Gespräch von Mensch zu Mensch, das wir je hatten, wie das verliebteste Gespräch oder das erfolgreichste Versöhnungsgespräch, oder wie wenn ein anderer Mensch uns von einer großen inneren Ausweglosigkeit erlöst oder wir ihn, oder wie das beste gemeinsame, verstehende Schweigen mit einem anderen Menschen.
Je besser unser Blick auf das gemeinsame Fundament, unsere Rückbindung an die Wurzel der Existenz der Anderen ist, umso mehr haben wir Chancen, dieses Gefühl zu erleben: existenzielle Liebe. Sie ist ein Anflug des Heiligen Geistes und eine Annäherung an das, was übrig bleibt, wenn die Welt endgültig weg ist – die absolute Seligkeit.
Im Teil 8 haben wir uns damit befasst, wie man das Außerweltliche annähernd in den Blick bekommt und was man dabei erlebt. Die Ergebnisse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
19. Die Welt ist reich, gut und kostenlos.
20. Der Tod kann unser Eigentliches Selbst nicht abschalten.
21. Seligkeit ist eine Daseinsdimension, mit der "ewigen" Seligkeit als außerweltliche Wurzel und der innerweltlichen Ausdehnung zwischen Seligkeit und Unseligkeit.
22. Seligkeit finden wir, wenn es uns ernsthaft um unsere Existenz geht, sei es "auf die harte Tour", z.B. im Wiederaufrichten nach Schicksalsschlägen, sei es "auf die angenehme Tour", z.B. bei Geburten und in der existenziellen Kommunikation mit Anderen.
23. Innerweltliche Seligkeit ist eine optimale Daseinshaltung, in die hinein uns der Blick auf das Außerweltliche ausrichtet. Seligkeit ist nachhaltig, weil sie nicht vom Glück oder Unglück in der Welt abhängt, sondern eine Haltung gegenüber der Welt als ganzer ist und sich an ihrem Reichtum begeistert.
Trotz der Befremdlichkeit vieler religiöser Texte und Strukturen sind wir in diesem Buch davon ausgegangen, dass dahinter etwas existenziell Relevantes und dabei vernünftig Nachvollziehbares zu finden sein würde, und wir waren darauf aus, hierfür eigene existenzielle Kompetenz zu erwerben.
Da praktisch alle religiöse Reden nach weltlichen Maßstäben falsch oder sogar unsinnig sind, liegt es nahe, das damit im Kern Angesprochene außerhalb der Welt zu suchen – Gott ist nicht von dieser Welt. Da die Welt aber genau alles ist, was wir prinzipiell begreifen können, entzieht sich das Außerweltliche unseren Begriffen und begrifflichen Aussagen und ist damit für uns strukturlos.
Es ist aber nicht so, dass man deshalb über das Außerweltliche schweigen müsste. Die Menschheit redet seit Jahrtausenden darüber und zwar keineswegs so, dass niemand es verstünde. Man kann annähernd zeigend über Außerweltliches reden und damit so etwas wie innerweltliche Sichtlinien auf das Außerweltliche kommunizieren.
Die Analogie zur virtuellen Realität und die Rede von den Dimensionen des Daseins haben uns einen sprachlichen Kontext geliefert, in dem wir dann zunächst den Ursprung des Daseins und den konstruktiven Charakter unserer Welterschließung behandelt haben. Wir haben verschiedene Daseinsdimensionen in den Blick genommen und gesehen, wie unproblematisch die Rede von der Dreieinigkeit ist, wie naheliegend das Liebesgebot Jesu, und wieso wir wissen, was Gut und Böse ist.
Damit haben wir auch einen Eindruck davon bekommen, dass und wie Bibeltexte sich existenziell kompetent äußern, und wir haben uns deshalb zentrale Botschaften der Bibel wie die Zehn Gebote, das Buch Hiob und die Rolle Jesu vorgenommen und in unserem Redekontext plausibel erklären können.
So haben wir als Ergebnis ein Gewebe von kohärenten existenziellen Redeweisen bekommen, die unsere Vernunft weitgehend befriedigen können und die keineswegs mehr fixiert sondern hie und da sogar weise anmuten.
Um daraus einen praktischen Gewinn zu ziehen, haben wir uns an die Konsequenzen gemacht und gesehen, dass sie einerseits für uns selbst sehr einfach sind, indem wir unsere Haltung vom Blick auf das Außerweltliche ausrichten lassen. Andererseits haben wir uns ein Stück weit auf das riesige Repertoire an nichtiger religiöser Rede einlassen müssen und die Mühseligkeit dieses Geschäfts gespürt.
Weniger mühevoll haben wir am Ende klären können, wie man Seligkeit in den Blick bekommt und was man dabei sieht.
Was müssen wir daraufhin nun tun?
Fast nichts, nur immer wieder versuchen, in die Nähe von Sichtlinien auf das Außerweltliche zu kommen.
Unser Dasein ist so, wie mit der Analogie der virtuellen Realität – mit vielen Anderen als Mit-Teilnehmern – beschrieben, und das lässt sich nicht ändern. Auch wenn wir unsere Daseinsstruktur mit ihrer außerweltlichen Wurzel unser Leben lang nicht in den Blick bekommen, ändert das am Ende nichts: unsere Welt ist weg, und das Außerweltliche mit der Dimension unseres Eigentlichen Selbst ist, wie es ist.
Wenn das Außerweltliche für uns nicht ist, und wenn es uns auch nicht interessiert, dann müssen wir ohnehin nichts tun. Es kann uns dann aber trotzdem passieren, dass wir sehr plötzlich auf die Wurzeln unseres Daseins zurückgeworfen werden, und dann haben wir das Außerweltliche entgegen unserer Erwartung auf einmal doch im Blick.
Wenn wir das Außerweltliche in den Blick bekommen, dann richten wir uns automatisch aus. Das bewirkt zwar eine Änderung unseres Lebens, aber wir empfinden sie als glücklich und zum Besseren, denn wir sind dann mit uns und der Welt im Reinen, und können auch Schlimmes locker und erlöst leben.
Um dieser Ausrichtung der Haltung willen lohnt es sich, das Außerweltliche zu suchen.
Sie ist nicht selbststabilisierend, sondern wir müssen sie pflegen, indem wir den Blick regelmäßig immer wieder auf das Außerweltliche zu richten versuchen. Unser Sein in der Welt lenkt uns ab und lässt uns den Blick auf das Außerweltliche verlieren, und deshalb ist es unsere Sache, ihn wieder zu suchen. Dies können wir aus eigener Disziplin tun oder mit Hilfe jeglicher Art von Gottesdiensten, wobei wir gesehen haben, dass manche, selbst vordergründig irritierende, religiöse Formen, einen Kern haben, der auf das Außerweltliche zeigt.
Und die Mitmenschen? Das Gute? Das Böse? Das Schicksal?
Auch über die Mitmenschen können wir das Außerweltliche in den Blick bekommen. Wir alle spielen im selben großen Daseinsspiel mit, in einer von uns allen mitgebauten Welt. Andere vor uns haben Entwürfe erfolgreich durchgelebt oder sind daran gescheitert. Die Anderen neben uns tun dasselbe. Dadurch wurde und wird ständig Leben gemehrt und so ist eine riesige Basis von Möglichkeiten entstanden, auf der wir stehen. Darauf bauen wir auf, leben erprobte Entwürfe weiter, riskieren gescheiterte Entwürfe doch durchzustehen, versuchen neue. Auch wenn wir dabei geringere oder auch schwierigere Rollen haben, wir mehren Leben, denn am Ende des Lebens sind auch wir unendlich viel weiter als am Anfang.
Und wir sehen: die Anderen sind in das Dasein geworfen wie wir und haben das Spielziel, ihr Leben und das ihrer Nächsten zu mehren. Wie wir haben sie dabei Erfolg, scheitern, meinen es gut, beglücken, verursachen Schäden, strengen sich an, versagen, kämpfen, gehen aufs Äußerste, und sind Ereignissen ausgesetzt, die sie fördern, trainieren, überfordern, zurückwerfen, töten.
Wenn wir so das Außerweltliche im Dasein der Anderen in den Blick bekommen, dasselbe Außerweltliche wie unser eigenes, dann es ist uns unmöglich, ihr Leben gezielt mindern zu wollen, und wir können nicht anders, als die Anderen bei ihrem lebensmehrenden Streben wohlwollend zu begleiten und zu fördern. Damit mehren wir gleichzeitig unser eigenes Leben.
–––
Dies ist das nüchterne Ende eines weithin nüchternen Buchs – notwendigerweise nüchtern und hoffentlich trotzdem erfreulich, weil es uns von einer Position klarer Vernunft abholen und uns zeigen kann, in welchem Sinne Religion vernünftig ist.
Es empfiehlt sich nun, alle Formulierungen wieder zu vergessen und die gewonnenen Sichten umso fester zu behalten und selbst auszubauen, denn wir haben nicht hieb- und stichfeste Aussagen gemacht, sondern annähernd auf das Außerweltliche zu zeigen versucht.
Zur Auffrischung unseres Blicks auf das Außerweltliche steht überall religiöse Rede zur Verfügung, vor allem bei den Religionsgemeinschaften und in der Weltliteratur.
Als Anregung deshalb hier zum Schluss noch zwei derartige Reden, typische Zufallsfunde mit üblicher Zeige-Ungenauigkeit und üblichem Schwierigkeitsgrad, jetzt aber ohne Interpretationshilfe:
Ein Gedicht vom Nicht-Theologen Johann Wolfgang von Goethe:
"Willst
du immer weiterschweifen?
Sieh, das Gute liegt so nah.
Lerne nur das Glück ergreifen,
denn das Glück ist immer da."
und eine Definition aus dem "Lexikon des Teufels" von Ambrose Bierce:
Glaube: Überzeugt-Sein ohne Beweise zu haben, von etwas, das jemand ohne Sachkenntnis sagt über Dinge, die mit nichts vergleichbar sind.
Dies ist die vollständige Liste der nummerierten Leitsätze aus den Manöverkritik-, Zwischenstand- und Endstand-Kapiteln dieses Buches.
1. Die Wurzel unserer Existenz liegt außerhalb unserer Welt. Analog zu einer virtuellen Realität "steuern" wir die eigentliche Realität unseres Lebens in der Welt von einem "Punkt" außerhalb, der unser Eigentliches Selbst ist.
2. Die Welt ist alles, was wir
begrifflich fassen können. Daher kann man Außerweltliches begrifflich nicht
fassen. Da uns zur Kommunikation nichts Anderes als unsere üblichen Begriffe
zur Verfügung stehen, können wir damit bestenfalls eine annähernd zeigende Rede
über Außerweltliches versuchen. Solche Rede enthält daher zwar
"Objekte" und "Relationen", diese können aber nur unseren
Blick lenken helfen und sind begrifflich nicht verwertbar (etwa in
Schlussfolgerungen) sondern – streng genommen – begrifflich falsch.
Die annähernd zeigende Rede über Außerweltliches hat trotzdem in der Praxis von
Jahrtausenden immer wieder funktioniert. In uns ist ein Gespür dafür angelegt.
3. Der beschriebene Begriffsvorbehalt ist auch gegenüber der Rede von "Gott" unabdingbar. Aber die Rede von einer "Instanz", die uns in die Daseinssituation gesetzt hat und uns "live" präsentiert, was uns in der eigentlichen Realität unseres Lebens begegnet, ist naheliegend und auf ihr werden wir weiter aufbauen können.
4. Die Welt konstruieren wir selbst durch begriffliche Artikulation und Strukturierung des uns aus dem Chaos heraus Begegnenden.
5. Über die zugehörigen Verstehens- und Handlungs-Impulse haben wir keine Kontrolle, da sie außerweltlich verwurzelt sind. Sie sind uns geschenkt.
6. In der Welt begegnen uns die Anderen als Wesen von der Erscheinungsart des Daseins – wie unsere eigene innerweltliche Erscheinung. Mit ihnen – wie mit Gott – verbindet uns als Beziehung zwischen existenziellen Instanzen die Liebe, innerweltlich die Dimension zwischen Liebe und Vergegenständlichung der Anderen.
7. Das Dasein hat viele Dimensionen, rein, alternativlos, gegenteilslos im Außerweltlichen, ausgedehnt zwischen positiven und negativen Extremen in der Welt. Die Zusammenfassung der innerweltlichen Ausdehnungen aller dieser Dimensionen ist der Raum von Gut und Böse.
8. Das Böse ist jede Daseinshaltung, die das Leben mindert.
9. Die Zehn Gebote und das allgemeine Liebesgebot Jesu behandeln genau die zwei prinzipiell möglichen Beziehungen zwischen existenziellen Instanzen, nämlich zwischen Dasein und Gott und zwischen Dasein und Dasein. Das Buch Hiob ist eine drastische Illustration des Zweiten Gebots: Gott ist nicht begrifflich fassbar.
10. Jesus hat sich selbst neben uns als Bruder positioniert, nicht zwischen uns und Gott als vermittelnder Fürsprecher und Erlöser und auch nicht über uns als Herr und Richter "zur Rechten" Gottes.
11. Jesus "nachfolgen" heißt: seine Daseinshaltung übernehmen – nicht einem göttlichen Übermenschen nachlaufen und dabei womöglich immer hinter ihm bleiben müssen.
12. Die wichtigste Konsequenz der Absolutheit und damit der "Konsequenzlosigkeit" des Außerweltlichen ist die Nichtigkeit der vielen behaupteten "Konsequenzen" des Außerweltlichen. Insbesondere
13. Was innerweltlich positiv wirksam ist, ist der Blick auf das Außerweltliche. Er hat eine ausrichtende Wirkung und bringt uns in die optimale Daseinshaltung. Ohne diesen Blick ist die Welt für uns letztlich zum Verzweifeln.
14. Das Außerweltliche begründet keine Morallehre.
15. Die Seele ist eine innerweltliche Struktur und nicht dasselbe, wie das Eigentliche Selbst. Die Erschließung der Seele ist Sache der Wissenschaft, erreicht aber nicht das Eigentliche Selbst.
16. In der mittels Kausalität und Zufall konstruierten Welt ist kein Raum für einen freien Willen des Menschen. Unser Eigentliches Selbst lenkt unser innerweltliches Subjekt durch seine Haltung zur Welt.
17. Im Grenzbereich zwischen Religion und Ratio wird immer wieder das Außerweltliche zur Begründung, Steuerung oder Zurückweisung innerweltlicher Sachverhalte ins Spiel gebracht. Umgekehrt werden ausdrücklich oder hintergründig innerweltliche Aussagestrukturen auf das Außerweltliche ausgedehnt, in dem Versuch es zu klären, zu beweisen oder zu widerlegen. Aussagen, die das Außerweltliche zum Gegenstand haben, verletzen aber das Zweite Gebot und sind nichtig.
18. Das Eigentliche Selbst ist innerweltlich nicht erkennbar und steht innerweltlich nicht zur Disposition. Insbesondere lassen sich über außerweltliche Wurzeln von Lebewesen – und auch von Leblosem – keine Aussagen machen.
19. Die Welt ist reich, gut und kostenlos.
20. Der Tod kann unser Eigentliches Selbst nicht abschalten.
21. Seligkeit ist eine Daseinsdimension, mit der "ewigen" Seligkeit als außerweltliche Wurzel und der innerweltlichen Ausdehnung zwischen Seligkeit und Unseligkeit.
22. Seligkeit finden wir, wenn es uns ernsthaft um unsere Existenz geht, sei es "auf die harte Tour", z.B. im Wiederaufrichten nach Schicksalsschlägen, sei es "auf die angenehme Tour", z.B. bei Geburten und in der existenziellen Kommunikation mit Anderen.
23. Innerweltliche Seligkeit ist eine optimale Daseinshaltung, in die hinein uns der Blick auf das Außerweltliche ausrichtet. Seligkeit ist nachhaltig, weil sie nicht vom Glück oder Unglück in der Welt abhängt, sondern eine Haltung gegenüber der Welt als ganzer ist und sich an ihrem Reichtum begeistert.