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Version 11, unlektoriert, Mai 2022
© Rainer Bruno Zimmer
Verschiedene Begriffe für gleiche Phänomene 8
Gleiche Begriffe für verschiedene Phänomene 8
Wahrnehmung und Gedankenwelt 9
Das einfache assoziative Denken 14
Wahrheit von nicht beweisbaren Theorien 1 16
Wahrheit von nicht beweisbaren Theorien 2 16
Kollektivierung, Kultur, die objektive Welt 18
… als annähernd zeigende Rede 22
Die Dimensionalität des Daseins 23
Resümee: Sehen statt Denken, Fortschreibung 26
Anhang – Ein Rückblick auf Sein und Zeit 27
Unser individuelles Denken definiert unsere individuelle Welt. Unser rationales, also bewahrheitetes relationales Denken definiert die objektive Welt. Was Menschen prinzipiell überhaupt denken können, definiert die Welt schlechthin.
Statt "unser Denken definiert" könnte man auch sagen: "unser Denken begrenzt". Das ist aber strittig, denn es sagt ja indirekt, dass jenseits der Grenze auch noch etwas sein könnte. Früher befassten sich die Menschen ernsthaft mit dem außerhalb aller dieser Horizonte Liegenden, dem Jenseitigen. Heute herrscht die Sicht vor, das Jenseits sei leer, die Welt sei alles. Ja, es wird sogar die Sicht vertreten, dass die objektive Welt alles sei; dass es nichts gäbe, das nicht vollständig rational, als Begriffsstruktur verstehbar sei.
Diese Sichten bestimmen und begrenzen unsere Wissenschaft und unsere Philosophie. Nur wenige ahnen oder sehen, dass die Wissenschaft damit Erforschbares, und die Philosophie Erkennbares verpassen könnten. Das sollte man doch besser auszuschließen versuchen.
Wie ist es nun also mit dem Jenseits?
Um einen Zugang zu finden, kann man zunächst einmal statt des religiös vorbelasteten Wortes "Jenseits" ein neutraleres verwenden, etwa "das Außerweltliche", "das Unbegreifliche/Unbegriffliche", oder "das Absolute". Das sind alles Synonyme, weil Begriffe und Begriffsstrukturen immer Gegenstände des Denkens also innerhalb der/einer Welt sind, und weil "absolut" genau heißt: nicht in Relation stehend, also nicht in Begriffsstrukturen fassbar, und damit übrigens auch nicht in prädikativen Aussagen.
Gibt es so etwas irgendwie?
Wer oder was nimmt das wahr, was uns individuell begegnet? Das "Ich", und zwar jeweils meins, nicht das eines anderen Menschen.
Aber das ist nicht mein "Ego" oder "Selbst", als das ich mich in der Welt erst definiere und dann so behaupten oder durchsetzen will. Auch nicht meine Psyche, deren Gefühle, Strebungen und Antriebe mir ja doch in der Innenwelt begegnen. Die Sinne? Die sind nur eine Kategorisierung dessen, was mir begegnet: ich teile das, was mir begegnet, ein in das, was einerseits von den einzelnen Sinnen und den Sinnen insgesamt, andererseits aus der Innenwahrnehmung z.B. der Körpergefühle oder der Gedanken kommt. Auch das Gehirn ist nicht mein Ich. Niemand nimmt sein eigenes Gehirn wahr, es ist ein Gedankenobjekt; und eine Wahrnehmungsinstanz darin, der das begegnet, was die anderen Teile des Gehirns ihr angeblich "vorspielen", ist nicht erfunden, geschweige denn bestätigt.
Nein, es ist alles maximal einfach und direkt: es ist nicht nichts, sondern es begegnet etwas, und zwar mir; aber dieses "mir" ist nicht definierbar. Alle Versuche, diese Wahrnehmungsinstanz in einer begrifflichen Struktur zu fassen, müssen scheitern.
Wer dies so sieht, für den ist aber auch der Versuch gescheitert, die These zu falsifizieren, dass es Jenseitiges, Außerweltliches, Absolutes nicht geben kann. Die Wahrnehmungs- instanz ist kein Begriff, also außerweltlich, aber sie ist nicht zu leugnen.
Das reicht als Anreiz, hier nun weiter zu suchen.
Diese Schrift läuft darauf hinaus, ausgehend von der Wahrnehmung, Kandidaten für Absolutes in den Blick zu nehmen und sie, weil sie ja relational ja nicht zu fassen sind, dann eben anders, nämlich so zu beschreiben oder zu umschreiben, dass der Leser sie möglichst auch in den Blick bekommt.
Anders gesagt, es soll mittels einer annähernd, assoziativ zeigenden Redeweise vorgeführt werden, was an unserem Dasein außer der Welt noch daran ist. Dies sehen kann im Prinzip jeder Mensch an sich selbst, indem er auf sein eigenes Dasein schaut. Weil man hier selbst sehen kann, sind diese Ergebnisse keine Esoterik, sondern hartes und dabei sehr ergiebiges und wertvolles Wissen.
Warum ist etwas und nicht nichts? Unmögliche Frage? Es ist einfach absolut so, und Absolutes kann man nicht in Relation setzen, und damit also auch nicht begründen.
Weiter unten werden wir sehen, dass man Absolutes immerhin "mit dem inneren Auge sehen" kann, und dann auch Anderen ggf. mit geeigneten Worten in diesem Sinne "in den Blick" bringen kann. Insofern ist die Wortfolge der Anfangsfrage passend, da sie tatsächlich auf das Absolute zeigt.
Sehen wir näher hin! Jeder weiß für sich: Ich bin im jetzigen Moment und mir begegnet etwas; im nächsten Moment begegnet mir wieder etwas, und so immer weiter. Dabei kann ich erkennen, wenn mir etwas begegnet, das mir schon in anderen Momenten begegnet ist, und darüber hinaus, dass mir immer wieder Gleiches begegnet. Andererseits kann ich auch Begegnendes als verschieden erkennen. Das dürfte jedem Menschen so gehen.
Wenn uns etwas zweimal oder immer wieder begegnet, dann ist die Auffassung, dass es jeweils dasselbe sei, unsere – mentale – Konstruktion. Dass das Gleiche uns zwischen den Begegnungen ebenfalls hätte begegnen können und auch künftig jeden Moment ebenfalls begegnen könnte, ist eine weitere mentale Konstruktion. Und dass es deshalb unabhängig von uns ein irgendwie durchgehaltenes Sein als ein Seiendes haben müsse, ist eine dritte mentale Konstruktion. Seiende und ihr Sein sind also mentale Konstruktionen, die nur davon abhängen, was wir als dasselbe wiedererkennen.
Im Grunde sagt der letzte Absatz: Sein und Seiendes sind nicht primär, sondern auf der Basis des Begegnenden zusätzlich konstruiert, und das einzelne Seiende ist jeweils nicht konstitutiv für das Dasein, wohl aber das Konstruieren des Seienden. Das Primäre ist, dass uns laufend etwas begegnet. Das ist absolut so, solange wir leben. Es ist das Wesen unseres Daseins. Dass nichts begegnet, ist dasselbe wie kein Dasein.
Aber wir hätten auch kein Dasein, wenn wir es nur irgendwie bloß hinnähmen, dass uns überhaupt etwas begegnet. Im Dasein inbegriffen ist, dass wir die von uns konstruierten Seienden "behalten", indem wir sie begreifen und uns merken, eben als – gegebenenfalls noch wortlose – Begriffe. Das erlaubt uns überhaupt erst das Wiedererkennen: Wenn uns das schon in einem Begriff behaltene Gleiche erneut begegnet, dann kommt uns sofort dieser Begriff in den Sinn, und das ist das (Wieder-) Erkennen.
Hier müssen wir nun noch genauer hinsehen. Was heißt "kommt in den Sinn"? Wenn wir sagen, dass uns etwas "begegnet", denken wir zunächst einmal, dass es uns "über die Sinne aus der Außenwelt" begegnet. Dass uns etwas "in den Sinn kommt", besagt aber ebenfalls, dass es uns begegnet, nämlich in unserer Innenwelt, genauer: in der Gedankenwelt. Begriffe sind rein mental. Sie begegnen uns nicht nur in dem Zusammenhang, dass wir Außenwelt wahrnehmen, sondern überhaupt, wenn wir erleben, z.B. auch wenn wir denken.
Dass wir eine Außenwelt und eine Innenwelt haben, jede separat, ist übrigens auch schon wieder unsere Konstruktion. Wir fassen das uns Begegnende in Bereiche zusammen, die wir als Teilwelten auffassen und auch weiter unterteilen. Zu unserer Innenwelt zählen wir
z.B. die innere Körper-Wahrnehmung (Körperhaltung, Wohlgefühl, Hunger, Schmerz), die Psyche (Motive, Antriebe, Gefühle, Stimmungen) und den "Geist": die mentale Welt (Gedanken, innere Bilder und "Filme", innere Sprache).
Was begegnet uns denn nun von der Außenwelt her: Begriffe oder etwas Anderes? Für Letzteres spricht einerseits, dass uns in der Außenwelt etwas begegnen kann, das wir nicht kennen, für das wir also (noch) gar keinen eigenen Begriff haben. Andererseits passiert es schon mal, dass wir uns bei einer Wahrnehmung in der Außenwelt täuschen, und das kann ja dann nicht an dem liegen, was uns begegnet ist: es kann uns nicht gleichzeitig begegnet und nicht begegnet sein.
Dies ist eine gedankliche Konstruktion. Wir konstruieren, dass das Wahrgenommene, der Begriff, und das ursprünglich von der Außenwelt her Kommende nicht dasselbe sind. Um uns im Weiteren sprachlich leichter zu tun, nennen wir das von der Außenwelt Kommende "Phänomen".
Ein Grundzug unseres Daseins kann allerdings nicht von einer Konstruktion abhängig sein. Unsere Frage, ob uns Begriffe oder Phänomene begegnen, ist also noch nicht beantwortet.
Begriffe und Phänomene sind aber wirklich zweierlei, denn wir können immer den mit dem Phänomen assoziierten Begriff durch einen besseren ersetzen, z.B. wenn wir etwas differenzieren lernen. In einem solchen Fall haben wir die verschiedenen Begriffe zeitlich nacheinander. Im Allgemeinen berücksichtigen wir jeglichen Kontext, um Begriffe zu differenzieren. Wenn wir das Gesicht eines gegenüber stehenden Menschen sehen, ist es
z.B. nicht dasselbe wie das Gesicht desselben Menschen als Porträt in einem Bilderrahmen in einer Ausstellung, und dies ist wiederum nicht dasselbe wie das Gesicht desselben Menschen, den man bei einer Party durch einen Rahmen schauen lässt, damit das Foto von ihm interessanter aussieht. Ein Bild ist nicht dasselbe wie das Abgebildete, und etwas in einem Rahmen ist nicht immer ein Bild.
Viel häufiger als gleiche Phänomene kontextabhängig in gleiche oder verschiedene Begriffe zu fassen, ordnen wir verschiedenen Phänomenen denselben Begriff zu. Ein einfaches Beispiel: Man geht einen Bürgersteig entlang und sieht eine Straßenlaterne: einen Mast mit einem Arm, der nach links zeigt. Man geht vorbei, dreht sich um, und da ist jetzt eine Straßenlaterne mit dem Arm nach rechts. Um zu konstruieren, dass das dieselbe Straßenlaterne ist, ist es offensichtlich erforderlich, dass man auch eine geeignete
in diesem Fall: räumliche – Transformation konstruiert hat und anwendet, die das erste Begegnende in das zweite überführt. Erst recht beim Umrunden eines Baums, wobei nach
jeder kleinen Änderung des Sehwinkels alle Äste und Zweige anders im Sichtfeld stehen, und man den Baum trotzdem als denselben erkennt. Wenn uns also wiederholt verschiedene Phänomene begegnen, dann können wir sie ggf. trotzdem als dasselbe erkennen und fassen sie dann mit demselben Begriff, wenn wir nämlich auch die dazu erforderliche Transformationen zur Verfügung haben und einsetzen, die die verschiedenen Phänomene ineinander überführen.
Die Transformationsleistungen, die wir bei der Konstruktion der Selbigkeit von Seiendem erbringen, sind leicht zu unterschätzen. Die Sonne hat im Tagesverlauf immer wieder andere Farben, Größen, Positionen, Bedeckungen, zu jeder Sekunde, also zu vielen Tausenden Sekunden am Tag, und wir nehmen sie durchgehend als dieselbe Sonne wahr, auch über Tage und Jahre hin, auch wenn wir verreisen und die Sonne von wechselnden Orten aus sehen, und so weiter unser Leben lang. Diese Leistung ermöglicht es uns, dass wir nicht in der überwältigenden Masse verschiedener Sichten auf die Sonne stecken bleiben, sondern mit unserer Erkenntnis darüber hinweg und weiter kommen.
Das Gleiche gilt für praktisch alle Gegenstände und Konfigurationen in unserem Umfeld. Sie begegnen uns z.B. ständig aus anderen Blickwinkeln in anderem Licht in anderen Teilen des Blickfelds, näher und ferner, perspektivisch anders. Trotzdem kommen wir über diese geradezu unendlich vielen Sichten mühelos hinweg und erfassen sie in einem Begriff, als eine übersichtliche, vertraute Konfiguration von Seienden.
Weiter oben haben wir schon gesehen, dass Begriffe rein mental sind, d.h. uns in der Innenwelt, genauer: in der Gedankenwelt begegnen. Dort begegnen sie uns direkt, ohne weitere Wahrnehmungsprozesse, einschichtig.
Jetzt haben wir gefunden: Bei der Wahrnehmung von Seiendem der Außenwelt ignorieren wir laufend die begegnenden Phänomene und die unterscheidenden oder gleichsetzenden Transformationen. Stattdessen lassen wir die aus den Transformationen resultierenden, zugeordneten Begriffe für das Seiende direkt als Gegenstände unserer Wahrnehmung fungieren. Uns begegnet direkt der Supermarkt, wie er uns als Begriff bekannt ist, und nicht ein mehr oder weniger transformiertes Supermarkt-Phänomen dahinter, schon gar nicht alle seine Bestandteile, geschweige denn seine Pixel.
Zusammengefasst: Wir nehmen unsere eigenen Begriffe wahr, indem sie uns direkt begegnen, ohne irgendetwas dahinter. Unter unseren Wahrnehmungsbereichen haben wir zwar einen Sektor "Außenwelt", aber das dahinter, die Phänomene und ihre Verarbeitung durch Sinnesorgane, Nerven und das Gehirn sind ebenso konstruiert wie etwa mögliche Speicher und Verknüpfungsstrukturen, die hinter unserem Denken stehen könnten. Wir können nicht hinter das sehen, was uns begegnet. Primär ist nur die momentane Wahrnehmung unserer Begriffe. Phänomene und Phänomenstrukturen sind, wie alle Strukturen, von uns zusätzlich konstruiert.
Übrigens ist es auch nicht so, dass unsere Wahrnehmung überhaupt dadurch erklärt werden könnte, dass sie von den schon angeführten Konstrukten verursacht sei, etwa so, dass die Sinnesorgane Impulsmuster aussenden, die im Gehirn zur assoziativen
Aktivierung von Begriffen führen. Erst muss man da sein, d.h. Begriffe wahrnehmen können, und dann kann man solche begrifflichen Zusammenhänge konstruieren. Aber die Wahrnehmung lässt sich nicht aus dem Wahrgenommenen erklären, und das Dasein nicht aus dem Begegnenden. Es besteht daraus, dass etwas begegnet, und das ist eine absolute Gegebenheit, also begrifflich und strukturell nicht fassbar.
Zurück zur Begriffswahrnehmung. Wir halten als weiterführenden Punkt noch fest, dass wir unsere Begriffswahrnehmung verbessern können, wenn wir einzelne Begriffe durch bessere ersetzen oder neue Begriffe dazulernen. Vor und nach der Verbesserung, nehmen wir jeweils mit den besten uns verfügbaren Begriffen wahr.
Weiter unten werden wir sehen, dass wir dabei nicht nur auf unsere eigenen Begriffsverbesserungen allein gestellt sind, sondern von den Verbesserungen unseres Kollektivs profitieren können und uns auf diesem Wege auch objektiv beste Begriffe zur Verfügung stehen.
Sehen wir uns also unseren Umgang mit Begriffen näher an.
Was wir feststellen können, ist, dass uns zu einem Begriff, den wir gerade wahrnehmen, meist noch ein oder mehrere andere einfallen. Und wenn uns der erstere Begriff wiederholt begegnet, fallen uns dazu auch jeweils wieder der oder dieselben anderen Begriffe ein. Überhaupt sagen wir bei Begriffen kaum, dass sie uns begegnen, sondern geradezu immer, dass sie uns einfallen. Manchmal fallen sie uns spontan ein, meistens zu einem vorhergehenden, auslösenden Begriff, egal aus welchem Bereich unserer Wahrnehmung.
Diese Art von "Auslöser-Einfall"-Verbindung zwischen zwei Begriffen nennen wir Assoziation. Da der Begriff "Assoziation" mehrdeutig im Gebrauch ist, benutzen wir, wenn es auf Genauigkeit ankommt, hier definierte Ausdrücke:
für die Bildung von Assoziationen den Ausdruck assoziativ verknüpfen, und
dafür, dass man einzelnen, oder Ketten von Assoziationen folgt, die Ausdrücke
assoziieren, assoziativ denken oder assoziativ reden oder assoziative Rede.
Assoziationen bilden also grundlegende Begriffsstrukturen, deren Rolle allerdings noch näher herauszuarbeiten ist.
Wenn wir genauer hinsehen, müssen wir schon einmal feststellen, dass die Angelegenheit noch etwas komplizierter ist: Wenn uns ein Begriff einfällt, dann "schwingen" jeweils ja noch eine Menge anderer mehr oder weniger intensiv mit: Wenn wir an einen Menschen denken, dann schwingt z.B. mit, dass wir ihn lieben oder fürchten, ob wir mit ihm noch etwas zu besprechen haben, was er vorhat, u.v.a.m. Wenn wir an einen Berg denken, dann auch, wie er aussieht, dass wir hinaufwollen, oder schon oben waren, und was wir dort gesehen haben. Wenn wir an etwas denken, das wir kaufen wollen, dann fallen uns gleichzeitig mehrere Quellen ein, woher wir es beziehen könnten, und dazu, welche ggf. billiger ist, und wie die Preise sind.
Assoziationen verbinden also nicht nur Begriffe mit Begriffen, sondern meist ganze Begriffsmuster oder Begriffsprofile, in denen jeder Begriff ein eigenes Gewicht hat. Jedes gewichtete Profil lässt einem das nächste gewichtete Profil einfallen.
Unter den Begriffen, die wir wahrnehmen, gibt es viele und vielerlei Zusammenhänge, und auch diese fassen wir als Begriffe, etwa, wenn uns bestimmte Begriffe immer miteinander begegnen, immer in bestimmter räumlicher Anordnung, immer gleichzeitig, immer nacheinander –, und damit sind auch schon ein paar Begriffe benannt, die wir für solche Zusammenhänge haben. Und so haben wir
Begriffsstrukturen bestehend aus Zusammenhängen von Begriffen Z(X,Y),
Begriffe für Zusammenhänge Z,
und natürlich bilden wir Assoziationen zwischen den jeweils zusammenhängenden Begriffen X und Y, sowie zwischen diesen und dem Begriff für den Zusammenhang, d.h. X und Z bzw. Y und Z.
Wichtige Zusammenhänge sind räumliche, zeitliche, Mengenzugehörigkeiten (Element von, Teilmenge von, Schnittmenge von, disjunkt zu u.a.m.), kontextuelle (gehört zu, gehört zwingend zu, charakterisiert), logische (folgt aus, hat zur Folge, dient zu).
Im zeitlichen Zusammenhang, von einem Moment zum Nächsten, kann uns zu einem Begriff oder Begriffsprofil der oder das nächste einfallen, zu dem wiederum der nächste, usw., und dann haben wir eine zeitliche Assoziationsfolge. Diese selbst kann uns auch wiederholt begegnen, woraufhin wir sie ebenfalls mit einem Begriff belegen, der für eben diesen wiederkehrenden Ablauf steht. Jedes Mal, wenn wir den Ablauf Ins-Büro-Fahren erleben, begegnen uns bestimmte Straßen, Kreuzungen, Ampeln, Parkplätze u.v.a.m., sowie unsere entsprechenden Aktionen, alle immer in derselben zeitlichen Reihenfolge. Und wenn das immer so ist, dann haben wir offenbar verstanden und ein bestätigtes Wissen davon, wie wir ins Büro fahren.
Der vorige Absatz legt zwei Fortsetzungen nahe, einerseits hinsichtlich des Themas Handeln, da das Ins-Büro-Fahren ja doch reichlich Handlungsabläufe erfordert, anderer- seits hinsichtlich der Themen Verstehen und Wissen. Beginnen wir bei Ersterem.
Unser Körper bietet uns eine Menge an Bewegungsmöglichkeiten. Offenbar nehmen wir wahr, dass bestimmte Begriffsprofile in unserer Gedankenwelt mit der Innen- und Außenwahrnehmung von Bewegungen so assoziiert sind, dass sie letztere auslösen oder verhindern können. Das heißt nicht, dass alle Bewegungen auf diese Weise gesteuert würden, denn es gibt ja auch Reflexe und unbewusste Bewegungen, aber wir lernen, dass hinreichend gewichtete Begriffsprofile – hinreichend intensives, gezieltes Denken – effektiv mit anschließenden Handlungen assoziiert sein können.
Meistens lösen wir unsere Handlungen wie selbstverständlich durch assoziatives Denken aus. Uns begegnet, dass es regnet, und wir assoziieren das Aufmachen des Schirms, dazu die notwendigen Handgriffe des Auspackens und Aufspannens, gegebenenfalls auch einen Handlungsimpuls, und das geschieht dann. Wir können auch an eine Handlung denken, ohne sie auszulösen. Andererseits kann mit der Wahrnehmung oder dem Gedanken an eine plötzliche, akute Gefahr eine Handlung so fest assoziiert sein, dass sie unmittelbar, geradezu ohne unsere Kontrolle ausgelöst wird.
Zum Handeln gehört aber auch das mentale Handeln. Wir können auch Denkhandlungen auslösen, mit denen wir an etwas Bestimmtes denken, an etwas Anderes als das eben Bedachte. D.h. wir können unsere Aufmerksamkeit, unseren von dem einen Fokus weg zum nächsten lenken, und so mit unserer Aufmerksamkeit einen "Weg" zurücklegen, und diesen Weg wiederum mit einem Begriff belegen und mit diesem Begriff auch wieder abrufen.
Wir sind in einer Situation. Die Wahrnehmung liefert uns dazu das passende gewichtete Begriffsprofil: den gegenwärtigen Kontext. Wenn wir ihn schon erlebt haben und mehr oder weniger kennen, dann können wir, ggf. direkt und fest assoziieren, was uns als Nächstes begegnen wird, bzw. welche Handlungen wir auslösen müssen, um uns als Nächstes etwas begegnen zu lassen, auf das wir aus sind. Und wenn uns das im nächsten Moment tatsächlich begegnet, dann merken wir, dass wir richtig liegen, und für einen Moment oder auch einen ganzen Ablauf lang in Harmonie mit dem Begegnenden leben.
Unser Leben besteht daraus, dass uns allerlei begegnet, dass wir dazu aus unserem Repertoire begleitend Folgen von Assoziationsstrukturen einschließlich assoziierten Handlungen mitlaufen lassen, die im zeitlichen Verlauf mit dem Begegnenden harmonieren können. Insoweit sie tatsächlich harmonieren, verstehen wir das Begegnende. Die Gesamtheit alles so Verstandenen, d.h. der Assoziationsstrukturen, die wir so leben können, macht unsere – individuelle – Welt aus.
Intelligenz ist Neu-Verstehen, d.h. neue Zusammenhänge wahrzunehmen, dazu passende Begriffe und Assoziationsstrukturen aufzubauen, und diese im tatsächlichen Erleben zu erproben, d.h. sie als bestätigt zu nehmen, wenn sie mit den erlebten Abläufen des Begegnenden harmonieren, und sie sich andernfalls als ungeeignet zu merken und der Abweichung vom Erwarteten nachzugehen, um die unerwarteten Abläufe ebenfalls neu zu verstehen.
Wir haben keine Kontrolle darüber, was wir wann von einem Moment auf den anderen neu verstehen, aber es ist uns dauerhaft immer wieder gegeben. Dies ist keine Behauptung, sondern ein Hinweis darauf, dass man versuchen kann, es bei sich selbst zu sehen.
Wir können auf etwas aus sein und es erreichen, d.h. so handeln, dass es uns schließlich begegnet. Der einfache Fall ist, wie oben schon geschildert, dass wir in unseren Assoziationsfolgen Begriffsprofile haben, in denen Begriffe des Handelns, z.B. sich auf einen Stuhl zu setzen, so stark gewichtet sind, dass diese Handlungen effektiv ausgelöst werden – und wir uns auf den Stuhl setzen.
Absichten verfolgen wir generell, indem wir in den mitlaufenden Begriffsprofilen von vornherein Ziele, Pläne und Zwischenziele hinreichend stark gewichtet mitführen.
Die vorwegnehmenden Assoziationsvorgänge können unproblematisch sein. Wir kennen jeden einzelnen Schritt und die ganze Reihenfolge, wenn wir zum Einkaufen in ein Geschäft gehen und etwas Bestimmtes kaufen wollen. Wir wissen, was wir jeweils als Nächstes tun und was uns dann erwartet.
Das, worauf wir aus sind, kann aber auch sehr viele, kompliziert zusammenhängende, bedingte Abläufe erfordern, z.B. wenn wir ein Haus bauen wollen. Da sind dann geradezu unüberschaubar viele Einzelhandlungen auszulösen. Immerhin kann man Fachleute heranziehen, die wissen, wie man das Projekt von der Planung bis zur Übergabe und Abnahme durchführt, so dass man absehbar mit dem fertigen Haus rechnen kann, auf das man aus ist.
Manchmal müssen wir mit unseren Assoziationen aber auch sehr schnell sein. Z.B. muss man in schnellen Ballspielen antizipieren, wohin der Ball geht und der oder die Spieler sich bewegen, damit man überhaupt geeignet, der Absicht entsprechend, agieren kann. Dazu muss man darauf aus sein, die Situation zu lesen und den Gegner auszurechnen, sodass man möglichst frühzeitig weiß, was er in dieser Situation vorzugsweise tut, und was man dagegen selber tun kann, um ihn nicht nur abzuwehren, sondern an einer Schwachstelle anzugreifen. Das heißt, die mitlaufenden Assoziationsmuster unseres Erlebens können reiche Kontexte mitführen und so ggf. sehr effektiv und sehr schnell voraussehend handeln.
Und dann kann man auch noch auf Ziele aus sein, bei denen es unabsehbar ist, ob und wie man sie erreichen kann, z.B. wenn man Karriere machen will. Vielleicht kennt man einige notwendige oder hilfreiche Zwischenziele, vielleicht ergeben sich Gelegenheiten, in denen dieser oder jener Schritt einen dem Hauptziel irgendwie näherbringt. Vielleicht ist ganz offen, wie es weitergehen könnte, und man hat keine andere Option, als die überhaupt verfügbaren Möglichkeiten auszuprobieren. Hier hilft es nur, das Hauptziel und das aktuelle Zwischenziel in den Begriffsprofilen immer so stark gewichtet mitzuführen, dass bei sich unvorhersehbar bietender Gelegenheit möglichst solche Handlungen ausgelöst werden, die einen dem Ziel näherbringen.
So kommt unser Leben überhaupt gegen das Chaos und die Entropie an: wir benutzen eine Art mentale Sperrklinke, die es den "günstigen" Gegebenheiten erlaubt, unser Lebensrad ein Stückchen weiterzudrehen, und die das Zurückdrehen durch die "widrigen" Gegebenheiten sperrt. Weiterdrehen ist gut, Nicht-Weiterdrehen ist schlecht.
Intelligenz und Absichten bilden übrigens einen Engelskreis. Neu-Verstehen kann einem ja auch neue Handlungsmöglichkeiten auf aktuelle Ziele hin eröffnen, sowie auch neue Ziele möglich machen. Und man kann auch die ausdrückliche Absicht haben und verfolgen, trotz fehlender Kontrolle immerhin mehr Möglichkeiten und Chancen des Neu- Verstehens zu schaffen, indem man sich intensiv mit dem in Frage stehenden Begriffsbereich befasst.
Denken beruht auf derselben Struktur wie Handeln. Wie man durch geeignete Gewichtung von Begriffen in den Begriffsprofilen erreichen kann, dass eine Handlung ausgelöst wird, so kann man auch erreichen, dass als man nächstes bzw. mit den nächsten Schritten auf etwas Bestimmtes hin assoziiert, d.h. ein ggf. längerer Denkprozess ausgelöst wird.
Es gibt drei wesentliche Arten von Denken: (1) das einfache, zielgerichtete assoziative Denken, (2) das frei assoziative Denken, und (3) das rationale, d.h. begrifflich scharfe, relationale Denken.
Das einfache assoziative Denken besteht darin, dass man aus dem, was einem begegnet, Begriffe, Begriffsstrukturen, Begriffsprofile und Assoziationsfolgen bildet, sie im weiteren Erleben erprobt und bewährt, und so ein Verstehens- und Handlungs-Repertoire gewinnt, auf das man so weitgehend vertrauen kann, dass man damit sein Leben bestehen und seine Möglichkeiten erweitern kann.
Dabei ist man normalerweise auf etwas aus. Das frei assoziative Denken ist der Spezialfall, bei dem man auf nichts aus ist, sondern sich "offen" begegnen lässt, was kommt.
Das einfache assoziative Denken beruht, etwas vereinfacht, nur darauf, dass wir zu einem Begriff B1, z.B. Blitz, einen zweiten B2, z.B. Donner, assoziiert haben, und uns, wenn wir auf B1 folgend B2 erleben, damit unsere Assoziation B1->B2 bestätigt sehen. Genauer besehen, spielt sich dasselbe mit Begriffsprofilen ab. D.h.
wir haben zu einem gewichteten Begriffsprofil P1, das mit der aktuell erlebten Situation S1 harmoniert, das nächste, P2, assoziiert,
gleichen dieses P2 mit der nach S1 nächsterlebten Situation S2 ab und (3a) verstärken dementsprechend die Assoziation P1->P2, oder
(3b) schwächen sie ab und fügen dafür P1->P(S2) zu den Assoziationsmöglichkeiten hinzu.
Das rationale Denken funktioniert auf dieselbe Weise über Assoziationsketten wie das einfache assoziative Denken, nur dass wir dabei durchgehend ausnahmslos darauf aus sind, bestimmte Regeln einzuhalten. Diese sind streng relational, d.h. in charakteristischer Weise auf schmale Profile von genau gefassten, definierten Begriffen und Begriffszusammenhängen beschränkt, eben auf Relationen, und auf für Relationen zulässige Zusammenhänge – logische Ableitungen – von Assoziationen. Mitschwingend
sind allenfalls Begriffe davon, worauf man hinaus will oder was man dabei vermeiden will. Das rationale Denken ist geregeltes relationales Denken.
Hinzu kommt, dass es darum geht, ausgehend von bewährten Begriffszusammenhängen neue bewährte oder bewährbare zu finden, man kann auch sagen: von bestätigten Wahrheiten zu weiteren, neuen Wahrheiten zu finden. Dies ist die grundlegende Version des rationalen Denkens, non-verbal und damit etwas umständlich zu beschreiben. Das allgemein vorherrschende, rationale Denken ist verbal, und davon haben wir ein direktes Verständnis mit eingängigen Begriffen: Die Begriffszusammenhänge sind unsere Vorstellungen, und wir fassen sie in formale oder formalisierbare Aussagen oder Behauptungen. Die Regeln für das Fortschreiten der Assoziationen sind die Regeln der theoretischen und praktischen Prädikatenlogik. Als wahr gelten Aussagen, wenn sie (1) objektivierbar, und (2a) beweisbar, oder (2b) falsifizierbar sind, es aber in hinreichend umfassenden Versuchen nicht gelungen ist, sie zu falsifizieren.
Einschub:
Relationen sind hier durchaus im einfachen mathematischen Sinne zu verstehen: eine Relation ist eine Teilmenge einer Produktmenge. Beispiel: Wenn M die Menge aller Menschen ist, dann ist MxMxM eine Produktmenge und besteht aus allen theoretisch möglichen Zusammenstellungen von 3 Menschen (Tripeln), als Menge geschrieben { (m1,m2,m3) m1,m2,m3M }. Die Vater-Mutter-Kind-Relation ist die Teilmenge solcher Tripel, für die die Aussage (das Prädikat P) wahr ist, dass m1 der Vater und m2 die Mutter von m3 sind. Prädikate kann man logisch in Beziehung setzen: aus der Wahrheit des obigen Prädikats P folgt z.B. die Wahrheit der Aussage, dass m1 und m2 älter sind als m3, und andererseits folgt die Wahrheit von P z.B. aus der Wahrheit einer entsprechenden Aussage über einen DNA-Test.
Unsere in formale Aussagen oder Behauptungen gefassten Vorstellungen nennen wir Theorien; bzw. Hypothesen, wenn betont werden soll, dass ihre Wahrheit im obigen Sinne noch nicht bestätigt ist.
Theorien sind in unserem allgemeinen Verständnis Strukturen von Gedanken, also mentale Strukturen aus mentalen Objekten. Theorien erlauben es, Begegnendes vorherzusagen. Sie sind entweder beweisbar, oder ihre Brauchbarkeit ist davon abhängig, dass das Begegnende tatsächlich so kommt wie vorhergesagt.
Beweisbar sind: im weitesten Sinne mathematische Theorien. Die Beweise bauen aufeinander auf, haben also einen Anfangssatz von – demnach nicht bewiesenen – Behauptungen, den Axiomen. Im Gegensatz zu den notwendigen Bedingungen im Fall der nicht beweisbaren Theorien sind es hier hinreichende Bedingungen, denen man vertraut.
Dieses Theoriengebäude ist in sich wahr, nicht falsifizierbar, sondern kann allenfalls in der Praxis durch ein neues auf der Basis eines irgendwie besseren Satzes von Axiomen ersetzt werden.
Bei den nicht beweisbaren Theorien ist wesentlich, dass sie wenigstens falsifizierbar sind, dass sie z.B. logische Folgen haben, bei denen man in der Außenwelt unter kontrollierten,
reproduzierbaren Bedingungen beobachten kann, ob diese Folgerungen unter den von der Theorie spezifizierten Voraussetzungen tatsächlich eintreten.
Nicht falsifizierbare Theorien stellen etwas als vorhersagbar hin, dessen Folgerungen von Vornherein prinzipiell nicht beobachtbar sein können, also auch nicht bestätigt werden können. Nicht falsifizierbaren Theorien können also im Sinne des folgenden Abschnitts prinzipiell nicht wahr sein.
Logische Folgen sind ja nun mal "notwendige Bedingungen". Wenn es bei erfüllten Voraussetzungen einer Theorie eine einzige Beobachtung gibt, bei der eine einzige notwendige Bedingung dieser Theorie nicht erfüllt ist, dann ist die Theorie damit widerlegt und nicht wahr. Wenn in so vielen einschlägigen Beobachtungsfällen, wie die Menschheit nur zusammenbringen kann, alle notwendigen Bedingungen erfüllt sind, dann ist die Theorie insoweit bestätigt, aber die nächste Beobachtung könnte sie trotzdem widerlegen.
Theorien können also in dem Sinne universell wahr sein, dass im Prinzip jeder Mensch alle Bestätigungen in der Außenwelt nachvollziehen oder auch neue finden könnte. Die Menge aller bewiesenen oder derart bestätigten Theorien macht unser objektives "Wissen" aus.
Dazu gehören auch die Naturgesetze. Diese sind im obigen Sinne wahr, solange ihre Voraussagen eintreten. Sie steuern keineswegs den Lauf der Welt, sondern sagen ihn voraus. Insbesondere ist es nicht so, dass die Fakten von den Naturgesetzen erzwungen würden, sondern die Naturgesetze hängen von den Fakten ab, weil ein einziges widersprechendes Faktum sie widerlegen würde.
Dass wir uns trotz nur endlich vieler Erlebnisse auf unser Verstehen, und trotz der nur endlich vielen Bestätigungen auf unser "Wissen" verlassen können und verlassen, beruht auf unserem Urvertrauen, und dieses auf unserer Erfahrung, dass das Begegnende uns nicht an der Nase herumführt, sondern System hat, und zwar in einem hinreichend verlässlichen Maße, das wir einschätzen können. Theoretisches "Wissen" ist also ein überzogener Begriff, weil wir unseren Theorien eigentlich nur aus Erfahrung begründet vertrauen, oder – wenn man so will - glauben.
Immerhin glauben wir den Theorien nicht blind, sondern nur dann, wenn wir "selber beobachten" können oder wenigstens könnten, genauer: wenn wir sie über Folgerungen auf etwas grundlegender Wahres zurückführen können: auf das, was wir selbst im Bereich unserer Außenwelt wahrnehmen können. Unser "Wissen" ist solange wahr, wie es nicht von unseren Wahrnehmungen in der Außenwelt widerlegt wird, und es ist dadurch immer nur eingeschränkt bestätigt, weil wir ja immer nur endlich viele entsprechende Wahrnehmungen zusammenbringen.
Oben haben wir unsere individuelle Welt schon als die Gesamtheit aller Assoziations- strukturen definiert, die wir persönlich leben können.
Die Welt kann man dann als die Gesamtheit aller von Menschen prinzipiell lebbaren Assoziationsstrukturen definieren.
Das ist nicht das, was die Menschen im Allgemeinen mit "Welt" meinen: "die objektive Welt des Seienden, die außerhalb von uns und unabhängig von uns besteht".
Zunächst ist festzuhalten, dass die Außenwelt der Bereich ist, den wir als Einzugsbereich der Wahrnehmungen unserer Sinne bestimmt haben. Die zugehörigen Begriffe begegnen uns in der Gedankenwelt und gehören also nicht zur Außenwelt, ebenso wie jegliche Assoziationsstrukturen von Begriffen überhaupt. Schon die Bestimmung, dass da einerseits Sinne seien und andererseits Objekte, von denen die Sinne Reizmuster empfingen, ist eine begriffliche Konstruktion, also Theorie und keineswegs primär. Uns begegnen Begriffe, und dann erfinden wir hinzu, hinter den Begriffen "sei" etwas außerhalb und unabhängig von uns. Wir gehen sogar noch weiter: Um Zusammenhänge in der Außenwelt zu erklären, konstruieren wir z.B. Bausteine der Materie wie Moleküle, Atome, Elementarteilchen, usw. Wir konstruieren auch Quasare, Gene, die Psyche, Julius Caesar. Das sind Begriffe, die uns von vornherein nicht in der Außenwelt begegnen könnten. Dass wir sie uns als in der Außenwelt seiend vorstellen und diese damit erweitern, ist eine vielfach nützliche Konstruktion. Philosophisch führen wir uns damit allerdings selbst in Irre. Theorieobjekte existieren nicht in der eigentlichen Außenwelt, nämlich der Sinnenwelt, sondern nur in der Gedankenwelt, einem Teil der Innenwelt.
Wir haben nun gesehen, dass wir die Welt als System statischer und dynamischer, assoziativer Begriffsstrukturen bestimmen können, die wir vorwiegend verbal fassen.
Ein sehr bedeutsamer Zusammenhang ist der zwischen einem Begriff und dem Wort dafür. Beide sind mentale Objekte und so direkt miteinander assoziiert, dass wir sie geradezu als dasselbe nehmen.
Wörter sind eigenständige Begriffe. Das Wort "Haus" hat keinerlei Attribute von Häusern. Mit einem Wort fest assoziiert sind seine phonetischen Repräsentationen, die man sprechen und hören kann, schriftliche Repräsentationen, die man schreiben und lesen kann, und Handlungsmuster zum Sprechen und Schreiben des Wortes. Vergleichsweise lose assoziiert mit einem Wort sind die Begriffe, die es "bedeutet". Zum Wort "Haus" fällt einem immer gleich ein typisches Haus ein, aber es gibt "unendlich" viele Arten von Häusern, für die das Wort ebenso treffend ist oder noch durchgeht. Meist ist der mit dem Wort assoziierte Begriff nicht eindeutig definiert, sondern es gibt viele gleichermaßen assoziierte Begriffe, d.h. Wörter sind normalerweise Breiwörter, die vielerlei Begriffen assoziiert sein können.
Sprache ist wesentlich für das rationale Denken und die Kommunikation seiner Inhalte, hier aber vorzugsweise formalisierte Sprache mit eindeutig definierten Wortbedeutungen
und zugeordneten Begriffen. Bereichsweise sind formale Sprachen in Gebrauch, mit definierten eigenen Symbolen und Grammatiken, z.B. die mathematische Formelsprache oder die Sprache für chemische Substanzen und Reaktionen.
Sprache verwenden wir aber ebenso für die Kommunikation einfach assoziativen Denkens. Dann folgen die Wörter einfach den Assoziationen, und eventuell spielt die Reihenfolge gar keine Rolle, etwa bei der Beschreibung von Situationen mit vielerlei Eindrücken und Wirkungen. Bei poetischen und allgemein im übertragenen Sinne gemeinten Wortfolgen muss man ggf. die Wortbedeutungen und / oder Modi ignorieren, wie z.B. bei der Rede von den Schmetterlingen im Bauch.
Rekapitulieren wir: Unsere individuelle Welt besteht aus bewährten, statischen und dynamischen, assoziativen Begriffsstrukturen, die wir verstehen können und als Handlungsfolgen ausführen, d.h. die wir leben können.
Diese Welt ist vor allem geradezu unüberschaubar riesig.
Dies verdanken wir einerseits der Intelligenz, andererseits der Sprache und der damit möglichen Kommunikation von Assoziationsstrukturen und, besonders und in weit höherem Maße der Kommunikation von rationalem Denken und Wissen.
Intelligenz haben wir oben schon definiert als bewährendes Neu-Verstehen. Damit wächst unsere Welt, und zwar sowohl hinsichtlich neuen, positiven Wissens und Könnens, als auch hinsichtlich Wissens zur Vermeidung von Irrigem und ungeeigneten Handlungen.
Eine wichtige Strategie, neues Verstehen zu gewinnen, ist, zu schauen und zu imitieren bzw. zu vermeiden, was andere Menschen machen und wie. Das kann bereits jedes Kleinkind und kommt damit schon gehörig voran, bevor es sprechen kann. Aber auch der Erwachsene lernt vom Chef etwas darüber, wie man eine Gruppe gut oder schlecht leitet, ohne dass der das mit Worten erklärt.
Den entscheidenden Schub aber bringt die Sprache. Die erste Lernstufe des Kindes dabei ist, die Wörter der Erwachsenen nachzusprechen und mit den eigenen Begriffen zu verbinden. Dann lernt es – mit viel Korrektur-Feedback – die Wortverbindungen der Erwachsenen und baut daraus die Assoziationen seiner eigenen Begriffe. So übernimmt das Kind die offenbar bewährten und vertrauenswürdigen, aber auch die zu vermeidenden Assoziationsstrukturen, d.h. die entsprechenden Welt-Konstruktionen der Eltern und anderer Vorbilder, und konstruiert so wichtige Teile seiner individuellen (zunächst: Außen-) Welt.
Diese "Nachbautechnik" vermittels der Sprache steht einem sein ganzes Leben lang zur Verfügung. Aus der ganzen Umgebung – von den unmittelbaren Mitmenschen wie auch von den Menschen aller Zeiten, z.B. durch ihre Bücher – kann man ständig erfahren, wie dies und jenes zusammenhängt, wie man es verstehen und daraufhin handeln kann, und das dann in sein eigenes Verständnis und seine eigenen Verhaltensoptionen aufnehmen.
Wenn das genügend viele tun, dann wird dadurch ein kollektives Verständnis- und Verhaltensrepertoire verbreitet, vorherrschend und fortgeschrieben: eine Kultur.
In überschaubaren Gruppen oder begrenzten Bereichen kann man mit anderen Menschen ggf. wechselseitig sehr viele Assoziationsmuster und Ausdrucksweisen nachvollziehen und deshalb mit den Gruppenmitgliedern im Horizont der Gruppe harmonieren.
Damit die Kultur universell funktioniert, kann sie durch ständige Absprachen objektives Verstehen entwickeln, d.h. Wissen bestehend aus Theorien, die im Prinzip jeder Mensch als wahr nachvollziehen kann. So entstehen durch Kollektivierung die objektive Welt und eine globale Kultur.
Die Bedingungen für die Nachvollziehbarkeit von Theorien sind:
Die Assoziationen zwischen den Wörtern der Theorien und ihren zugehörigen Begriffen, einschließlich Begriffen für Relationen, müssen verbal und eindeutig definiert sein.
Die Regeln für die Ableitung von Folgerungen aus den Theorien müssen verbal definiert und formal eindeutig gefasst sein.
Die Assoziationen zwischen den Wörtern, Begriffen und Phänomenen der Außenwelt, anhand derer die Folgerungen durch Beobachtung bestätigt werden könnten, müssen ebenso verbal definiert und formal eindeutig gefasst sein.
Objektivität heißt Nachvollziehbarkeit im Prinzip für alle Menschen, und kann nur basierend auf Wissen und nur mit begrifflich-relationaler Kommunikation aufgebaut und erhalten werden.
Ebenso kann eine Kultur Verhalten durch – geschriebene oder ungeschriebene – Ethik- Konventionen und Gesetze regeln, und damit ein kollektives bzw. objektives Verhalten und Unterlassen definieren und durchsetzen, auf das sich alle Mitglieder als Handelnde und Betroffene normalerweise verlassen können.
Um seine Welt zu bauen, ist man also nicht nur auf seine eigene Intelligenz eingeschränkt und müsste, womöglich alles bei Null beginnend, selbst erlebend neu ausprobieren, sondern man profitiert von der kollektiven Intelligenz der Kultur.
Seit der Erfindung des Buchdrucks und erst recht seit der Verfügbarkeit der globalen Kommunikation ist das nicht nur auf die unmittelbar umgebende Kultur beschränkt, sondern erstreckt sich – insoweit die Globalisierung funktioniert – prinzipiell über alle Kulturen.
Faktisch gibt es dabei trotzdem Einschränkungen. Kulturen sind in vieler Hinsicht nicht gelenkt, und so werden auch immer neue Verständnis- und Verhaltensrepertoires konstruiert, mit denen sich eine Kultur weiter entwickeln kann. Die Reichweite dieser Entwicklungen ist einerseits natürlich beschränkt, andererseits auch absichtlich, etwa durch Urheberrechte und Patente, oder durch politische Verhältnisse. Es entwickeln sich lokale oder auf bestimmte Milieus begrenzte Subkulturen, die sich durch unvereinbare Repertoires unterscheiden und ggf. abgrenzen, und damit auch den Zugang zu anderen
Repertoires innerhalb der Gesamtkultur einschränken und die Nachbaumöglichkeiten mindern.
Zum Schluss dieser Betrachtung sei hier noch einmal betont, weil es eher niemand auf dem Schirm hat:
Die Welt ist gewachsen und wächst. Alle tragen dazu bei, indem sie dank ihrer Intelligenz neue Lebensmöglichkeiten erfinden, bewähren und kommunizieren, und indem alle das so Bewährte übernehmen und darauf aufbauend wiederum neue Lebensmöglichkeiten hervorbringen.
Wachstum der individuellen Welt ist ein Grundzug des individuellen Daseins, die gegenseitige Förderung des Wachstums der Welt ein Grundzug des kollektiven Daseins von Mehreren, bzw. beliebig Vielen.
Für den Einzelnen übersetzt: Wachstum der Welt heißt Lebensmöglichkeiten mehren. Darauf aus zu sein, bei sich selbst und anderen, ist gut. Nicht darauf aus zu sein, ist nicht im Einklang mit dem Dasein, d.h. unselig.
Der Sinn des Daseins ist, Leben zu mehren – Lebensmöglichkeiten und tatsächlich Gelebtes.
Bis hierher sind wir nun schon einen ziemlich langen Weg gegangen: am, und in der Nähe des Grundes des Daseins, und wir haben eine ganze Menge Struktur gefunden. Wir konstruieren unsere Welt als Struktur und können sie kommunizieren. Andererseits können wir "sehen", dass unser Dasein darin besteht, dass uns etwas begegnet. Und wir können sehen, dass das absolut so ist, ohne Begründung, und unabhängig von den Inhalten und Strukturen unserer diversen Welten und der Welt.
Dasein ist etwas Anderes als Welt. Welt ist konstruiert, begrifflich, relational. Dasein ist primär, von vornherein, unbegrifflich, absolut. Die Zugänge zu Dasein bzw. Welt sind unvereinbar.
Das muss gewichtige Konsequenzen haben, und um die herauszuarbeiten, fassen wir unsere bisherigen Ergebnisse noch einmal kompakt zusammen:
Das Dasein besteht darin,
dass uns Begriffe begegnen, gleiche und unterschiedliche,
dass wir neue Begriffe bilden können,
dass die Begriffe uns in Zusammenhängen begegnen, für die wir ebenfalls Begriffe bilden,
dass wir Begriffe mit weiteren assoziativ verknüpfen, und so Assoziationsstrukturen bilden,
dass die Assoziationsstrukturen statisch und dynamisch mit dem uns Begegnenden harmonieren können,
dass das uns Begegnende System hat, so dass wir harmonierende Assoziationsstrukturen so zuverlässig bewähren können, dass wir ihnen nachhaltig vertrauen – dass wir das Begegnende verstehen,
dass uns laufend Neu-Verstehen gegeben ist, so dass Umfang und Struktur des Verstandenen – und entsprechend unsere Welt – grundsätzlich wachsen.
Das Obige sieht zwar aus wie eine Struktur des Daseins. Das, wofür die dabei verwendeten Wortfolgen stehen, ist allerdings nicht zu fassen. Von der Instanz, der etwas begegnet, wissen wir, dass wir sie irgendwie selbst sind, aber sie begegnet uns nicht, und es gibt nichts, das wir darüber aussagen könnten. Ebenso begegnen uns keinerlei Quelle und keinerlei Kanal, von der, bzw. über den, das Begegnende zu uns kommt, und das bedeutet auch noch, dass man nicht sagen kann, woher die offensichtliche Systematik im uns Begegnenden kommt.
Das Dasein können wir uns nicht vorstellen, denn es begegnet uns ja nicht. Wir wissen nur, dass wir "da" sind, und dass das absolut so ist, wie es ist.
Aus Theorien kann man Manches ableiten, aber keine Grundzüge des Daseins, denn sonst wären es nun mal keine Grundzüge. Abgeleitetes kann kein Grundzug sein. Es kann keine Theorie des Daseins geben, keine Theorie von dem, was vor allen Theorien ist.
Wenn wichtige Gegebenheiten des Daseins nicht fassbar sind, weil sie uns gar nicht begegnen, und wenn das Dasein keine begriffliche Struktur hat, dann stellt das unsere gesamten obigen Ausführungen in Frage. Können sie in irgendeinem Sinne wahr sein? Wie kann man treffend über das Dasein reden?
Auf diese Fragen sind wir schon ganz gut vorbereitet. Wir haben oben schon das einfache assoziative Denken und die entsprechende assoziative Rede behandelt. Man ist dabei nicht auf rationale, relationale Begriffsstrukturen eingeschränkt, schon gar nicht auf objektiv wahre. Und so kann man diese Rede gezielt für die Kommunikation über das Dasein einsetzen, indem man mithilfe der gewöhnlichen, uns verfügbaren Worte beim Empfänger Assoziationen auszulösen versucht, die ihn an das eigentlich nicht fassbare Gemeinte heranführen und es ihm irgendwie "in den Blick" bringen.
Wenn man die Instanz, der im Dasein etwas begegnet, nicht zu fassen kriegt, dann kann man von Ich oder Selbst oder – zur Abgrenzung vom Ego – vom Eigentlichen Selbst reden, aber auch vom inneren Auge, und damit rechnen, dass es andere Menschen es bei sich auch so kennen. Oder wenn man sieht, dass das im Dasein Begegnende verlässlich System hat, ohne dass man weiß woher, aber so dass man darauf sein Leben aufbauen und daran wachsen kann, dann kann man davon reden, dass das Begegnende so ist, wie wenn es von einem begrifflich nicht fassbaren, aber wohlwollenden Schöpfer kommt. Und dann kann man wie bei der Poesie darauf hoffen, dass andere Menschen das auch so sehen können.
Solche annähernd zeigende Rede mittels freier, aber gezielter Assoziationen ist das Mittel der Wahl für Kommunikation über begrifflich nicht Fassbares, Absolutes, Außerweltliches. Sie besteht aus Wortfolgen, kann daher oft aussehen wie begrifflich-relationale Rede und also damit verwechselt und auch noch als begrifflich-relational wahr oder falsch eingestuft werden. Das verfehlt den "Wahrheitsanspruch" der annähernd zeigenden Rede. Sie ist immer mit dem Präfix "es ist, wie wenn" zu denken, und sie funktioniert, wenn der Empfänger das Gemeinte auch so "sieht". Annähernd zeigende Rede ist daher logisch nicht belastbar, man kann sie nicht begründen oder etwas daraus folgern, man kann sie nicht beweisen oder widerlegen. Bestenfalls kann man sie durch eine besser zeigende Rede ersetzen.
Wenn die Unterscheidung zwischen der annähernd zeigenden, frei-assoziativen Rede und der begrifflich-rationalen Rede so wichtig ist, wie kann man sie dann sicher unterscheiden?
Ein Beispiel:
Die Wortfolge "Die Decke fällt mir gleich auf den Kopf" verstehen wir mühelos als frei- assoziativ: dass der/die Betreffende irgendwie fühlt, es zu Hause nicht mehr auszuhalten.
Wenn die Rede aber so weitergeht: "Sie hängt schon durch. Das muss sich ein Statiker ansehen", ändert sich unmittelbar das Verständnis: Es gibt eine Begründung und eine Folgerung, d.h. Begriffsbeziehungen. Der Satz mit der Decke auf den Kopf ist dann nicht mehr frei-assoziativ, sondern strukturell, begrifflich-relational.
Hiermit haben wir also ein Unterscheidungskriterium zwischen frei-assoziativer und begrifflich-relationaler Rede. Eine Einbettung in logische Zusammenhänge erweist sie direkt als begrifflich-relational.
Fassen wir zusammen:
Logische Zusammenhänge erweisen eine Rede immer als begrifflich-relational.
Um Missverständnisse zu vermeiden, empfiehlt es sich, annähernd zeigende Rede immer ausdrücklich als solche zu qualifizieren, als nicht begrifflich-relational, als ohne begrifflichen Wahrheitswert, als nicht bestätigbar und nicht widerlegbar.
Annähernd zeigende Rede ist immer so zu verstehen, als ginge das Präfix "Es ist, wie wenn" voran.
Annähernd zeigende Rede funktioniert, wenn der Empfänger das assoziiert, was der Sender meint. Z.B. funktioniert sie in der Poesie.
Diese Abhandlung ist weitgehend als annähernd zeigende Rede zu verstehen, d.h. was sie meint ist, vorwiegend nur durch Assoziationen in den Blick zu bekommen.
Damit haben wir uns ein Werkzeug für die Kommunikation über das Dasein gesichert, mit dem wir weiterhin arbeiten können, wie auch Kriterien, mit denen wir das Vorige überprüfen und überhaupt bei jeglichen Darstellungen des Daseins die Spreu vom Weizen trennen können.
Weiter oben, im Zusammenhang mit dem Wachstum unserer Welten haben wir die Rolle und Bedeutung der anderen Menschen angesprochen, einerseits indem sie uns Vorbilder liefern, nach denen wir unsere Welt weiterbauen können, andererseits bei der Kollektivierung von Wahrheit und Objektivität.
Im Sinne der nun getroffenen Unterscheidungen zwischen Dasein und Welt, und zwischen den entsprechenden angemessenen Kommunikationsmitteln, der annähernd zeigenden und der begrifflich-relationalen Sprache, müssen wir die anderen Menschen noch einmal genauer in den Blick nehmen.
Da wir keine Kontrolle darüber haben, was uns begegnet, müsste es auch nicht sein, dass unser Dasein uns andere Menschen begegnen lässt. Es ist auch eine Welt ohne andere Menschen vorstellbar, und damit ist das Vorkommen von anderen Menschen in der Welt auch nicht konstitutiv für das Dasein.
Die anderen Menschen begegnen uns aber in der Welt, also ist die angemessene Rede für alles Weltliche an ihnen die begrifflich-relationale Rede.
Ganz so einfach ist es trotzdem nicht, denn wir konstruieren ja auch, dass die anderen Menschen sind wie wir selbst, also auch ein Dasein haben und in einer Daseinssituation stehen wie wir selbst. In dieser Hinsicht ist die angemessene Rede über das Dasein der anderen Menschen die annähernd zeigende Rede.
Das heißt, je nachdem, welche Aspekte von Menschen man anspricht, muss man dafür auch die passende der zwei verschiedenen Arten von Rede verwenden. Andernfalls geht alles durcheinander, und man kann nichts Wahres oder Treffendes erwarten.
Da andere Menschen in unseren Welten sind, ist es auch möglich und wichtig, sie auf das Dasein ansprechen zu können bzw. sich von ihnen auf das Dasein ansprechen zu lassen. Wenn dies in einer Kultur nicht geschieht, dann sieht niemand, wie das Dasein ist, und dann kommt auch niemand darauf, wie entscheidend die Haltung zum Dasein ist, und dass man sie optimieren kann, aber auch daran leiden.
Schließlich noch ein letzter Hinweis zur Genauigkeit. Da das Dasein nicht begrifflich ist,
d.h. keine Struktur besitzt und keiner Struktur angehört, kann man auch nicht das eine vom anderen Dasein unterscheiden. Das Dasein ist absolut und daher gibt es prinzipiell auch nur eins. Wir werden anschließend im Zusammenhang mit der Dimensionalität des Daseins umfassender darauf eingehen. Was man hier sagen kann, ist folgendes: es ist, wie wenn alle Menschen dasselbe Dasein haben. Es kann ja dann trotzdem jedem Menschen dauernd sein Individuelles begegnen lassen.
Bis hierher haben wir das Dasein annähernd zeigend dahingehend besprochen, wie wenn es sozusagen diese bestimmte Funktionsstruktur und Funktionsweise hat. Auf diese Sichten kann man u.a. kommen, wenn man danach fragt, was an unserem Sein grundlegend, absolut ist.
Die negative Fassung dieser Frage ist ebenfalls produktiv: was an unserem Sein bedeutsam, aber nicht begrifflich-relational ist, z.B. ob sich etwas Wichtiges findet, das nicht definierbar ist. Diese Fassung führt tatsächlich auf einige weitere Sichten auf das Dasein.
Ein erstes Beispiel ist die Schönheit. Alles Begegnende ist mehr oder weniger oder nicht schön. Das Eine hält man für schöner als das Andere, aber ggf. kommt jemand und sieht das umgekehrt. Schönheit ist im Auge des Betrachters – eben nicht definierbar. Trotzdem erkennt jeder für sich Schönes, Schöneres, und auch überwältigend Schönes, so dass einem der Mund offen und die Zeit stehen bleibt, und man nicht sagen kann, warum es so schön ist. Diese Art Schönheit ist erst recht nicht definierbar, eine Art absoluter Schönheit.
Nicht definierbar ist auch Qualität. Natürlich kann man Maßstäbe dafür definieren, wie gut etwas für einen bestimmten Zweck ist. Was aber für den einen Zweck gut ist, kann für den anderen Zweck schlecht sein. Alles hat seinen Preis, den man ggf. auch gerne außer Acht lässt. Man kann vielleicht noch definieren, was für viele Zwecke gut und für wenige Zwecke schlecht ist. Was allerdings rundum gut ist, das kann man nicht endgültig definieren oder beschreiben. Nur erleben kann man eventuell in einem besonderen Moment, dass an meinem Leben alles richtig ist, stimmt, dass es unfasslich gut ist. Aber dann weiß man auch wieder nicht, inwiefern nun genau.
Auch Intelligenz ist nicht definierbar, anders als der gegenwärtige Hype suggeriert. Wie wir oben schon gesehen haben, ist uns Neu-Verstehen nachhaltig gegeben, aber wir haben keine Kontrolle darüber, wann und warum wir was neu verstehen, können also auch nicht sagen, wie es funktioniert. Im besten Fall verstehen wir auf einmal etwas derart, dass es ein weites Feld erhellt und erschließt, und dann begegnet uns ein unverdientes Hochgefühl. Andererseits gibt es in der Welt relative Intelligenz, die man z.B. an dem Fortschritt messen kann, den das jeweils neu Verstandene bringt. Und es begegnet auch Null Intelligenz, ja sogar der Unwille zur Intelligenz, wenn es mit dem Verstehen einer Angelegenheit beim besten Willen nicht weitergeht.
Derartige Zusammenhänge sind auch charakteristisch für die Liebe. Wenn sie uns gegeben ist, dann sind wir absolut sicher, ohne die Gründe oder Ursachen zu erahnen. Die Symptome der Liebe sind bekannt und erforscht, aber warum es "funkt", was darauf hinführt, und was dann im Grunde "los ist", das ist nicht zu beschreiben und also nicht definierbar. Herbeiführbar ist das nicht, man kann allenfalls Gelegenheiten dafür herbeiführen. Die Liebe ist uns geschenkt. Im normalen Leben ist uns andererseits der eine Mensch lieber als der Andere, und bei den Meisten kommt uns Liebe gar nicht in den Sinn. Und schließlich gibt es den Hass als völliges Gegenteil in der Dimension der Liebe.
Absolute Liebe ist so etwas wie existenzielle Bindung, die Sicht auf die bei allen gleiche grundlegende Daseinssituation des Mitmenschen.
Insgesamt können wir uns das so zurechtlegen: Schönheit, Qualität, Intelligenz, Liebe können uns als absolut beeindrucken, andererseits als relativ in der Welt begegnen.
Letzteres ist unproblematisch: relativ kann vieles sein. Absolut kann aber nur eines sein. Das bedeutet, dass die absolute Schönheit, die absolute Qualität, die absolute Intelligenz
und die absolute Liebe bestenfalls als verschiedene Sichten auf ein und dasselbe Absolute aufgefasst werden können.
Es ist, wie wenn es in der Welt verschiedene "Sichtlinien" auf das Absolute gibt, in die man geraten kann, und entlang derer man das Absolute in den – überwältigenden – Blick bekommen kann. Diese Sichtlinien sind verschieden und voneinander unabhängig, so dass man von "Dimensionen" reden kann.
In der Welt kann man sich jeweils innerhalb dieser Dimensionen zwischen dem positiven und dem negativen Ende positionieren, Richtungen wählen, und auf Ziele aus sein. Damit definiert man sozusagen seine Haltung in der Welt. Darin kann man total aufgehen und sich verlieren, ohne Ahnung vom Absoluten.
Entlang den durch die Dimensionalität gegebenen Sichtlinien ist es aber überhaupt erst möglich, den Blick auf das Absolute hin zu gewinnen und damit die Daseinshaltung auf das Absolute auszurichten. Dadurch ist die Daseinshaltung mit den oben beschriebenen Gegebenheiten des Daseins in Einklang, und man verschleißt sich nicht damit, gegen diese Gegebenheiten ankommen zu wollen. Sondern man sieht, dass alles Begegnende kostenlos gegeben und lebbar ist, sozusagen geschenkt, solange man lebt.
Dies ist eine Abhandlung in annähernd zeigender Sprache. Ihre Sätze beanspruchen keine innerweltliche Wahrheit, können daher auch nichts bekräftigen oder widerlegen.
Ihre Wahrheit besteht bestenfalls darin, dass man in seinen Assoziationen dahin geführt wird, dass man mehr oder weniger deutlich sieht, wie das eigene Dasein ist. Insofern geht es wirklich um Sehen statt Denken.
Es kann sein, dass man es nicht sieht, oder erst Jahre später. Es kann auch sein, dass man es irgendwie besser sieht und besser zeigende Sätze bilden könnte. Und es kann sein, dass man es nicht so, sondern anders sieht, und dass man sich daraufhin intensiv mit dem eigenen Dasein befasst und zu ganz anderen Sätzen kommt.
Im Idealfall würde man versuchen, diese Sichten, die ja jeweils Wissen vom eigenen Dasein darstellen, kollektiv so aufzuarbeiten, dass man zu einem gemeinsamen, objektiven Wissen kommt. Dies wäre eine Fortschreibung von Wissen, nicht in dem Sinne, wie neue Theorien ältere ersetzen, sondern indem man ggf. schon gut zeigende Sätze durch besser zeigende ersetzt. Diese Abhandlung selbst kann man als eine Fortschreibung ansehen, und zwar der reichen Daseinsbeschreibungen der Bibel (Genesis, 10 Gebote, Hiob, Gleichnisse, Vaterunser), damals sehr wohl, heute aber gar nicht mehr als annähernd zeigend verstanden, sondern nur noch als rational missverstanden.
Andererseits wird diese Abhandlung ebenfalls der Fortschreibung bedürfen. Die gängigen Assoziationsstrukturen werden sich auch künftig über die Generationen hin weiterentwickeln, und so werden die heute annähernd zeigenden Sätze ihre Zeigekraft verlieren und deshalb wiederum durch neue ersetzt werden müssen.
Das Schlüsselwort in Martin Heideggers Sein und Zeit ist das "Dasein". "Dasein" ist auch das Schlüsselwort in der vorliegenden Abhandlung, deren gedankliche Entwicklung die vor einigen Jahrzehnten von Sein und Zeit mit angeregt wurde, nun aber offensichtlich von diesem Ursprung total abgelöst ist.
Sein und Zeit liest sich so, dass man hie und da denken kann: so ein Dasein habe ich auch; andererseits aber auch: so eine Struktur hat mein Dasein nicht. Das zeigt sich gleich am Anfang (S.7 Mitte):
Dieses Seiende, das wir selbst je sind
und das unter anderem die Seinsmöglichkeit des Fragens hat, fassen wir terminologisch als Dasein.
Die erste Zeile spricht einen als annähernd zeigende Rede unmittelbar an. Die zweite irritiert, denn es ist absolut so, dass ich mein Dasein habe, d.h. unabhängig von meinen Möglichkeiten. Die dritte Zeile weckt den Verdacht, dass es hier doch ein Missverständnis geben könnte, dass es hier nicht nur um ein Wort geht für das, worüber man reden will, sondern auch um eine Begriffsstruktur hinter dem Wort, also nicht um Absolutes.
Diese Frage lässt sich nun nicht an dem obigen Stück Text allein entscheiden, aber man kann andere Ausführungen in Sein und Zeit heranziehen. Dabei ergibt sich folgendes Bild.
Heidegger sah nicht, dass das Dasein absolut ist, also nicht wahrgenommen werden kann, sondern einfach gegeben ist; dass es also auch nicht in Beziehungen steht wie das Wahrgenommene, sondern völlig strukturfrei ist; dass die Kommunikation darüber auch nur aus strukturfreiem, annähernd zeigendem Drumherumreden und Daraufhinreden bestehen kann, das dem Empfänger die gemeinte Gegebenheit nahebringen soll, während die Kommunikation von Begriffsstrukturen hier von vornherein versagt. Das sind sozusagen zwei Sprachen mit demselben Vokabular, aber völlig unterschiedlichen Semantiken. Heidegger benutzte in Sein und Zeit durchgehend die letztere, falsche.
Heidegger sah nicht, dass unser Dasein dasselbe Gegebene ist wie unsere Wahrnehmung. Sozusagen: ohne Wahrnehmung kein Dasein und umgekehrt. Damit sah er auch nicht, dass wir Sein und Seiendes auf der Basis unserer Wahrnehmungen konstruieren, wodurch unsere Welt auch permanent wächst, sondern sah alles Sein und Seiende als Gegebenheiten, die verborgen oder entdeckt sein können, in einer vorgegebenen Welt, zu der allerdings unsere Innenwelt allem Anschein nach nicht gehört.
Heidegger sah das Dasein als Seiendes, das ein Sein hat und ergreifen muss, aber nicht, dass er damit dasselbe tat, was er als grundsätzlichen Fehler anprangerte: das Dasein aus der Welt her – eben als Seiendes in Strukturen von Seiendem – verstehen zu wollen.
Er sah nicht, dass Zuhandenheit nicht der primäre Modus ist, in dem Seiendes begegnet, sondern das Ergebnis der – innerweltlichen – Automatisierung des gelernten
und geübten Umgangs mit Seiendem, mit dem man anfangs gar keinen Umgang kennt.
Heidegger sah Verfallenheit des Daseins, aber nicht an die Welt, sondern lediglich an das Man; und Eigentlichkeit nicht als Position und Haltung der Welt gegenüber, sondern nur innerweltlich als überlegene Autonomie gegenüber dem Man. Er sah, dass dieses Man die Menschen einschränkt, sah aber nicht das Gute am Man: dass es ein effektiverer Start ins Leben ist, den Anderen die Welt anfangs so nachzubauen, wie man es in der umgebenden Kultur halt macht, als bei Null anzufangen und alles alleine neu erfinden zu müssen.
Entsprechend sah Heidegger nicht, dass die Angst, die das Dasein vorgeblich aus der Verfallenheit an das Man in die innerweltliche Autonomie der Eigentlichkeit zurückrufen soll, rein innerweltlich ist und keineswegs ein Grundzug des Daseins sein kann. In der Sicht des eigentlichen Selbst gegenüber der Welt gibt es keine Angst. Diese Rede von der Existenzangst hat die Philosophie in eine Situation gebracht, in der so gut wie alle Menschen, um die Angst sicher zu vermeiden, gleich auch die Befassung mit Philosophie und mit dem eigenen Dasein ablehnen und abwehren.
Die Diagnose dieser wenigen Symptome sollte erkennen lassen, wie sehr Sein und Zeit im Innerweltlichen fixiert bleibt und damit das Dasein völlig verfehlt.
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